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Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 1. Nürnberg, 1682.

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Anderes Buch/ Haus-Vatter.
[Spaltenumbruch] nach soll Speise und Tranck unserer Natur und Ge-
wonheit einstimmend und nicht widerwärtig seyn/ mit
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/
da die natürliche Wärme bey dem Magen concentrirt
ist/ soll man mehr/ und im Sommer weniger essen;
das Gegenspiel ist mit dem Getränck; im währenden Ver-
dauen aber/ soll man alles Geträncke wenigst 4. oder
5. Stund nach der Mahlzeit gäntzlich meiden. Der
Tranck ist der Natur anmüthiger/ der Gesundheit
gedeylicher/ und für den Durst bequemer kalt als lau-
licht/ weil per antiperistasin die natürliche Wärme
dardurch aufgeblasen und vermehret wird; der Tranck
gibt eben so wo eine Nahrung/ aufs wenigst ist er ein
angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie
Athenaeus schreibet/ haben sich etliche allein vom Trin-
cken ernähret/ weil solches auch eher verdauet wird;
das Tranck erfrischet auch den durch Ubung und Arbeit
erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol setzet

-- -- -- Glomerataque multa vaporis
Corpora, quae stomacho praebent incendia nostro
Dissipat adveniens Liquor, ac restringit, ut ignem,
Urere ne possit calor amplius aridus artus.

Jn täglicher Speise/ soll man des Süssen so viel mög-
lich sich enthalten/ weil es den Magen schwächet/ die
Galle vermehret/ die Zähne verderbet/ den Appetit
vertreibet und mancherley Constipationen gebieret.
Gesaltzene/ grobe/ geselchte Speisen gehören nur für
starcke arbeitsame Leute; doch schadet wenig davon ge-
nossen auch wenig/ und wird jeder wissen seine Natur
[Spaltenumbruch] selbst zu erkennen/ und was ihm schädlich ist zu fliehen;
fette und gewürtzte Speisen schaden denen/ so zur
Gallen geneigt sind. Was fett ist/ macht Unwillen.
Vor dem/ was einem von Natur widerstehet/ soll man
sich desto billiger hüten. Die Mahlzeiten soll man nach
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Frühstucken
und Jausen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-
ten Speisen soll man vor wol käuen/ ehe man sie hinein
schluckt/ so verdauen sie desto leichter. Von der
Quantitet, wie viel man Speise zu sich nehmen soll/
sind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig;
etliche meinen/ wann ein Mensch nahe an viertzig Jahr
gereiche/ soll er an 12. oder 16. Untzen Speisen/ und so viel/
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit
zu sagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Stär-
cke oder Schwachheit der Menschen unterschieden/
lässet sich auch hier nichts determiniren; das beste und
gewisseste ist/ allzeit mit Lust aufhören/ nie so viel essen/
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entstehet/
und diß ist der Prüf-Stein/ daran ein vernünfftiges
Mensch seine Mahlzeiten reguliren und anstellen kan/
also sind sie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/
oder zu Abends mehr essen solle. Da dann die meisten
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die
natürliche Austheilung der Feuchtigkeit/ so am füglich-
sten noctu per quietem geschiehet/ nicht turbiret wer-
den möge.

Cap. LXXI.
Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]

ALLe diese oberzehlte Meinungen können nicht bes-
ser als nach der Natur und Gewonheit eines
jeglichen Menschen verglichen werden. Die
Gewonheit ist ein solcher Tyrann/ daß sie viel unbilliche
Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungesunde Dinge dem Men-
schen bequem und zu guter Nahrung verändert/ und
gleichsam eine andere Natur ist; wir gedencken nach
natürlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrsätzen/
und leben nach der Gewonheit/ consuetudo si non est
altera natura, tamen est Simia naturae,
wie Herr de
Verulam. de augm. scient. fol.
567. wol schreibet/ und
S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quae ex longo
tempore consueta sunt, etsi deteriora sunt, insuetis
tamen minus molestare solent.
Sie schläffert unsere
Sinnen ein/ daß wir viel Böses für gut/ viel Unbeque-
mes für gelegensam/ viel ungesundes für vorträglich hal-
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit schei-
net/ das thun/ was man gewohnt ist/ und aus Gewon-
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs
schon noch besser/ doch weil wir mehr fremdem als unserm
eignen Willen hier folgen müssen/ ist es uns nicht so ange-
nehm; daher wer in seiner Diaet eine Gewonheit an
sich genommen/ und sich wol dabey befindet/ es sey im
[Spaltenumbruch] Essen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der soll nicht
so leicht (aufs wenigst nicht gähling) sich davon abzie-
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns
die Natur des Himmels selbst zu erkennen gibt/ der in
Abwechslung der Hitz und Kälte nicht gähe Umsprünge
nimmet/ sondern nach des Sommers grosser Hitz/ den
mittelmässigen Herbst; und nach des Winters strenger
Kälte den temperirten Früling untersetzet/ damit die
Natur desto leichter per gradus von einem auf das an-
dere möge geleitet/ und also erhalten und versichert wer-
den. Man sehe die wilden Thier an/ wann sie gefan-
gen werden/ sterben sie offt ehe Hungers/ als sie eine
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;
wer der Nidersächsischen/ und Westphalischen starcken
Speisen gewohnet ist/ dem werden unsere ob schon bessere
und wol bereitete Gerichten nicht schmecken oder wol be-
kommen/ & vice versa: also wer von seiner alten Lebens-
Art abstehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/
wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge-
wisse Intervalla, gelanget; sonst wer bey seiner Lebens-
Diaet wol lebet/ thut am besten/ er bleibe dabey/ doch
daß er mehr der gesunden Vernunfft/ als der blossen
Gewonheit folge.

Cap.
X iij

Anderes Buch/ Haus-Vatter.
[Spaltenumbruch] nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge-
wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit
gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/
da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt
iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen;
das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver-
dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder
5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der
Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit
gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau-
licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme
dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck
gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein
angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie
Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin-
cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird;
das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit
erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet

— — — Glomerataquè multa vaporis
Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro
Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem,
Urere ne poſſit calor amplius aridus artus.

Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg-
lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die
Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit
vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret.
Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr
ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge-
noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur
[Spaltenumbruch] ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen;
fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur
Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen.
Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man
ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach
Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken
und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har-
ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein
ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der
Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/
ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig;
etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr
gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/
oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere
geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit
zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr-
cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/
laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und
gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/
biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/
und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges
Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/
alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/
oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten
dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die
natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich-
ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer-
den moͤge.

Cap. LXXI.
Von der Gewonheit.
[Spaltenumbruch]

ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ-
ſer als nach der Natur und Gewonheit eines
jeglichen Menſchen verglichen werden. Die
Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche
Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten
Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men-
ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und
gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach
natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/
und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt
altera natura, tamen eſt Simia naturæ,
wie Herr de
Verulam. de augm. ſcient. fol.
567. wol ſchreibet/ und
S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo
tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis
tamen minus moleſtare ſolent.
Sie ſchlaͤffert unſere
Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque-
mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal-
ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei-
net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon-
heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs
ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm
eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange-
nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an
ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im
[Spaltenumbruch] Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht
ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie-
hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns
die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in
Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge
nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den
mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger
Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die
Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an-
dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer-
den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan-
gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine
fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen;
wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken
Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere
und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be-
kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens-
Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/
wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge-
wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens-
Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch
daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen
Gewonheit folge.

Cap.
X iij
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[165/0183] Anderes Buch/ Haus-Vatter. nach ſoll Speiſe und Tranck unſerer Natur und Ge- wonheit einſtimmend und nicht widerwaͤrtig ſeyn/ mit gutem ausgebachenem Brod vermenget. Jm Winter/ da die natuͤrliche Waͤrme bey dem Magen concentrirt iſt/ ſoll man mehr/ und im Sommer weniger eſſen; das Gegenſpiel iſt mit dem Getraͤnck; im waͤhrendẽ Ver- dauen aber/ ſoll man alles Getraͤncke wenigſt 4. oder 5. Stund nach der Mahlzeit gaͤntzlich meiden. Der Tranck iſt der Natur anmuͤthiger/ der Geſundheit gedeylicher/ und fuͤr den Durſt bequemer kalt als lau- licht/ weil per antiperiſtaſin die natuͤrliche Waͤrme dardurch aufgeblaſen und vermehret wird; der Tranck gibt eben ſo wo eine Nahrung/ aufs wenigſt iſt er ein angenehmes Vehiculum Alimentorum, und/ wie Athenæus ſchreibet/ haben ſich etliche allein vom Trin- cken ernaͤhret/ weil ſolches auch eher verdauet wird; das Tranck erfriſchet auch den durch Ubung und Arbeit erhitzten Leibe/ wie Lucretius lib. 4. wol ſetzet — — — Glomerataquè multa vaporis Corpora, quæ ſtomacho præbent incendia noſtro Diſſipat adveniens Liquor, ac reſtringit, ut ignem, Urere ne poſſit calor amplius aridus artus. Jn taͤglicher Speiſe/ ſoll man des Suͤſſen ſo viel moͤg- lich ſich enthalten/ weil es den Magen ſchwaͤchet/ die Galle vermehret/ die Zaͤhne verderbet/ den Appetit vertreibet und mancherley Conſtipationen gebieret. Geſaltzene/ grobe/ geſelchte Speiſen gehoͤren nur fuͤr ſtarcke arbeitſame Leute; doch ſchadet wenig davon ge- noſſen auch wenig/ und wird jeder wiſſen ſeine Natur ſelbſt zu erkennen/ und was ihm ſchaͤdlich iſt zu fliehen; fette und gewuͤrtzte Speiſen ſchaden denen/ ſo zur Gallen geneigt ſind. Was fett iſt/ macht Unwillen. Vor dem/ was einem von Natur widerſtehet/ ſoll man ſich deſto billiger huͤten. Die Mahlzeiten ſoll man nach Gewonheit ordentlich einnehmen; alles Fruͤhſtucken und Jauſen bringt mehr Schaden als Nutzen/ die har- ten Speiſen ſoll man vor wol kaͤuen/ ehe man ſie hinein ſchluckt/ ſo verdauen ſie deſto leichter. Von der Quantitet, wie viel man Speiſe zu ſich nehmen ſoll/ ſind die Medici (wie in vielen Sachen) nicht einig; etliche meinen/ wann ein Menſch nahe an viertzig Jahr gereiche/ ſoll er an 12. oder 16. Untzen Speiſen/ uñ ſo viel/ oder ein wenig mehr Getrancks genug haben; andere geben mehr/ andere noch weniger; und die Warheit zu ſagen/ weil die Naturen und Complexionen/ Staͤr- cke oder Schwachheit der Menſchen unterſchieden/ laͤſſet ſich auch hier nichts determiniren; das beſte und gewiſſeſte iſt/ allzeit mit Luſt aufhoͤren/ nie ſo viel eſſen/ biß man nicht mehr mag/ dardurch viel Ubels entſtehet/ und diß iſt der Pruͤf-Stein/ daran ein vernuͤnfftiges Menſch ſeine Mahlzeiten reguliren und anſtellen kan/ alſo ſind ſie auch ungleicher Meinung/ ob man zu Mittag/ oder zu Abends mehr eſſen ſolle. Da dann die meiſten dahin zielen/ das Nacht-Mahl zu mindern/ damit die natuͤrliche Austheilung der Feuchtigkeit/ ſo am fuͤglich- ſten noctu per quietem geſchiehet/ nicht turbiret wer- den moͤge. Cap. LXXI. Von der Gewonheit. ALLe dieſe oberzehlte Meinungen koͤnnen nicht beſ- ſer als nach der Natur und Gewonheit eines jeglichen Menſchen verglichen werden. Die Gewonheit iſt ein ſolcher Tyrann/ daß ſie viel unbilliche Sachen in denen Republiken durch alt-hergebrachten Gebrauch rechtfertiget/ viel ungeſunde Dinge dem Men- ſchen bequem und zu guter Nahrung veraͤndert/ und gleichſam eine andere Natur iſt; wir gedencken nach natuͤrlicher Anmuth/ wir reden nach den Lehrſaͤtzen/ und leben nach der Gewonheit/ conſuetudo ſi non eſt altera natura, tamen eſt Simia naturæ, wie Herr de Verulam. de augm. ſcient. fol. 567. wol ſchreibet/ und S. 2. aphor. 50. Hippocrates meldet/ quæ ex longo tempore conſueta ſunt, etſi deteriora ſunt, inſuetis tamen minus moleſtare ſolent. Sie ſchlaͤffert unſere Sinnen ein/ daß wir viel Boͤſes fuͤr gut/ viel Unbeque- mes fuͤr gelegenſam/ viel ungeſundes fuͤr vortraͤglich hal- ten; ohne Zweiffel/ weil es eine Art der Freyheit ſchei- net/ das thun/ was man gewohnt iſt/ und aus Gewon- heit gern thut/ da hingegen was anbefohlen wird/ obs ſchon noch beſſer/ doch weil wir mehr fremdem als unſerm eignen Willen hier folgen muͤſſen/ iſt es uns nicht ſo ange- nehm; daher wer in ſeiner Diæt eine Gewonheit an ſich genommen/ und ſich wol dabey befindet/ es ſey im Eſſen/ Trincken/ oder andern Dingen/ der ſoll nicht ſo leicht (aufs wenigſt nicht gaͤhling) ſich davon abzie- hen/ und auf ein Widriges angewehnen. Welches uns die Natur des Himmels ſelbſt zu erkennen gibt/ der in Abwechslung der Hitz und Kaͤlte nicht gaͤhe Umſpruͤnge nimmet/ ſondern nach des Sommers groſſer Hitz/ den mittelmaͤſſigen Herbſt; und nach des Winters ſtrenger Kaͤlte den temperirten Fruͤling unterſetzet/ damit die Natur deſto leichter per gradus von einem auf das an- dere moͤge geleitet/ und alſo erhalten und verſichert wer- den. Man ſehe die wilden Thier an/ wann ſie gefan- gen werden/ ſterben ſie offt ehe Hungers/ als ſie eine fremde ihnen unbekannte Nahrung annehmen wollen; wer der Niderſaͤchſiſchen/ und Weſtphaliſchen ſtarcken Speiſen gewohnet iſt/ dem werden unſere ob ſchon beſſere und wol bereitete Gerichten nicht ſchmecken oder wol be- kommen/ & vice verſâ: alſo wer von ſeiner alten Lebens- Art abſtehen und eine neue annehmen will/ der thut wol/ wann er von einem Extremo auf das andere/ durch ge- wiſſe Intervalla, gelanget; ſonſt wer bey ſeiner Lebens- Diæt wol lebet/ thut am beſten/ er bleibe dabey/ doch daß er mehr der geſunden Vernunfft/ als der bloſſen Gewonheit folge. Cap. X iij

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Zitationshilfe: Hohberg, Wolf Helmhard von: Georgica Curiosa. Bd. 1. Nürnberg, 1682, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hohberg_georgica01_1682/183>, abgerufen am 19.04.2024.