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Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.

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die alten Marmortreppen hinaufstieg. Hier wohnte der Sonnengott einst, unter den himmlischen Festen, wo ihn, wie goldnes Gewölk, das versammelte Griechenland umglänzte. In Fluthen der Freude und Begeisterung warfen hier, wie Achill in den Styx, die griechischen Jünglinge sich, und giengen unüberwindlich, wie der Halbgott, hervor. In den Hainen, in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen, und treu bewahrte jeder die entzükenden Accorde.

Aber was sprech' ich davon? Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage! Ach! es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche, der über uns lastet. Wie ein heulender Nordwind, fährt die Gegenwart über die Blüthen unsers Geistes und versengt sie im Entstehen. Und doch war es ein goldner Tag, der auf dem Cynthus mich umfieng! Es dämmerte noch, da wir schon oben waren. Jezt kam er herauf in seiner ewigen Jugend, der alte Sonnengott, zufrieden und mühelos, wie immer, flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eignen Freuden herauf, und lächelt' herab auf sein verödet Land, auf seine Tempel, seine Säulen, die das Schik-

die alten Marmortreppen hinaufstieg. Hier wohnte der Sonnengott einst, unter den himmlischen Festen, wo ihn, wie goldnes Gewölk, das versammelte Griechenland umglänzte. In Fluthen der Freude und Begeisterung warfen hier, wie Achill in den Styx, die griechischen Jünglinge sich, und giengen unüberwindlich, wie der Halbgott, hervor. In den Hainen, in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen, und treu bewahrte jeder die entzükenden Accorde.

Aber was sprech’ ich davon? Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage! Ach! es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche, der über uns lastet. Wie ein heulender Nordwind, fährt die Gegenwart über die Blüthen unsers Geistes und versengt sie im Entstehen. Und doch war es ein goldner Tag, der auf dem Cynthus mich umfieng! Es dämmerte noch, da wir schon oben waren. Jezt kam er herauf in seiner ewigen Jugend, der alte Sonnengott, zufrieden und mühelos, wie immer, flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eignen Freuden herauf, und lächelt’ herab auf sein verödet Land, auf seine Tempel, seine Säulen, die das Schik-

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[0029] die alten Marmortreppen hinaufstieg. Hier wohnte der Sonnengott einst, unter den himmlischen Festen, wo ihn, wie goldnes Gewölk, das versammelte Griechenland umglänzte. In Fluthen der Freude und Begeisterung warfen hier, wie Achill in den Styx, die griechischen Jünglinge sich, und giengen unüberwindlich, wie der Halbgott, hervor. In den Hainen, in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen, und treu bewahrte jeder die entzükenden Accorde. Aber was sprech’ ich davon? Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage! Ach! es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche, der über uns lastet. Wie ein heulender Nordwind, fährt die Gegenwart über die Blüthen unsers Geistes und versengt sie im Entstehen. Und doch war es ein goldner Tag, der auf dem Cynthus mich umfieng! Es dämmerte noch, da wir schon oben waren. Jezt kam er herauf in seiner ewigen Jugend, der alte Sonnengott, zufrieden und mühelos, wie immer, flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eignen Freuden herauf, und lächelt’ herab auf sein verödet Land, auf seine Tempel, seine Säulen, die das Schik-

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/29>, abgerufen am 29.03.2024.