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Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.]

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nisch-indischen Völkerstamm der Ussyn in China denken.

Wenn übrigens bei Characterisirung des amerikanischen Stammes auf den ge-
gen die Faciale zurückgedrängten Schädel Rücksicht genommen wird, so muß
man nicht vergessen, daß nicht in allen Fällen diese Bildung natürlich ist,
sondern zum Theil der Gewohnheit einzelner Völkerschaften zugeschrieben
werden muß, welche den Kopf neugeborner Kinder zwischen zwei Brettern
zurückpressen. Dieser unnatürliche Gebrauch ist von großem Einfluß auf
die Bildung des Schädels. Diejenigen Schädel, welche ich auf den alten Schlacht-
feldern der Peruaner gesammelt habe, und von solchen Völkern, bei welchen
diese Gewohnheit nicht herscht, zeigen eine Gesichtslinie von bei weitem
nicht so kleinem Winkel.

Ob die auf altmexikanischen Reliefs vorkommenden Abbildungen ganz be-
sonders großnasiger Menschen einer Art derselben nachgebildet, oder nur
in der Phantasie der Künstler entstanden, ist nicht zu entscheiden. In mythi-
schen Vorstellungen, die sich doch wohl von asiatischen Traditionen her-
schreiben und an unsere eignen früheren religiösen Sagen erinnern, findet
sich dieselbe Darstellungsweise. Die Schlangenfrau Eva, in mexicanischer
Sprache la Sennora de nuestra carne, so wie Coxcox, der Adam, sind beide
auf ähnliche Weise abgebildet.

Der Irrthum eines in andrer Hinsicht verdienten Gelehrten, Meiners, hat
lange dem schändlichen Verkehr des Sclavenhandels zum Vor[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]uwand und
zur Entschuldigung dienen müssen. Meiners hat nehmlich auf das ent-
schiedenste die Ansicht vertheidigt, daß das Menschengeschlecht augenschein-
lich in 2 bestimmt verschiedene Klassen zu trennen sei. Er nimmt an, daß
es eine schöne, weisse Menschenrace gebe, der höhern Intelligenz fähig,
und eine zweite häßliche, böse, dunkelgefärbte, stumpfsinnige, die er
sogar die unvollkommnere nennt und zu ewiger Sclaverei verdammt
glaubt. - Noch mehr hat man die menschlichen Natur entadelt, indem
man auf der Stufenleiter der Humanität sogar den Uebergang gesucht
hat, der unser Geschlecht an die Thiere knüpft, und den man in der Ver-
wandschaft des gefabelten Orang-Utang mit dem Jocko, von diesem

nisch-indischen Völkerstam̃ der Ussyn in China denken.

Weñ übrigens bei Characterisirung des amerikanischen Stam̃es auf den ge-
gen die Faciale zurückgedrängten Schädel Rücksicht genom̃en wird, so muß
man nicht vergessen, daß nicht in allen Fällen diese Bildung natürlich ist,
sondern zum Theil der Gewohnheit einzelner Völkerschaften zugeschrieben
werden muß, welche den Kopf neugeborner Kinder zwischen zwei Brettern
zurückpressen. Dieser unnatürliche Gebrauch ist von großem Einfluß auf
die Bildung des Schädels. Diejenigen Schädel, welche ich auf den alten Schlacht-
feldern der Peruaner gesam̃elt habe, und von solchen Völkern, bei welchen
diese Gewohnheit nicht herscht, zeigen eine Gesichtslinie von bei weitem
nicht so kleinem Winkel.

Ob die auf altmexikanischen Reliefs vorkom̃enden Abbildungen ganz be-
sonders großnasiger Menschen einer Art derselben nachgebildet, oder nur
in der Phantasie der Künstler entstanden, ist nicht zu entscheiden. In mythi-
schen Vorstellungen, die sich doch wohl von asiatischen Traditionen her-
schreiben und an unsere eignen früheren religiösen Sagen eriñern, findet
sich dieselbe Darstellungsweise. Die Schlangenfrau Eva, in mexicanischer
Sprache la Señora de nuestra carne, so wie Coxcox, der Adam, sind beide
auf ähnliche Weise abgebildet.

Der Irrthum eines in andrer Hinsicht verdienten Gelehrten, Meiners, hat
lange dem schändlichen Verkehr des Sclavenhandels zum Vor[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]uwand und
zur Entschuldigung dienen müssen. Meiners hat nehmlich auf das ent-
schiedenste die Ansicht vertheidigt, daß das Menschengeschlecht augenschein-
lich in 2 bestim̃t verschiedene Klassen zu treñen sei. Er nim̃t an, daß
es eine schöne, weisse Menschenrace gebe, der höhern Intelligenz fähig,
und eine zweite häßliche, böse, dunkelgefärbte, stumpfsiñige, die er
sogar die unvollkom̃nere neñt und zu ewiger Sclaverei verdam̃t
glaubt. – Noch mehr hat man die menschlichen Natur entadelt, indem
man auf der Stufenleiter der Humanität sogar den Uebergang gesucht
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wandschaft des gefabelten Orang-Utang mit dem Jocko, von diesem

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[90/0094] nisch indischen Völkerstam̃ der Ussyn in China denken. Weñ übrigens bei Characterisirung des amerikanischen Stam̃es auf den ge- gen die Faciale zurückgedrängten Schädel Rücksicht genom̃en wird, so muß man nicht vergessen, daß nicht in allen Fällen diese Bildung natürlich ist, sondern zum Theil der Gewohnheit einzelner Völkerschaften zugeschrieben werden muß, welche den Kopf neugeborner Kinder zwischen zwei Brettern zurückpressen. Dieser unnatürliche Gebrauch ist von großem Einfluß auf die Bildung des Schädels. Diejenigen Schädel, welche ich auf den alten Schlacht- feldern der Peruaner gesam̃elt habe, u von solchen Völkern, bei welchen diese Gewohnheit nicht herscht, zeigen eine Gesichtslinie von bei weitem nicht so kleinem Winkel. Ob die auf altmexikanischen Reliefs vorkom̃enden Abbildungen ganz be- sonders großnasiger Menschen einer Art derselben nachgebildet, oder nur in der Phantasie der Künstler entstanden, ist nicht zu entscheiden. In mythi- schen Vorstellungen, die sich doch wohl von asiatischen Traditionen her- schreiben u an unsere eignen früheren religiösen Sagen eriñern, findet sich dieselbe Darstellungsweise. Die Schlangenfrau Eva, in mexicanischer Sprache la Señora de nuestra carne, so wie Coxcox, der Adam, sind beide auf ähnliche Weise abgebildet. Der Irrthum eines in andrer Hinsicht verdienten Gelehrten, Meiners, hat lange dem schändlichen Verkehr des Sclavenhandels zum Vor_uwand und zur Entschuldigung dienen müssen. Meiners hat nehmlich auf das ent- schiedenste die Ansicht vertheidigt, daß das Menschengeschlecht augenschein- lich in 2 bestim̃t verschiedene Klassen zu treñen sei. Er nim̃t an, daß es eine schöne, weisse Menschenrace gebe, der höhern Intelligenz fähig, und eine zweite häßliche, böse, dunkelgefärbte, stumpfsiñige, die er sogar die unvollkom̃nere neñt u zu ewiger Sclaverei verdam̃t glaubt. – Noch mehr hat man die menschlichen Natur entadelt, indem man auf der Stufenleiter der Humanität sogar den Uebergang gesucht hat, der unser Geschlecht an die Thiere knüpft, u den man in der Ver- wandschaft des gefabelten Orang-Utang mit dem Jocko, von diesem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Tina Krell, Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Nalan Lom: Bilddigitalisierung

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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription von [N. N.]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1827/28] anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • I/J: Lautwert transkribiert



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Zitationshilfe: Hufeland, Otto: Vorlesungen über physicalische Geographie von A. v. Humboldt. [G]eschrieben im Sommer 1829 durch Otto Hufeland. [Berlin], [ca. 1829]. [= Abschrift einer Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_privatbesitz_1829/94>, abgerufen am 24.04.2024.