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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen.

Ein breiter Spaziergang führt in das griechische Thal, das einen weit erhab-
nern Auftritt ausmacht, als irgend einer in diesem Garten seyn kann. Nachdem es
sich in eine ansehnliche Breite erweitert hat, so fängt es an sich zu krümmen; es wird
schmäler und zugleich tiefer, und endlich verliert es sich in ein dichtes Gebüsch hinter
einigen erhabenen Ulmen, hinter welchen sich sein wahres Ende versteckt. Angeneh-
me Wälder und Haine neigen sich überall an den Abhängen herab; und der offene
Raum ist mit abgesonderten Bäumen überpflanzt. So wie das Thal tiefer wird, so
laufen diese freyer von seinen Seiten herab, überkreuzen die Tiefe, oder ziehen sich
längst an ihrem Rande dahin, und kommen zuweilen in solche Gruppen und Figuren
zusammen, welche die Abwechselungen der größern Waldungen vervielfältigen. Diese
sind bald dichte Gebüsche, bald offene Haine. In dem einen steigen die Bäume in
hohe Stämme auf; in einem andern bedecken sie mit ihren Aesten den Boden; und
durch sie erscheinen kleine Oeffnungen. Mitten in dieser Scene steht der Tempel auf
einer natürlichen und bequemen Anhöhe von einem großen Umfange, gleich bey der
Krümmung des Thals, so daß man beyde Seiten übersehen kann. In einer gewissen
Gegend zeigt sich seine majestätische mit sechs ionischen Säulen gezierte Vorderseite ge-
rade vor dem Gesichte. In einer andern zieht sich die schöne Säulenordnung in ein
Perspectiv zurück. Der Tempel fällt von allen Seiten ins Auge; und indem er sei-
nen eigenen anständigen Charakter allen benachbarten Gegenständen mittheilt, so ver-
breitet er eine gewisse Ehrfurcht über das Ganze. Allein er erweckt keine Traurigkeit,
keine Melancholie: die Empfindungen, die er einflößt, sind vielmehr sanft; aber
voll Ehrfurcht, Bewunderung und Feyerlichkeit. Man sieht kein Wasser, die Aus-
sicht zu beleben; keinen entfernten Prospect, sie zu bereichern. Die Theile des
Auftritts sind groß; die Erfindung ist erhaben, und die Ausführung glücklich. Die
Scene ist unabhängig von allen zufälligen Umständen, und ruhet auf ihrer eigenen
Größe.

b.
Tempel zu Kew.
[Spaltenumbruch] *)

Der Garten zu Kew umfaßt keinen sehr beträchtlichen Umfang, der eine große
Mannigfaltigkeit von natürlichen Scenen verstattete. Allein außer dem Reichthum

von
*) Ein bekannter Ruhesitz und Garten
des Königs von England, nahe bey London.
Die Tempel, die man hier findet, sind aus
[Spaltenumbruch] Chamber's Werk: Plans, Elevations etc.
of the Gardens and Buildings at Kew, fol.
London
1763. Man sehe auch 1sten B. S. 55.
J 2
Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.

Ein breiter Spaziergang fuͤhrt in das griechiſche Thal, das einen weit erhab-
nern Auftritt ausmacht, als irgend einer in dieſem Garten ſeyn kann. Nachdem es
ſich in eine anſehnliche Breite erweitert hat, ſo faͤngt es an ſich zu kruͤmmen; es wird
ſchmaͤler und zugleich tiefer, und endlich verliert es ſich in ein dichtes Gebuͤſch hinter
einigen erhabenen Ulmen, hinter welchen ſich ſein wahres Ende verſteckt. Angeneh-
me Waͤlder und Haine neigen ſich uͤberall an den Abhaͤngen herab; und der offene
Raum iſt mit abgeſonderten Baͤumen uͤberpflanzt. So wie das Thal tiefer wird, ſo
laufen dieſe freyer von ſeinen Seiten herab, uͤberkreuzen die Tiefe, oder ziehen ſich
laͤngſt an ihrem Rande dahin, und kommen zuweilen in ſolche Gruppen und Figuren
zuſammen, welche die Abwechſelungen der groͤßern Waldungen vervielfaͤltigen. Dieſe
ſind bald dichte Gebuͤſche, bald offene Haine. In dem einen ſteigen die Baͤume in
hohe Staͤmme auf; in einem andern bedecken ſie mit ihren Aeſten den Boden; und
durch ſie erſcheinen kleine Oeffnungen. Mitten in dieſer Scene ſteht der Tempel auf
einer natuͤrlichen und bequemen Anhoͤhe von einem großen Umfange, gleich bey der
Kruͤmmung des Thals, ſo daß man beyde Seiten uͤberſehen kann. In einer gewiſſen
Gegend zeigt ſich ſeine majeſtaͤtiſche mit ſechs ioniſchen Saͤulen gezierte Vorderſeite ge-
rade vor dem Geſichte. In einer andern zieht ſich die ſchoͤne Saͤulenordnung in ein
Perſpectiv zuruͤck. Der Tempel faͤllt von allen Seiten ins Auge; und indem er ſei-
nen eigenen anſtaͤndigen Charakter allen benachbarten Gegenſtaͤnden mittheilt, ſo ver-
breitet er eine gewiſſe Ehrfurcht uͤber das Ganze. Allein er erweckt keine Traurigkeit,
keine Melancholie: die Empfindungen, die er einfloͤßt, ſind vielmehr ſanft; aber
voll Ehrfurcht, Bewunderung und Feyerlichkeit. Man ſieht kein Waſſer, die Aus-
ſicht zu beleben; keinen entfernten Proſpect, ſie zu bereichern. Die Theile des
Auftritts ſind groß; die Erfindung iſt erhaben, und die Ausfuͤhrung gluͤcklich. Die
Scene iſt unabhaͤngig von allen zufaͤlligen Umſtaͤnden, und ruhet auf ihrer eigenen
Groͤße.

b.
Tempel zu Kew.
[Spaltenumbruch] *)

Der Garten zu Kew umfaßt keinen ſehr betraͤchtlichen Umfang, der eine große
Mannigfaltigkeit von natuͤrlichen Scenen verſtattete. Allein außer dem Reichthum

von
*) Ein bekannter Ruheſitz und Garten
des Koͤnigs von England, nahe bey London.
Die Tempel, die man hier findet, ſind aus
[Spaltenumbruch] Chamber’s Werk: Plans, Elevations etc.
of the Gardens and Buildings at Kew, fol.
London
1763. Man ſehe auch 1ſten B. S. 55.
J 2
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[67/0071] Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen. Ein breiter Spaziergang fuͤhrt in das griechiſche Thal, das einen weit erhab- nern Auftritt ausmacht, als irgend einer in dieſem Garten ſeyn kann. Nachdem es ſich in eine anſehnliche Breite erweitert hat, ſo faͤngt es an ſich zu kruͤmmen; es wird ſchmaͤler und zugleich tiefer, und endlich verliert es ſich in ein dichtes Gebuͤſch hinter einigen erhabenen Ulmen, hinter welchen ſich ſein wahres Ende verſteckt. Angeneh- me Waͤlder und Haine neigen ſich uͤberall an den Abhaͤngen herab; und der offene Raum iſt mit abgeſonderten Baͤumen uͤberpflanzt. So wie das Thal tiefer wird, ſo laufen dieſe freyer von ſeinen Seiten herab, uͤberkreuzen die Tiefe, oder ziehen ſich laͤngſt an ihrem Rande dahin, und kommen zuweilen in ſolche Gruppen und Figuren zuſammen, welche die Abwechſelungen der groͤßern Waldungen vervielfaͤltigen. Dieſe ſind bald dichte Gebuͤſche, bald offene Haine. In dem einen ſteigen die Baͤume in hohe Staͤmme auf; in einem andern bedecken ſie mit ihren Aeſten den Boden; und durch ſie erſcheinen kleine Oeffnungen. Mitten in dieſer Scene ſteht der Tempel auf einer natuͤrlichen und bequemen Anhoͤhe von einem großen Umfange, gleich bey der Kruͤmmung des Thals, ſo daß man beyde Seiten uͤberſehen kann. In einer gewiſſen Gegend zeigt ſich ſeine majeſtaͤtiſche mit ſechs ioniſchen Saͤulen gezierte Vorderſeite ge- rade vor dem Geſichte. In einer andern zieht ſich die ſchoͤne Saͤulenordnung in ein Perſpectiv zuruͤck. Der Tempel faͤllt von allen Seiten ins Auge; und indem er ſei- nen eigenen anſtaͤndigen Charakter allen benachbarten Gegenſtaͤnden mittheilt, ſo ver- breitet er eine gewiſſe Ehrfurcht uͤber das Ganze. Allein er erweckt keine Traurigkeit, keine Melancholie: die Empfindungen, die er einfloͤßt, ſind vielmehr ſanft; aber voll Ehrfurcht, Bewunderung und Feyerlichkeit. Man ſieht kein Waſſer, die Aus- ſicht zu beleben; keinen entfernten Proſpect, ſie zu bereichern. Die Theile des Auftritts ſind groß; die Erfindung iſt erhaben, und die Ausfuͤhrung gluͤcklich. Die Scene iſt unabhaͤngig von allen zufaͤlligen Umſtaͤnden, und ruhet auf ihrer eigenen Groͤße. b. Tempel zu Kew. *) Der Garten zu Kew umfaßt keinen ſehr betraͤchtlichen Umfang, der eine große Mannigfaltigkeit von natuͤrlichen Scenen verſtattete. Allein außer dem Reichthum von *) Ein bekannter Ruheſitz und Garten des Koͤnigs von England, nahe bey London. Die Tempel, die man hier findet, ſind aus Chamber’s Werk: Plans, Elevations etc. of the Gardens and Buildings at Kew, fol. London 1763. Man ſehe auch 1ſten B. S. 55. J 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/71>, abgerufen am 24.04.2024.