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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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Unser Europa verdankt sein mittleres Clima seiner Stellung gegen das
nahe Meer und seiner gegliederten Gestaltung. Europa ist der westlichste
Theil des alten Continents und hat also den großen kältemindernden
atlantischen Ocean im Westen. Zwischen den Meridianen, in denen Euro-
pa sich hinstreckt, fällt die Aequatorial-Zone nicht in das Becken des Oce-
ans, wie südlich von dem, ebenfalls kälteren Asien. Das sandbedeckte
Afrika ist so gelegen, daß Europa von den Luftschichten erwärmt wird,
welche, über Afrika aufsteigend, sich vom Aequator gegen den Nordpol
ergiessen. Auch erstreckt sich dieser Welttheil weit weniger gegen den
Nordpol und liegt überdieß dem größten Busen eisfreien Meerwas-
sers gegenüber, den man in der ganzen Polarzone kennt.

Auffallend bemerkbar ist, abgesehen von den Breitengraden, das Clima des
westlichen und östlichen Europa's. Die milde Temperatur des glücklichen Italien,
des vieleingeschnittenen Griechenlands verändert sich, wird kälter und kälter,
je weiter gegen Osten der minder getheilte Continent sich dem compactern
Asien nähert, das da, wo es nicht gewissermassen durch Flüsse aufgeschlossen
ist, auf seine weiten Steppen auch der Culturverbreitung hemmende
Grenzen gesetzt hat.

Zu interessanten Veranlassungen der Beobachtung gehört die große
Flexibilität der menschlichen Organisation, welche die verschiedenartigsten
climatischen Verhältnisse zu ertragen fähig ist. Fröhliche Esquimo's leben un-
ter den Polarkreisen in niedrigen Erdhütten, deren Fenster aus Eis
bestehen und verfolgen stundenlang ihre Beschäftigungen im Freien bei
einer Temperatur von 40° R. Capit. Parry hat mit eigends dazu vor-
gerichteten Alcoholthermometern Monate lang hintereinander in der
Nähe der Hudsons- und Baffinsbay diesen Grad der Kälte beobachtet und
aus seinen eignen Mittheilungen weiß ich, daß in mässig warmer Beklei-
dung er sowohl als seine Begleiter ohne Unbequemlichkeit bei 37° Kälte,
sich im Freien bewegen konnten, freilich aber nur wenn nicht durch
Winde stets neue erkältende Luftschichten herbeigeführt wurden. -
Welch' ein Contrast von diesen eisigen Climaten bis zum rothen Meere,

Unser Europa verdankt sein mittleres Clima seiner Stellung gegen das
nahe Meer und seiner gegliederten Gestaltung. Europa ist der westlichste
Theil des alten Continents und hat also den großen kältemindernden
atlantischen Ocean im Westen. Zwischen den Meridianen, in denen Euro-
pa sich hinstreckt, fällt die Aequatorial-Zone nicht in das Becken des Oce-
ans, wie südlich von dem, ebenfalls kälteren Asien. Das sandbedeckte
Afrika ist so gelegen, daß Europa von den Luftschichten erwärmt wird,
welche, über Afrika aufsteigend, sich vom Aequator gegen den Nordpol
ergiessen. Auch erstreckt sich dieser Welttheil weit weniger gegen den
Nordpol und liegt überdieß dem größten Busen eisfreien Meerwas-
sers gegenüber, den man in der ganzen Polarzone kennt.

Auffallend bemerkbar ist, abgesehen von den Breitengraden, das Clima des
westlichen und östlichen Europa’s. Die milde Temperatur des glücklichen Italien,
des vieleingeschnittenen Griechenlands verändert sich, wird kälter und kälter,
je weiter gegen Osten der minder getheilte Continent sich dem compactern
Asien nähert, das da, wo es nicht gewissermassen durch Flüsse aufgeschlossen
ist, auf seine weiten Steppen auch der Culturverbreitung hemmende
Grenzen gesetzt hat.

Zu interessanten Veranlassungen der Beobachtung gehört die große
Flexibilität der menschlichen Organisation, welche die verschiedenartigsten
climatischen Verhältnisse zu ertragen fähig ist. Fröhliche Esquimo’s leben un-
ter den Polarkreisen in niedrigen Erdhütten, deren Fenster aus Eis
bestehen und verfolgen stundenlang ihre Beschäftigungen im Freien bei
einer Temperatur von 40°− R. Capit. Parry hat mit eigends dazu vor-
gerichteten Alcoholthermometern Monate lang hintereinander in der
Nähe der Hudsons- und Baffinsbay diesen Grad der Kälte beobachtet und
aus seinen eignen Mittheilungen weiß ich, daß in mässig warmer Beklei-
dung er sowohl als seine Begleiter ohne Unbequemlichkeit bei 37°− Kälte,
sich im Freien bewegen konnten, freilich aber nur weñ nicht durch
Winde stets neue erkältende Luftschichten herbeigeführt wurden. –
Welch’ ein Contrast von diesen eisigen Climaten bis zum rothen Meere,

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[62/0066] Unser Europa verdankt sein mittleres Clima seiner Stellung gegen das nahe Meer und seiner gegliederten Gestaltung. Europa ist der westlichste Theil des alten Continents und hat also den großen kältemindernden atlantischen Ocean im Westen. Zwischen den Meridianen, in denen Euro- pa sich hinstreckt, fällt die AequatorialZone nicht in das Becken des Oce- ans, wie südlich von dem, ebenfalls kälteren Asien. Das sandbedeckte Afrika ist so gelegen, daß Europa von den Luftschichten erwärmt wird, welche, über Afrika aufsteigend, sich vom Aequator gegen den Nordpol ergiessen. Auch erstreckt sich dieser Welttheil weit weniger gegen den Nordpol und liegt überdieß dem größten Busen eisfreien Meerwas- sers gegenüber, den man in der ganzen Polarzone kennt. Auffallend bemerkbar ist, abgesehen von den Breitengraden, das Clima des westlichen u östlichen Europa’s. Die milde Temperatur des glücklichen Italien, des vieleingeschnittenen Griechenlands verändert sich, wird kälter u kälter, je weiter gegen Osten der minder getheilte Continent sich dem compactern Asien nähert, das da, wo es nicht gewissermassen durch Flüsse aufgeschlossen ist, auf seine weiten Steppen auch der Culturverbreitung hemmende Grenzen gesetzt hat. Zu interessanten Veranlassungen der Beobachtung gehört die große Flexibilität der menschlichen Organisation, welche die verschiedenartigsten climatischen Verhältnisse zu ertragen fähig ist. Fröhliche Esquimo’s leben un- ter den Polarkreisen in niedrigen Erdhütten, deren Fenster aus Eis bestehen und verfolgen stundenlang ihre Beschäftigungen im Freien bei einer Temperatur von 40°− R. Capit. Parry hat mit eigends dazu vor- gerichteten Alcoholthermometern Monate lang hintereinander in der Nähe der Hudsons- u Baffinsbay diesen Grad der Kälte beobachtet und aus seinen eignen Mittheilungen weiß ich, daß in mässig warmer Beklei- dung er sowohl als seine Begleiter ohne Unbequemlichkeit bei 37°− Kälte, sich im Freien bewegen konnten, freilich aber nur weñ nicht durch Winde stets neue erkältende Luftschichten herbeigeführt wurden. – Welch’ ein Contrast von diesen eisigen Climaten bis zum rothen Meere,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

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  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/66>, abgerufen am 29.03.2024.