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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Vierzehntes Kapitel.

Erdbeben von Caracas. -- Zusammenhang zwischen dieser Erschei-
nung und den vulkanischen Ausbrüchen auf den Antillen.

Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abend-
kühle, um unsere Reise an den Orinoko anzutreten. Die Er-
innerung an diesen Abschied ist uns heute schmerzlicher als
vor einigen Jahren. Unsere Freunde haben in den blutigen
Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt
brachten, jetzt wieder entrissen, das Leben verloren. Das
Haus, in dem wir wohnten, ist nur noch ein Schutthaufen.
Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche umgewandelt; die
Stadt, die ich beschrieben habe, ist verschwunden. An der-
selben Stelle, auf diesem zerklüfteten Boden, erhebt sich all-
mählich eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber
einer zahlreichen Bevölkerung, dienen bereits wieder Menschen
zur Wohnung.

Die großen Ereignisse, von denen ich hier spreche, und
welche die allgemeinste Teilnahme erregt haben, fallen lange
nach meiner Rückkehr nach Europa. Ueber die politischen
Stürme, über die Veränderungen, welche in den gesellschaft-
lichen Zuständen eingetreten, gehe ich hier weg. Die neueren
Völker sind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und ver-
zeichnen sorgfältig die Geschichte der menschlichen Umwälzungen,
und damit die Geschichte ungezügelter Leidenschaften und ein-
gewurzelten Hasses. Mit den Umwälzungen in der äußeren
Natur ist es anders; man kümmert sich wenig darum, sie
genau zu beschreiben, vollends nicht, wenn sie in die Zeiten
bürgerlicher Zwiste fallen. Die Erdbeben, die vulkanischen
Ausbrüche wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen
des Unheils, das notwendig ihre Folge ist. Die Ueberlieferung
greift vorzugsweise nach allem Gestaltlosen und Wunderbaren,
und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des

Vierzehntes Kapitel.

Erdbeben von Caracas. — Zuſammenhang zwiſchen dieſer Erſchei-
nung und den vulkaniſchen Ausbrüchen auf den Antillen.

Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abend-
kühle, um unſere Reiſe an den Orinoko anzutreten. Die Er-
innerung an dieſen Abſchied iſt uns heute ſchmerzlicher als
vor einigen Jahren. Unſere Freunde haben in den blutigen
Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt
brachten, jetzt wieder entriſſen, das Leben verloren. Das
Haus, in dem wir wohnten, iſt nur noch ein Schutthaufen.
Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche umgewandelt; die
Stadt, die ich beſchrieben habe, iſt verſchwunden. An der-
ſelben Stelle, auf dieſem zerklüfteten Boden, erhebt ſich all-
mählich eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber
einer zahlreichen Bevölkerung, dienen bereits wieder Menſchen
zur Wohnung.

Die großen Ereigniſſe, von denen ich hier ſpreche, und
welche die allgemeinſte Teilnahme erregt haben, fallen lange
nach meiner Rückkehr nach Europa. Ueber die politiſchen
Stürme, über die Veränderungen, welche in den geſellſchaft-
lichen Zuſtänden eingetreten, gehe ich hier weg. Die neueren
Völker ſind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und ver-
zeichnen ſorgfältig die Geſchichte der menſchlichen Umwälzungen,
und damit die Geſchichte ungezügelter Leidenſchaften und ein-
gewurzelten Haſſes. Mit den Umwälzungen in der äußeren
Natur iſt es anders; man kümmert ſich wenig darum, ſie
genau zu beſchreiben, vollends nicht, wenn ſie in die Zeiten
bürgerlicher Zwiſte fallen. Die Erdbeben, die vulkaniſchen
Ausbrüche wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen
des Unheils, das notwendig ihre Folge iſt. Die Ueberlieferung
greift vorzugsweiſe nach allem Geſtaltloſen und Wunderbaren,
und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des

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[[148]/0156] Vierzehntes Kapitel. Erdbeben von Caracas. — Zuſammenhang zwiſchen dieſer Erſchei- nung und den vulkaniſchen Ausbrüchen auf den Antillen. Wir verließen Caracas am 7. Februar in der Abend- kühle, um unſere Reiſe an den Orinoko anzutreten. Die Er- innerung an dieſen Abſchied iſt uns heute ſchmerzlicher als vor einigen Jahren. Unſere Freunde haben in den blutigen Bürgerkriegen, die jenen fernen Ländern die Freiheit jetzt brachten, jetzt wieder entriſſen, das Leben verloren. Das Haus, in dem wir wohnten, iſt nur noch ein Schutthaufen. Furchtbare Erdbeben haben die Bodenfläche umgewandelt; die Stadt, die ich beſchrieben habe, iſt verſchwunden. An der- ſelben Stelle, auf dieſem zerklüfteten Boden, erhebt ſich all- mählich eine neue Stadt. Die Trümmerhaufen, die Gräber einer zahlreichen Bevölkerung, dienen bereits wieder Menſchen zur Wohnung. Die großen Ereigniſſe, von denen ich hier ſpreche, und welche die allgemeinſte Teilnahme erregt haben, fallen lange nach meiner Rückkehr nach Europa. Ueber die politiſchen Stürme, über die Veränderungen, welche in den geſellſchaft- lichen Zuſtänden eingetreten, gehe ich hier weg. Die neueren Völker ſind bedacht für ihren Ruf bei der Nachwelt und ver- zeichnen ſorgfältig die Geſchichte der menſchlichen Umwälzungen, und damit die Geſchichte ungezügelter Leidenſchaften und ein- gewurzelten Haſſes. Mit den Umwälzungen in der äußeren Natur iſt es anders; man kümmert ſich wenig darum, ſie genau zu beſchreiben, vollends nicht, wenn ſie in die Zeiten bürgerlicher Zwiſte fallen. Die Erdbeben, die vulkaniſchen Ausbrüche wirken gewaltig auf die Einbildungskraft wegen des Unheils, das notwendig ihre Folge iſt. Die Ueberlieferung greift vorzugsweiſe nach allem Geſtaltloſen und Wunderbaren, und bei großen allgemeinen Unfällen, wie beim Unglück des

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. [148]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/156>, abgerufen am 23.04.2024.