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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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Einfluß auf das Menschengeschlecht übe und schrieb es der Wirkung der feuchten
Luft zu, daß die negerartigen Völker in Indien kein Wollhaar haben.

Alexander selbst drang nicht bis in das eigentlich cultivirte und sehr bevölkerte
Indien vor, wohl aber nach ihm Seleucus Nicator, der einen gewaltigen Erobe-
rungszug
von Babylon bis an den Ganges unternahm, von welchem er unter
andern 500 Elephanten zurückbrachte. Auffallend ist es, daß die Griechen damals
nicht die indischen Zahlen kennen gelernt haben, welche so sehr viel später, wahrschein-
lich erst über Persien nach Arabien und erst im 13ten Jahrhundert durch die Araber
nach Europa gebracht worden sind. Wie wichtig die Erfindung war, durch
9 Zeichen und ihre Position alle möglichen Gruppen von Zahlen auszudrücken,
wird dann besonders klar, wenn man bedenkt, wie beschwerlich die Römischen
Zahlen durch ihre Juxtaposition die kleinste [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]Rechnung machen und wie man,
so lange man sich derselben bediente, in der Arithmetik unmöglich vorwärts
kommen konnte.

Daß die Griechen viel von den Chaldäern in der Himmelskunde lernten,
ist um so wahrscheinlicher, als in Babylon eine eigne Priesterkaste, die
den Belustempel bewohnte, fast ausschliessend mit astronomischen Beobach-
tungen beschäftigt war. Die wunderliche Architectur dieses Gebäudes, das
dieser Zunftgenossenschaft zum Wohnsitz diente, hat ein besonderes histo-
risches Interresse. Eine himmelhohe Treppenpyramide diente zu gleicher
Zeit zum Grabmal, zur Sternwarte und zum Tempel und läßt uns den
berühmten Thurm zu Babel nicht verkennen. - Merkwürdig ist, daß
derselbe Typus der Architectur sich in Amerika wieder findet und daß
den zu Anfang des 16ten saeculum zu Mexico aufgeführten Tempeln einer
ganz ähnliche Idee zum Grunde lag.

Wohl mit die schönste Frucht der Züge Alexanders ist das Werk des
Aristoteles; wenn wir auch nicht annehmen wollen, daß, wie Plinius
erzählt, 1000 Vogelfänger und Schützen im Heere Alexanders angestellt
gewesen, um alles bemerkenswerthe für ihn einzusammeln, so müssen
wir doch ein reiches Ergebniß dieser Bestrebungen anerkennen. Indeß
hat Aristoteles unverkennbar die Tendenz, eine nüchterne Naturbeschrei-
bung an die Stelle des Gedankens von der Einheit der Natur zu
setzen. Sein Hauptwerk ist die Naturgeschichte, in der sich der Geist

Einfluß auf das Menschengeschlecht übe und schrieb es der Wirkung der feuchten
Luft zu, daß die negerartigen Völker in Indien kein Wollhaar haben.

Alexander selbst drang nicht bis in das eigentlich cultivirte und sehr bevölkerte
Indien vor, wohl aber nach ihm Seleucus Nicator, der einen gewaltigen Erobe-
rungszug
von Babylon bis an den Ganges unternahm, von welchem er unter
andern 500 Elephanten zurückbrachte. Auffallend ist es, daß die Griechen damals
nicht die indischen Zahlen keñen gelernt haben, welche so sehr viel später, wahrschein-
lich erst über Persien nach Arabien und erst im 13ten Jahrhundert durch die Araber
nach Europa gebracht worden sind. Wie wichtig die Erfindung war, durch
9 Zeichen und ihre Position alle möglichen Gruppen von Zahlen auszudrücken,
wird dañ besonders klar, weñ man bedenkt, wie beschwerlich die Römischen
Zahlen durch ihre Juxtaposition die kleinste [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]Rechnung machen und wie man,
so lange man sich derselben bediente, in der Arithmetik unmöglich vorwärts
kom̃en konnte.

Daß die Griechen viel von den Chaldäern in der Him̃elskunde lernten,
ist um so wahrscheinlicher, als in Babylon eine eigne Priesterkaste, die
den Belustempel bewohnte, fast ausschliessend mit astronomischen Beobach-
tungen beschäftigt war. Die wunderliche Architectur dieses Gebäudes, das
dieser Zunftgenossenschaft zum Wohnsitz diente, hat ein besonderes histo-
risches Interresse. Eine himmelhohe Treppenpyramide diente zu gleicher
Zeit zum Grabmal, zur Sternwarte und zum Tempel und läßt uns den
berühmten Thurm zu Babel nicht verkennen. – Merkwürdig ist, daß
derselbe Typus der Architectur sich in Amerika wieder findet und daß
den zu Anfang des 16ten saeculum zu Mexico aufgeführten Tempeln einer
ganz ähnliche Idee zum Grunde lag.

Wohl mit die schönste Frucht der Züge Alexanders ist das Werk des
Aristoteles; weñ wir auch nicht annehmen wollen, daß, wie Plinius
erzählt, 1000 Vogelfänger und Schützen im Heere Alexanders angestellt
gewesen, um alles bemerkenswerthe für ihn einzusam̃eln, so müssen
wir doch ein reiches Ergebniß dieser Bestrebungen anerkennen. Indeß
hat Aristoteles unverkeñbar die Tendenz, eine nüchterne Naturbeschrei-
bung an die Stelle des Gedankens von der Einheit der Natur zu
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[101/0105] Einfluß auf das Menschengeschlecht übe u schrieb es der Wirkung der feuchten Luft zu, daß die negerartigen Völker in Indien kein Wollhaar haben. Alexander selbst drang nicht bis in das eigentlich cultivirte u sehr bevölkerte Indien vor, wohl aber nach ihm Seleucus Nicator, der einen gewaltigen Erobe- rungszug von Babylon bis an den Ganges unternahm, von welchem er unter andern 500 Elephanten zurückbrachte. Auffallend ist es, daß die Griechen damals nicht die indischen Zahlen keñen gelernt haben, welche so sehr viel später, wahrschein- lich erst über Persien nach Arabien u erst im 13t Jahrhundert durch die Araber nach Europa gebracht worden sind. Wie wichtig die Erfindung war, durch 9 Zeichen u ihre Position alle möglichen Gruppen von Zahlen auszudrücken, wird dañ besonders klar, weñ man bedenkt, wie beschwerlich die Römischen Zahlen durch ihre Juxtaposition die kleinste _Rechnung machen u wie man, so lange man sich derselben bediente, in der Arithmetik unmöglich vorwärts kom̃en konnte. Daß die Griechen viel von den Chaldäern in der Him̃elskunde lernten, ist um so wahrscheinlicher, als in Babylon eine eigne Priesterkaste, die den Belustempel bewohnte, fast ausschliessend mit astronomischen Beobach- tungen beschäftigt war. Die wunderliche Architectur dieses Gebäudes, das dieser Zunftgenossenschaft zum Wohnsitz diente, hat ein besonderes histo- risches Interresse. Eine himmelhohe Treppenpyramide diente zu gleicher Zeit zum Grabmal, zur Sternwarte u zum Tempel und läßt uns den berühmten Thurm zu Babel nicht verkennen. – Merkwürdig ist, daß derselbe Typus der Architectur sich in Amerika wieder findet u daß den zu Anfang des 16t saec. zu Mexico aufgeführten Tempeln einer ganz ähnliche Idee zum Grunde lag. Wohl mit die schönste Frucht der Züge Alexanders ist das Werk des Aristoteles; weñ wir auch nicht annehmen wollen, daß, wie Plinius erzählt, 1000 Vogelfänger u Schützen im Heere Alexanders angestellt gewesen, um alles bemerkenswerthe für ihn einzusam̃eln, so müssen wir doch ein reiches Ergebniß dieser Bestrebungen anerkennen. Indeß hat Aristoteles unverkeñbar die Tendenz, eine nüchterne Naturbeschrei- bung an die Stelle des Gedankens von der Einheit der Natur zu setzen. Sein Hauptwerk ist die Naturgeschichte, in der sich der Geist

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

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  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/105>, abgerufen am 25.04.2024.