Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gärten,
10.

Der churfürstliche Garten zu Schwetzingen bey Manheim ist berühmt ge-
nug. Er ward vor einigen zwanzig Jahren angefangen, und es sind unermeßliche
Summen hier an eine Anlage in der alten Symmetrie verschwendet worden, *) ob-
gleich im Anfange weit mehr, als jetzt.

Der erste Fehler bey diesem Garten war, daß man keine Gegend mit mehr
natürlichen Abwechselungen wählte, etwa näher nach der Bergstraße zu; und der
zweyte, daß man ihn ganz in symmetrischer Manier anlegte, zu einer Zeit, da der
englische Geschmack schon überall bekannt war. Allein der Anleger, Herr von Pi-
gage,
churfürstlicher Oberbaudirector, ein Franzose, scheint davon nichts gewußt
zu haben. Es ward eine Ebene gewählt, und da man nun nicht die geringste Un-
gleichheit dulden wollte, so ward alles geebnet. Fruchtbare Aecker und schöne Wie-
sen verschwanden, und nun war die große Fläche mit Sand überdeckt, wo man
Mühe hatte, die Pflanzung fortzubringen.

Der Garten ist von einem großen Umfang; desto mehr wird man durch die
ewige Symmetrie ermüdet, die hier durchgängig herrscht, bis auf einen kleinen Be-
zirk, den man den englischen Garten nennt. Man sieht nichts als große, gerade
Alleen, Hecken und Bogengänge mit Linial und Schnur gezogen, Arcaden, Altane
und Nischen von Baumwerk gebildet, eine unnütze Menge von eisernem und hölzernem
Gitterwerk; und dazwischen Parterre, Wasserkünste, stehende und liegende Figuren,
meistens von Marmor in natürlicher, einige von Gyps in colossalischer Größe, end-
lich reguläre Wasserbehältnisse. Ueberall erblickt man Kunst, Pracht und Kosten,
aber desto weniger Geschmack, sowohl in Rücksicht auf die Anlage des Ganzen, als
auch auf einzelne Scenen.

Man sehe z. B. die Scene, die man Mecca nennt, und die aus einer An-
zahl von türkischen Gebäuden besteht, die durch Gallerien oder Arcaden verbunden
sind. Diese sind so eng, daß nur eben zwey Personen neben einander spazieren kön-
nen; und was das Sonderbarste ist, dieses Mecca liegt mitten in einer französi-
schen
Parthie, wo man nach der Beschaffenheit des Platzes nichts weniger als eine
Reihe von türkischen Gebäuden erwarten sollte. Aus der Moschee sieht man gerade
nach einer ägyptischen Parthie, woran noch gearbeitet wird, und die, so wie die
türkische, vom Himmel herabgefallen zu seyn scheint. Es ist ein Berg, worauf

ein
*) Die Kosten der türkischen Gebäude
werden allein auf 120,000 Gulden ge-
schätzt. Die jährliche Unterhaltung des
Gartens und die Fortsetzung der Anlagen
[Spaltenumbruch] kostet etwa 40,000 Gulden. Für die
Schlösser zu Schwetzingen und Manheim
werden zusammen 60,000 Gulden ge-
rechnet.
Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten,
10.

Der churfuͤrſtliche Garten zu Schwetzingen bey Manheim iſt beruͤhmt ge-
nug. Er ward vor einigen zwanzig Jahren angefangen, und es ſind unermeßliche
Summen hier an eine Anlage in der alten Symmetrie verſchwendet worden, *) ob-
gleich im Anfange weit mehr, als jetzt.

Der erſte Fehler bey dieſem Garten war, daß man keine Gegend mit mehr
natuͤrlichen Abwechſelungen waͤhlte, etwa naͤher nach der Bergſtraße zu; und der
zweyte, daß man ihn ganz in ſymmetriſcher Manier anlegte, zu einer Zeit, da der
engliſche Geſchmack ſchon uͤberall bekannt war. Allein der Anleger, Herr von Pi-
gage,
churfuͤrſtlicher Oberbaudirector, ein Franzoſe, ſcheint davon nichts gewußt
zu haben. Es ward eine Ebene gewaͤhlt, und da man nun nicht die geringſte Un-
gleichheit dulden wollte, ſo ward alles geebnet. Fruchtbare Aecker und ſchoͤne Wie-
ſen verſchwanden, und nun war die große Flaͤche mit Sand uͤberdeckt, wo man
Muͤhe hatte, die Pflanzung fortzubringen.

Der Garten iſt von einem großen Umfang; deſto mehr wird man durch die
ewige Symmetrie ermuͤdet, die hier durchgaͤngig herrſcht, bis auf einen kleinen Be-
zirk, den man den engliſchen Garten nennt. Man ſieht nichts als große, gerade
Alleen, Hecken und Bogengaͤnge mit Linial und Schnur gezogen, Arcaden, Altane
und Niſchen von Baumwerk gebildet, eine unnuͤtze Menge von eiſernem und hoͤlzernem
Gitterwerk; und dazwiſchen Parterre, Waſſerkuͤnſte, ſtehende und liegende Figuren,
meiſtens von Marmor in natuͤrlicher, einige von Gyps in coloſſaliſcher Groͤße, end-
lich regulaͤre Waſſerbehaͤltniſſe. Ueberall erblickt man Kunſt, Pracht und Koſten,
aber deſto weniger Geſchmack, ſowohl in Ruͤckſicht auf die Anlage des Ganzen, als
auch auf einzelne Scenen.

Man ſehe z. B. die Scene, die man Mecca nennt, und die aus einer An-
zahl von tuͤrkiſchen Gebaͤuden beſteht, die durch Gallerien oder Arcaden verbunden
ſind. Dieſe ſind ſo eng, daß nur eben zwey Perſonen neben einander ſpazieren koͤn-
nen; und was das Sonderbarſte iſt, dieſes Mecca liegt mitten in einer franzoͤſi-
ſchen
Parthie, wo man nach der Beſchaffenheit des Platzes nichts weniger als eine
Reihe von tuͤrkiſchen Gebaͤuden erwarten ſollte. Aus der Moſchee ſieht man gerade
nach einer aͤgyptiſchen Parthie, woran noch gearbeitet wird, und die, ſo wie die
tuͤrkiſche, vom Himmel herabgefallen zu ſeyn ſcheint. Es iſt ein Berg, worauf

ein
*) Die Koſten der tuͤrkiſchen Gebaͤude
werden allein auf 120,000 Gulden ge-
ſchaͤtzt. Die jaͤhrliche Unterhaltung des
Gartens und die Fortſetzung der Anlagen
[Spaltenumbruch] koſtet etwa 40,000 Gulden. Fuͤr die
Schloͤſſer zu Schwetzingen und Manheim
werden zuſammen 60,000 Gulden ge-
rechnet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0352" n="344"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Ga&#x0364;rten,</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">10.</hi> </head><lb/>
            <p>Der churfu&#x0364;r&#x017F;tliche Garten zu <hi rendition="#fr">Schwetzingen</hi> bey <hi rendition="#fr">Manheim</hi> i&#x017F;t beru&#x0364;hmt ge-<lb/>
nug. Er ward vor einigen zwanzig Jahren angefangen, und es &#x017F;ind unermeßliche<lb/>
Summen hier an eine Anlage in der alten Symmetrie ver&#x017F;chwendet worden, <note place="foot" n="*)">Die Ko&#x017F;ten der tu&#x0364;rki&#x017F;chen Geba&#x0364;ude<lb/>
werden allein auf 120,000 Gulden ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzt. Die ja&#x0364;hrliche Unterhaltung des<lb/>
Gartens und die Fort&#x017F;etzung der Anlagen<lb/><cb/>
ko&#x017F;tet etwa 40,000 Gulden. Fu&#x0364;r die<lb/>
Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er zu Schwetzingen und Manheim<lb/>
werden zu&#x017F;ammen 60,000 Gulden ge-<lb/>
rechnet.</note> ob-<lb/>
gleich im Anfange weit mehr, als jetzt.</p><lb/>
            <p>Der er&#x017F;te Fehler bey die&#x017F;em Garten war, daß man keine Gegend mit mehr<lb/>
natu&#x0364;rlichen Abwech&#x017F;elungen wa&#x0364;hlte, etwa na&#x0364;her nach der Berg&#x017F;traße zu; und der<lb/>
zweyte, daß man ihn ganz in &#x017F;ymmetri&#x017F;cher Manier anlegte, zu einer Zeit, da der<lb/><hi rendition="#fr">engli&#x017F;che</hi> Ge&#x017F;chmack &#x017F;chon u&#x0364;berall bekannt war. Allein der Anleger, Herr von <hi rendition="#fr">Pi-<lb/>
gage,</hi> churfu&#x0364;r&#x017F;tlicher Oberbaudirector, ein <hi rendition="#fr">Franzo&#x017F;e,</hi> &#x017F;cheint davon nichts gewußt<lb/>
zu haben. Es ward eine Ebene gewa&#x0364;hlt, und da man nun nicht die gering&#x017F;te Un-<lb/>
gleichheit dulden wollte, &#x017F;o ward alles geebnet. Fruchtbare Aecker und &#x017F;cho&#x0364;ne Wie-<lb/>
&#x017F;en ver&#x017F;chwanden, und nun war die große Fla&#x0364;che mit Sand u&#x0364;berdeckt, wo man<lb/>
Mu&#x0364;he hatte, die Pflanzung fortzubringen.</p><lb/>
            <p>Der Garten i&#x017F;t von einem großen Umfang; de&#x017F;to mehr wird man durch die<lb/>
ewige Symmetrie ermu&#x0364;det, die hier durchga&#x0364;ngig herr&#x017F;cht, bis auf einen kleinen Be-<lb/>
zirk, den man den <hi rendition="#fr">engli&#x017F;chen</hi> Garten nennt. Man &#x017F;ieht nichts als große, gerade<lb/>
Alleen, Hecken und Bogenga&#x0364;nge mit Linial und Schnur gezogen, Arcaden, Altane<lb/>
und Ni&#x017F;chen von Baumwerk gebildet, eine unnu&#x0364;tze Menge von ei&#x017F;ernem und ho&#x0364;lzernem<lb/>
Gitterwerk; und dazwi&#x017F;chen Parterre, Wa&#x017F;&#x017F;erku&#x0364;n&#x017F;te, &#x017F;tehende und liegende Figuren,<lb/>
mei&#x017F;tens von Marmor in natu&#x0364;rlicher, einige von Gyps in colo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;cher Gro&#x0364;ße, end-<lb/>
lich regula&#x0364;re Wa&#x017F;&#x017F;erbeha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e. Ueberall erblickt man Kun&#x017F;t, Pracht und Ko&#x017F;ten,<lb/>
aber de&#x017F;to weniger Ge&#x017F;chmack, &#x017F;owohl in Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Anlage des Ganzen, als<lb/>
auch auf einzelne Scenen.</p><lb/>
            <p>Man &#x017F;ehe z. B. die Scene, die man <hi rendition="#fr">Mecca</hi> nennt, und die aus einer An-<lb/>
zahl von <hi rendition="#fr">tu&#x0364;rki&#x017F;chen</hi> Geba&#x0364;uden be&#x017F;teht, die durch Gallerien oder Arcaden verbunden<lb/>
&#x017F;ind. Die&#x017F;e &#x017F;ind &#x017F;o eng, daß nur eben zwey Per&#x017F;onen neben einander &#x017F;pazieren ko&#x0364;n-<lb/>
nen; und was das Sonderbar&#x017F;te i&#x017F;t, die&#x017F;es <hi rendition="#fr">Mecca</hi> liegt mitten in einer <hi rendition="#fr">franzo&#x0364;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen</hi> Parthie, wo man nach der Be&#x017F;chaffenheit des Platzes nichts weniger als eine<lb/>
Reihe von <hi rendition="#fr">tu&#x0364;rki&#x017F;chen</hi> Geba&#x0364;uden erwarten &#x017F;ollte. Aus der Mo&#x017F;chee &#x017F;ieht man gerade<lb/>
nach einer <hi rendition="#fr">a&#x0364;gypti&#x017F;chen</hi> Parthie, woran noch gearbeitet wird, und die, &#x017F;o wie die<lb/><hi rendition="#fr">tu&#x0364;rki&#x017F;che,</hi> vom Himmel herabgefallen zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint. Es i&#x017F;t ein Berg, worauf<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0352] Zweyter Anhang. Kurze Nachrichten von Gaͤrten, 10. Der churfuͤrſtliche Garten zu Schwetzingen bey Manheim iſt beruͤhmt ge- nug. Er ward vor einigen zwanzig Jahren angefangen, und es ſind unermeßliche Summen hier an eine Anlage in der alten Symmetrie verſchwendet worden, *) ob- gleich im Anfange weit mehr, als jetzt. Der erſte Fehler bey dieſem Garten war, daß man keine Gegend mit mehr natuͤrlichen Abwechſelungen waͤhlte, etwa naͤher nach der Bergſtraße zu; und der zweyte, daß man ihn ganz in ſymmetriſcher Manier anlegte, zu einer Zeit, da der engliſche Geſchmack ſchon uͤberall bekannt war. Allein der Anleger, Herr von Pi- gage, churfuͤrſtlicher Oberbaudirector, ein Franzoſe, ſcheint davon nichts gewußt zu haben. Es ward eine Ebene gewaͤhlt, und da man nun nicht die geringſte Un- gleichheit dulden wollte, ſo ward alles geebnet. Fruchtbare Aecker und ſchoͤne Wie- ſen verſchwanden, und nun war die große Flaͤche mit Sand uͤberdeckt, wo man Muͤhe hatte, die Pflanzung fortzubringen. Der Garten iſt von einem großen Umfang; deſto mehr wird man durch die ewige Symmetrie ermuͤdet, die hier durchgaͤngig herrſcht, bis auf einen kleinen Be- zirk, den man den engliſchen Garten nennt. Man ſieht nichts als große, gerade Alleen, Hecken und Bogengaͤnge mit Linial und Schnur gezogen, Arcaden, Altane und Niſchen von Baumwerk gebildet, eine unnuͤtze Menge von eiſernem und hoͤlzernem Gitterwerk; und dazwiſchen Parterre, Waſſerkuͤnſte, ſtehende und liegende Figuren, meiſtens von Marmor in natuͤrlicher, einige von Gyps in coloſſaliſcher Groͤße, end- lich regulaͤre Waſſerbehaͤltniſſe. Ueberall erblickt man Kunſt, Pracht und Koſten, aber deſto weniger Geſchmack, ſowohl in Ruͤckſicht auf die Anlage des Ganzen, als auch auf einzelne Scenen. Man ſehe z. B. die Scene, die man Mecca nennt, und die aus einer An- zahl von tuͤrkiſchen Gebaͤuden beſteht, die durch Gallerien oder Arcaden verbunden ſind. Dieſe ſind ſo eng, daß nur eben zwey Perſonen neben einander ſpazieren koͤn- nen; und was das Sonderbarſte iſt, dieſes Mecca liegt mitten in einer franzoͤſi- ſchen Parthie, wo man nach der Beſchaffenheit des Platzes nichts weniger als eine Reihe von tuͤrkiſchen Gebaͤuden erwarten ſollte. Aus der Moſchee ſieht man gerade nach einer aͤgyptiſchen Parthie, woran noch gearbeitet wird, und die, ſo wie die tuͤrkiſche, vom Himmel herabgefallen zu ſeyn ſcheint. Es iſt ein Berg, worauf ein *) Die Koſten der tuͤrkiſchen Gebaͤude werden allein auf 120,000 Gulden ge- ſchaͤtzt. Die jaͤhrliche Unterhaltung des Gartens und die Fortſetzung der Anlagen koſtet etwa 40,000 Gulden. Fuͤr die Schloͤſſer zu Schwetzingen und Manheim werden zuſammen 60,000 Gulden ge- rechnet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/352
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/352>, abgerufen am 18.04.2024.