Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
einzelner Theile eines Landsitzes.
VI.
Dörfer.
1.

Kein Anblick ist erfreuender für den Menschenfreund, als ein Dorf, worin Rein-
lichkeit, Anmuth und Wohlstand herrschen. Es ist so sehr dem naürlichen
Gefühl von Gerechtigkeit gemäß, daß die Klasse unsrer Nebenmenschen, welche die
schwerste Arbeit für die Unterhaltung der Gesellschaft trägt, auch wieder, so viel es
seyn kann, ihren Antheil an dem Glück und an den Annehmlichkeiten des Lebens
nehme. Und die Befriedigung dieses Gefühls wird von einem gewissen innerlichen
Behagen und einer sanften Erheiterung der Seele begleitet. Dieß ist die Wirkung,
die der Anblick des Wohlstandes unter den Landleuten hervorbringt; und zu ihnen ge-
sellen sich noch die angenehmen Vorstellungen von Reinlichkeit, von Ordnung, von
Anmuth, die uns desto mehr rühren, je seltener wir sie in einer solchen Lage zu finden
gewohnt sind. Wir ergötzen uns bey der Vorstellung von Seelen, die sich über die
Mühseligkeit und über die gewöhnlichen Schranken ihres Standes zu erheben wissen,
worinn die helleren Begriffe von Regelmäßigkeit und Schönheit aus dem finstern
Chaos der Unwissenheit hervorleuchten, und die durch veredelte Gefühle fähig sind,
die Annehmlichkeiten des Lebens mit uns zu genießen. Gewiß, ein Dorf, worinn
Reinlichkeit und Anmuth erscheinen, kündigt schon eine bessere Gesellschaft von Men-
schen an; wir finden schon mehr Reiz, uns ihnen durch Gespräch und Umgang zu
nähern. Ein Landmann, der seine Wohnung liebt und verschönert, der gern um
sie her Fruchtbäume pflanzt, und seinen Gemüsgarten wohl unterhält, hat ein Recht
auf die Achtung der übrigen Stände.

Man sehe das Gegenbild. Wie tief unter ihm steht der Dorfbewohner, der
unter Schmutz und Armuth in einer nackten, zerfallenen Hütte lebt! Welch einen
traurigen und niederschlagenden Eindruck machen nicht die elenden Menschenställe in
den Dörfern von Bayern, Westphalen und verschiedenen Gegenden von Nieder-
sachsen!
Kaum sollte man glauben, daß da etwas bessers, als Thiere, wohnen
kann. Die Ställe der Schweine und die engen Schlaflöcher liegen an einander;
vor der Thüre häuft sich der Mist zu Hügeln; man muß darüber weggehen, um
hinein und heraus zu kommen; Rauch und Gestank füllen das Inwendige mit Ekel
und mit dem Saamen von allen Krankheiten, die aus der Unreinlichkeit entspringen.
Die Fensterchen, die aus drey bis vier kleinen Scheiben bestehen, sind aus einer
niedrigen Kargheit der Erbauer in die Wand befestigt, und können daher nie zur
Auslüftung der Schlafstellen geöffnet werden; die Unglücklichen müssen demnach eine

Luft
einzelner Theile eines Landſitzes.
VI.
Doͤrfer.
1.

Kein Anblick iſt erfreuender fuͤr den Menſchenfreund, als ein Dorf, worin Rein-
lichkeit, Anmuth und Wohlſtand herrſchen. Es iſt ſo ſehr dem nauͤrlichen
Gefuͤhl von Gerechtigkeit gemaͤß, daß die Klaſſe unſrer Nebenmenſchen, welche die
ſchwerſte Arbeit fuͤr die Unterhaltung der Geſellſchaft traͤgt, auch wieder, ſo viel es
ſeyn kann, ihren Antheil an dem Gluͤck und an den Annehmlichkeiten des Lebens
nehme. Und die Befriedigung dieſes Gefuͤhls wird von einem gewiſſen innerlichen
Behagen und einer ſanften Erheiterung der Seele begleitet. Dieß iſt die Wirkung,
die der Anblick des Wohlſtandes unter den Landleuten hervorbringt; und zu ihnen ge-
ſellen ſich noch die angenehmen Vorſtellungen von Reinlichkeit, von Ordnung, von
Anmuth, die uns deſto mehr ruͤhren, je ſeltener wir ſie in einer ſolchen Lage zu finden
gewohnt ſind. Wir ergoͤtzen uns bey der Vorſtellung von Seelen, die ſich uͤber die
Muͤhſeligkeit und uͤber die gewoͤhnlichen Schranken ihres Standes zu erheben wiſſen,
worinn die helleren Begriffe von Regelmaͤßigkeit und Schoͤnheit aus dem finſtern
Chaos der Unwiſſenheit hervorleuchten, und die durch veredelte Gefuͤhle faͤhig ſind,
die Annehmlichkeiten des Lebens mit uns zu genießen. Gewiß, ein Dorf, worinn
Reinlichkeit und Anmuth erſcheinen, kuͤndigt ſchon eine beſſere Geſellſchaft von Men-
ſchen an; wir finden ſchon mehr Reiz, uns ihnen durch Geſpraͤch und Umgang zu
naͤhern. Ein Landmann, der ſeine Wohnung liebt und verſchoͤnert, der gern um
ſie her Fruchtbaͤume pflanzt, und ſeinen Gemuͤsgarten wohl unterhaͤlt, hat ein Recht
auf die Achtung der uͤbrigen Staͤnde.

Man ſehe das Gegenbild. Wie tief unter ihm ſteht der Dorfbewohner, der
unter Schmutz und Armuth in einer nackten, zerfallenen Huͤtte lebt! Welch einen
traurigen und niederſchlagenden Eindruck machen nicht die elenden Menſchenſtaͤlle in
den Doͤrfern von Bayern, Weſtphalen und verſchiedenen Gegenden von Nieder-
ſachſen!
Kaum ſollte man glauben, daß da etwas beſſers, als Thiere, wohnen
kann. Die Staͤlle der Schweine und die engen Schlafloͤcher liegen an einander;
vor der Thuͤre haͤuft ſich der Miſt zu Huͤgeln; man muß daruͤber weggehen, um
hinein und heraus zu kommen; Rauch und Geſtank fuͤllen das Inwendige mit Ekel
und mit dem Saamen von allen Krankheiten, die aus der Unreinlichkeit entſpringen.
Die Fenſterchen, die aus drey bis vier kleinen Scheiben beſtehen, ſind aus einer
niedrigen Kargheit der Erbauer in die Wand befeſtigt, und koͤnnen daher nie zur
Ausluͤftung der Schlafſtellen geoͤffnet werden; die Ungluͤcklichen muͤſſen demnach eine

Luft
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0167" n="159"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">einzelner Theile eines Land&#x017F;itzes.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/><hi rendition="#g">Do&#x0364;rfer</hi>.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">1.</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">K</hi>ein Anblick i&#x017F;t erfreuender fu&#x0364;r den Men&#x017F;chenfreund, als ein Dorf, worin Rein-<lb/>
lichkeit, Anmuth und Wohl&#x017F;tand herr&#x017F;chen. Es i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;ehr dem nau&#x0364;rlichen<lb/>
Gefu&#x0364;hl von Gerechtigkeit gema&#x0364;ß, daß die Kla&#x017F;&#x017F;e un&#x017F;rer Nebenmen&#x017F;chen, welche die<lb/>
&#x017F;chwer&#x017F;te Arbeit fu&#x0364;r die Unterhaltung der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft tra&#x0364;gt, auch wieder, &#x017F;o viel es<lb/>
&#x017F;eyn kann, ihren Antheil an dem Glu&#x0364;ck und an den Annehmlichkeiten des Lebens<lb/>
nehme. Und die Befriedigung die&#x017F;es Gefu&#x0364;hls wird von einem gewi&#x017F;&#x017F;en innerlichen<lb/>
Behagen und einer &#x017F;anften Erheiterung der Seele begleitet. Dieß i&#x017F;t die Wirkung,<lb/>
die der Anblick des Wohl&#x017F;tandes unter den Landleuten hervorbringt; und zu ihnen ge-<lb/>
&#x017F;ellen &#x017F;ich noch die angenehmen Vor&#x017F;tellungen von Reinlichkeit, von Ordnung, von<lb/>
Anmuth, die uns de&#x017F;to mehr ru&#x0364;hren, je &#x017F;eltener wir &#x017F;ie in einer &#x017F;olchen Lage zu finden<lb/>
gewohnt &#x017F;ind. Wir ergo&#x0364;tzen uns bey der Vor&#x017F;tellung von Seelen, die &#x017F;ich u&#x0364;ber die<lb/>
Mu&#x0364;h&#x017F;eligkeit und u&#x0364;ber die gewo&#x0364;hnlichen Schranken ihres Standes zu erheben wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
worinn die helleren Begriffe von Regelma&#x0364;ßigkeit und Scho&#x0364;nheit aus dem fin&#x017F;tern<lb/>
Chaos der Unwi&#x017F;&#x017F;enheit hervorleuchten, und die durch veredelte Gefu&#x0364;hle fa&#x0364;hig &#x017F;ind,<lb/>
die Annehmlichkeiten des Lebens mit uns zu genießen. Gewiß, ein Dorf, worinn<lb/>
Reinlichkeit und Anmuth er&#x017F;cheinen, ku&#x0364;ndigt &#x017F;chon eine be&#x017F;&#x017F;ere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Men-<lb/>
&#x017F;chen an; wir finden &#x017F;chon mehr Reiz, uns ihnen durch Ge&#x017F;pra&#x0364;ch und Umgang zu<lb/>
na&#x0364;hern. Ein Landmann, der &#x017F;eine Wohnung liebt und ver&#x017F;cho&#x0364;nert, der gern um<lb/>
&#x017F;ie her Fruchtba&#x0364;ume pflanzt, und &#x017F;einen Gemu&#x0364;sgarten wohl unterha&#x0364;lt, hat ein Recht<lb/>
auf die Achtung der u&#x0364;brigen Sta&#x0364;nde.</p><lb/>
              <p>Man &#x017F;ehe das Gegenbild. Wie tief unter ihm &#x017F;teht der Dorfbewohner, der<lb/>
unter Schmutz und Armuth in einer nackten, zerfallenen Hu&#x0364;tte lebt! Welch einen<lb/>
traurigen und nieder&#x017F;chlagenden Eindruck machen nicht die elenden Men&#x017F;chen&#x017F;ta&#x0364;lle in<lb/>
den Do&#x0364;rfern von <hi rendition="#fr">Bayern, We&#x017F;tphalen</hi> und ver&#x017F;chiedenen Gegenden von <hi rendition="#fr">Nieder-<lb/>
&#x017F;ach&#x017F;en!</hi> Kaum &#x017F;ollte man glauben, daß da etwas be&#x017F;&#x017F;ers, als Thiere, wohnen<lb/>
kann. Die Sta&#x0364;lle der Schweine und die engen Schlaflo&#x0364;cher liegen an einander;<lb/>
vor der Thu&#x0364;re ha&#x0364;uft &#x017F;ich der Mi&#x017F;t zu Hu&#x0364;geln; man muß daru&#x0364;ber weggehen, um<lb/>
hinein und heraus zu kommen; Rauch und Ge&#x017F;tank fu&#x0364;llen das Inwendige mit Ekel<lb/>
und mit dem Saamen von allen Krankheiten, die aus der Unreinlichkeit ent&#x017F;pringen.<lb/>
Die Fen&#x017F;terchen, die aus drey bis vier kleinen Scheiben be&#x017F;tehen, &#x017F;ind aus einer<lb/>
niedrigen Kargheit der Erbauer in die Wand befe&#x017F;tigt, und ko&#x0364;nnen daher nie zur<lb/>
Auslu&#x0364;ftung der Schlaf&#x017F;tellen geo&#x0364;ffnet werden; die Unglu&#x0364;cklichen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en demnach eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Luft</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0167] einzelner Theile eines Landſitzes. VI. Doͤrfer. 1. Kein Anblick iſt erfreuender fuͤr den Menſchenfreund, als ein Dorf, worin Rein- lichkeit, Anmuth und Wohlſtand herrſchen. Es iſt ſo ſehr dem nauͤrlichen Gefuͤhl von Gerechtigkeit gemaͤß, daß die Klaſſe unſrer Nebenmenſchen, welche die ſchwerſte Arbeit fuͤr die Unterhaltung der Geſellſchaft traͤgt, auch wieder, ſo viel es ſeyn kann, ihren Antheil an dem Gluͤck und an den Annehmlichkeiten des Lebens nehme. Und die Befriedigung dieſes Gefuͤhls wird von einem gewiſſen innerlichen Behagen und einer ſanften Erheiterung der Seele begleitet. Dieß iſt die Wirkung, die der Anblick des Wohlſtandes unter den Landleuten hervorbringt; und zu ihnen ge- ſellen ſich noch die angenehmen Vorſtellungen von Reinlichkeit, von Ordnung, von Anmuth, die uns deſto mehr ruͤhren, je ſeltener wir ſie in einer ſolchen Lage zu finden gewohnt ſind. Wir ergoͤtzen uns bey der Vorſtellung von Seelen, die ſich uͤber die Muͤhſeligkeit und uͤber die gewoͤhnlichen Schranken ihres Standes zu erheben wiſſen, worinn die helleren Begriffe von Regelmaͤßigkeit und Schoͤnheit aus dem finſtern Chaos der Unwiſſenheit hervorleuchten, und die durch veredelte Gefuͤhle faͤhig ſind, die Annehmlichkeiten des Lebens mit uns zu genießen. Gewiß, ein Dorf, worinn Reinlichkeit und Anmuth erſcheinen, kuͤndigt ſchon eine beſſere Geſellſchaft von Men- ſchen an; wir finden ſchon mehr Reiz, uns ihnen durch Geſpraͤch und Umgang zu naͤhern. Ein Landmann, der ſeine Wohnung liebt und verſchoͤnert, der gern um ſie her Fruchtbaͤume pflanzt, und ſeinen Gemuͤsgarten wohl unterhaͤlt, hat ein Recht auf die Achtung der uͤbrigen Staͤnde. Man ſehe das Gegenbild. Wie tief unter ihm ſteht der Dorfbewohner, der unter Schmutz und Armuth in einer nackten, zerfallenen Huͤtte lebt! Welch einen traurigen und niederſchlagenden Eindruck machen nicht die elenden Menſchenſtaͤlle in den Doͤrfern von Bayern, Weſtphalen und verſchiedenen Gegenden von Nieder- ſachſen! Kaum ſollte man glauben, daß da etwas beſſers, als Thiere, wohnen kann. Die Staͤlle der Schweine und die engen Schlafloͤcher liegen an einander; vor der Thuͤre haͤuft ſich der Miſt zu Huͤgeln; man muß daruͤber weggehen, um hinein und heraus zu kommen; Rauch und Geſtank fuͤllen das Inwendige mit Ekel und mit dem Saamen von allen Krankheiten, die aus der Unreinlichkeit entſpringen. Die Fenſterchen, die aus drey bis vier kleinen Scheiben beſtehen, ſind aus einer niedrigen Kargheit der Erbauer in die Wand befeſtigt, und koͤnnen daher nie zur Ausluͤftung der Schlafſtellen geoͤffnet werden; die Ungluͤcklichen muͤſſen demnach eine Luft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/167
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/167>, abgerufen am 18.04.2024.