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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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einander eifersüchtiger Gewalten, der Bischöfe und der Statt-
halter, zu entziehen; abgesehen von ihrer Politik hatten die
Jesuiten noch andere Gründe, wenn sie gewisse indianische
Sprachen zu verbreiten suchten. Diese Sprachen boten ihnen
ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu
schlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich gesinnt,
durch die Sprachverschiedenheit geschieden waren; denn in
unkultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren
Jahrhunderten nicht selten die Form oder doch das Aussehen
von Ursprachen.

Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutsch, ein
Spanier leichter Italienisch oder Lateinisch als jede andere
Sprache, so meint man zunächst, dies rühre daher, daß alle
germanischen Sprachen oder alle Sprachen des lateinischen
Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben;
man vergißt, daß es neben dieser Aehnlichkeit der Laute eine
andere gibt, die Völker von gemeinsamem Ursprung noch un-
gleich tiefer anregt. Die Sprache ist keineswegs ein Ergebnis
willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen,
die grammatischen Formen, die Möglichkeit der Inversionen,
alles ist ein Ausfluß unseres Inneren, unserer eigentümlichen
Organisation. Im Menschen lebt ein unbewußt thätiges und
ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verschiedener Rasse
auch verschieden angelegt ist. Das mehr oder weniger rauhe
Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer,
die ganze Lebensweise mögen die Laute umwandeln, die
Gemeinsamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer
neue erzeugen; aber alle diese Ursachen lassen den Bau und
das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüsse
des Klimas und aller äußeren Verhältnisse sind ein verschwin-
dendes Moment dem gegenüber, was der Rassencharakter
wirkt, die Gesamtheit der dem Menschen eigentümlichen, sich
vererbenden Anlagen.

In Amerika nun -- und dieses Ergebnis der neuesten
Forschungen ist für die Geschichte unserer Gattung von der
höchsten Bedeutung -- in Amerika haben vom Lande der
Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieses
Flusses bis zum Eise der Magelhaensschen Meerenge den Wur-
zeln nach ganz verschiedene Stammsprachen sozusagen die-
selbe Physiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie
die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Mexi-
kanische, sondern auch sehr rohe Sprachen zeigen in ihrem

einander eiferſüchtiger Gewalten, der Biſchöfe und der Statt-
halter, zu entziehen; abgeſehen von ihrer Politik hatten die
Jeſuiten noch andere Gründe, wenn ſie gewiſſe indianiſche
Sprachen zu verbreiten ſuchten. Dieſe Sprachen boten ihnen
ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu
ſchlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich geſinnt,
durch die Sprachverſchiedenheit geſchieden waren; denn in
unkultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren
Jahrhunderten nicht ſelten die Form oder doch das Ausſehen
von Urſprachen.

Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutſch, ein
Spanier leichter Italieniſch oder Lateiniſch als jede andere
Sprache, ſo meint man zunächſt, dies rühre daher, daß alle
germaniſchen Sprachen oder alle Sprachen des lateiniſchen
Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben;
man vergißt, daß es neben dieſer Aehnlichkeit der Laute eine
andere gibt, die Völker von gemeinſamem Urſprung noch un-
gleich tiefer anregt. Die Sprache iſt keineswegs ein Ergebnis
willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen,
die grammatiſchen Formen, die Möglichkeit der Inverſionen,
alles iſt ein Ausfluß unſeres Inneren, unſerer eigentümlichen
Organiſation. Im Menſchen lebt ein unbewußt thätiges und
ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verſchiedener Raſſe
auch verſchieden angelegt iſt. Das mehr oder weniger rauhe
Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer,
die ganze Lebensweiſe mögen die Laute umwandeln, die
Gemeinſamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer
neue erzeugen; aber alle dieſe Urſachen laſſen den Bau und
das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüſſe
des Klimas und aller äußeren Verhältniſſe ſind ein verſchwin-
dendes Moment dem gegenüber, was der Raſſencharakter
wirkt, die Geſamtheit der dem Menſchen eigentümlichen, ſich
vererbenden Anlagen.

In Amerika nun — und dieſes Ergebnis der neueſten
Forſchungen iſt für die Geſchichte unſerer Gattung von der
höchſten Bedeutung — in Amerika haben vom Lande der
Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieſes
Fluſſes bis zum Eiſe der Magelhaensſchen Meerenge den Wur-
zeln nach ganz verſchiedene Stammſprachen ſozuſagen die-
ſelbe Phyſiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie
die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Mexi-
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[23/0031] einander eiferſüchtiger Gewalten, der Biſchöfe und der Statt- halter, zu entziehen; abgeſehen von ihrer Politik hatten die Jeſuiten noch andere Gründe, wenn ſie gewiſſe indianiſche Sprachen zu verbreiten ſuchten. Dieſe Sprachen boten ihnen ein bequemes Mittel, um ein Band um zahlreiche Horden zu ſchlingen, die bis jetzt vereinzelt, einander feindlich geſinnt, durch die Sprachverſchiedenheit geſchieden waren; denn in unkultivierten Ländern bekommen die Dialekte nach mehreren Jahrhunderten nicht ſelten die Form oder doch das Ausſehen von Urſprachen. Wenn es heißt, ein Däne lerne leichter Deutſch, ein Spanier leichter Italieniſch oder Lateiniſch als jede andere Sprache, ſo meint man zunächſt, dies rühre daher, daß alle germaniſchen Sprachen oder alle Sprachen des lateiniſchen Europas eine Menge Wurzeln miteinander gemein haben; man vergißt, daß es neben dieſer Aehnlichkeit der Laute eine andere gibt, die Völker von gemeinſamem Urſprung noch un- gleich tiefer anregt. Die Sprache iſt keineswegs ein Ergebnis willkürlicher Uebereinkunft; der Mechanismus der Flexionen, die grammatiſchen Formen, die Möglichkeit der Inverſionen, alles iſt ein Ausfluß unſeres Inneren, unſerer eigentümlichen Organiſation. Im Menſchen lebt ein unbewußt thätiges und ordnendes Prinzip, das bei Völkern von verſchiedener Raſſe auch verſchieden angelegt iſt. Das mehr oder weniger rauhe Klima, der Aufenthalt im Hochgebirge oder am Meeresufer, die ganze Lebensweiſe mögen die Laute umwandeln, die Gemeinſamkeit der Wurzeln unkenntlich machen und ihrer neue erzeugen; aber alle dieſe Urſachen laſſen den Bau und das innere Getriebe der Sprachen unberührt. Die Einflüſſe des Klimas und aller äußeren Verhältniſſe ſind ein verſchwin- dendes Moment dem gegenüber, was der Raſſencharakter wirkt, die Geſamtheit der dem Menſchen eigentümlichen, ſich vererbenden Anlagen. In Amerika nun — und dieſes Ergebnis der neueſten Forſchungen iſt für die Geſchichte unſerer Gattung von der höchſten Bedeutung — in Amerika haben vom Lande der Eskimo bis zum Orinoko, und von den heißen Ufern dieſes Fluſſes bis zum Eiſe der Magelhaensſchen Meerenge den Wur- zeln nach ganz verſchiedene Stammſprachen ſozuſagen die- ſelbe Phyſiognomie. Nicht allein ausgebildete Sprachen, wie die der Inka, das Aymara, Guarani, Cora und das Mexi- kaniſche, ſondern auch ſehr rohe Sprachen zeigen in ihrem

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/31>, abgerufen am 28.03.2024.