Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Man sagte mir, die kleinen Insekten aus der Familie
der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die gesellig
lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man sieht an ge-
wissen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erscheinen,
deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda-
lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine
andere Culexart gekannt als den Jejen. Man hatte bei
Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinsekt ist. Seit dem
Jahre 1801 aber ist die große Schnake mit blauen Flügeln
(Culex cyanopterus) in solchen Massen erschienen, daß die
armen Einwohner von Simiti nicht wissen, wie sie sich Nacht-
ruhe verschaffen sollen. In den sumpfigen Kanälen (esteros)
auf der Insel Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß-
lichte Mücke, Cafasi genannt. Sie ist mit dem bloßen
Auge kaum sichtbar und verursacht doch äußerst schmerzhafte
Geschwülste. Man muß die Toldos oder Baumwollen-
gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der
Cafasi nicht zwischen den gekreuzten Fäden durchschlüpfen
kann. Dieses zum Glück sonst ziemlich seltene Insekt geht
im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis
Morales hinauf. Als wir im Mai in dieses Dorf kamen,
trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an,
aber keine Jejen mehr.

Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima scheinen
bei denselben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirksam-
keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem schneidenden und
am unteren Ende gezahnten Saugrüssel ergießen, Einfluß zu
äußern. Am Orinoko sind die lästigsten oder, wie die Kreolen
sagen, die wildesten (los mas feroces) Insekten die an den
großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag-
dalenenstrom ist der Culex cyanopterus besonders in Mompox,
Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er ist dort größer und
stärker und seine Beine sind schwärzer. Man kann sich des
Lächelns nicht enthalten, wenn man die Missionäre über Größe
und Gefräßigkeit der Moskiten in verschiedenen Strichen des-
selben Flusses streiten hört. Mitten in einem Lande, wo
man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, ist
dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. "Wie sehr be-
daure ich Euch!" sagte beim Abschied der Missionär aus den
Raudales zu dem am Cassiquiare. "Ihr seid allein wie ich
in diesem Lande der Tiger und der Affen; Fische gibt es
hier noch weniger, und heißer ist es auch; was aber meine

Man ſagte mir, die kleinen Inſekten aus der Familie
der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die geſellig
lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man ſieht an ge-
wiſſen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erſcheinen,
deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda-
lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine
andere Culexart gekannt als den Jejen. Man hatte bei
Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinſekt iſt. Seit dem
Jahre 1801 aber iſt die große Schnake mit blauen Flügeln
(Culex cyanopterus) in ſolchen Maſſen erſchienen, daß die
armen Einwohner von Simiti nicht wiſſen, wie ſie ſich Nacht-
ruhe verſchaffen ſollen. In den ſumpfigen Kanälen (esteros)
auf der Inſel Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß-
lichte Mücke, Cafaſi genannt. Sie iſt mit dem bloßen
Auge kaum ſichtbar und verurſacht doch äußerſt ſchmerzhafte
Geſchwülſte. Man muß die Toldos oder Baumwollen-
gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der
Cafaſi nicht zwiſchen den gekreuzten Fäden durchſchlüpfen
kann. Dieſes zum Glück ſonſt ziemlich ſeltene Inſekt geht
im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis
Morales hinauf. Als wir im Mai in dieſes Dorf kamen,
trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an,
aber keine Jejen mehr.

Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima ſcheinen
bei denſelben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirkſam-
keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem ſchneidenden und
am unteren Ende gezahnten Saugrüſſel ergießen, Einfluß zu
äußern. Am Orinoko ſind die läſtigſten oder, wie die Kreolen
ſagen, die wildeſten (los mas feroces) Inſekten die an den
großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag-
dalenenſtrom iſt der Culex cyanopterus beſonders in Mompox,
Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er iſt dort größer und
ſtärker und ſeine Beine ſind ſchwärzer. Man kann ſich des
Lächelns nicht enthalten, wenn man die Miſſionäre über Größe
und Gefräßigkeit der Moskiten in verſchiedenen Strichen des-
ſelben Fluſſes ſtreiten hört. Mitten in einem Lande, wo
man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, iſt
dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. „Wie ſehr be-
daure ich Euch!“ ſagte beim Abſchied der Miſſionär aus den
Raudales zu dem am Caſſiquiare. „Ihr ſeid allein wie ich
in dieſem Lande der Tiger und der Affen; Fiſche gibt es
hier noch weniger, und heißer iſt es auch; was aber meine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0162" n="154"/>
          <p>Man &#x017F;agte mir, die kleinen In&#x017F;ekten aus der Familie<lb/>
der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die ge&#x017F;ellig<lb/>
lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man &#x017F;ieht an ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten er&#x017F;cheinen,<lb/>
deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda-<lb/>
lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine<lb/>
andere Culexart gekannt als den <hi rendition="#g">Jejen</hi>. Man hatte bei<lb/>
Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtin&#x017F;ekt i&#x017F;t. Seit dem<lb/>
Jahre 1801 aber i&#x017F;t die große Schnake mit blauen Flügeln<lb/>
(<hi rendition="#aq">Culex cyanopterus</hi>) in &#x017F;olchen Ma&#x017F;&#x017F;en er&#x017F;chienen, daß die<lb/>
armen Einwohner von Simiti nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ie &#x017F;ich Nacht-<lb/>
ruhe ver&#x017F;chaffen &#x017F;ollen. In den &#x017F;umpfigen Kanälen (<hi rendition="#aq">esteros</hi>)<lb/>
auf der In&#x017F;el Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß-<lb/>
lichte Mücke, <hi rendition="#g">Cafa&#x017F;i</hi> genannt. Sie i&#x017F;t mit dem bloßen<lb/>
Auge kaum &#x017F;ichtbar und verur&#x017F;acht doch äußer&#x017F;t &#x017F;chmerzhafte<lb/>
Ge&#x017F;chwül&#x017F;te. Man muß die <hi rendition="#g">Toldos</hi> oder Baumwollen-<lb/>
gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der<lb/>
Cafa&#x017F;i nicht zwi&#x017F;chen den gekreuzten Fäden durch&#x017F;chlüpfen<lb/>
kann. Die&#x017F;es zum Glück &#x017F;on&#x017F;t ziemlich &#x017F;eltene In&#x017F;ekt geht<lb/>
im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis<lb/>
Morales hinauf. Als wir im Mai in die&#x017F;es Dorf kamen,<lb/>
trafen wir Mücken der Gattung <hi rendition="#aq">Simulium</hi> und Zancudos an,<lb/>
aber keine Jejen mehr.</p><lb/>
          <p>Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima &#x017F;cheinen<lb/>
bei den&#x017F;elben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirk&#x017F;am-<lb/>
keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem &#x017F;chneidenden und<lb/>
am unteren Ende gezahnten Saugrü&#x017F;&#x017F;el ergießen, Einfluß zu<lb/>
äußern. Am Orinoko &#x017F;ind die lä&#x017F;tig&#x017F;ten oder, wie die Kreolen<lb/>
&#x017F;agen, die wilde&#x017F;ten (<hi rendition="#aq">los mas feroces</hi>) In&#x017F;ekten die an den<lb/>
großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag-<lb/>
dalenen&#x017F;trom i&#x017F;t der <hi rendition="#aq">Culex cyanopterus</hi> be&#x017F;onders in Mompox,<lb/>
Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er i&#x017F;t dort größer und<lb/>
&#x017F;tärker und &#x017F;eine Beine &#x017F;ind &#x017F;chwärzer. Man kann &#x017F;ich des<lb/>
Lächelns nicht enthalten, wenn man die Mi&#x017F;&#x017F;ionäre über Größe<lb/>
und Gefräßigkeit der Moskiten in ver&#x017F;chiedenen Strichen des-<lb/>
&#x017F;elben Flu&#x017F;&#x017F;es &#x017F;treiten hört. Mitten in einem Lande, wo<lb/>
man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, i&#x017F;t<lb/>
dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. &#x201E;Wie &#x017F;ehr be-<lb/>
daure ich Euch!&#x201C; &#x017F;agte beim Ab&#x017F;chied der Mi&#x017F;&#x017F;ionär aus den<lb/>
Raudales zu dem am Ca&#x017F;&#x017F;iquiare. &#x201E;Ihr &#x017F;eid allein wie ich<lb/>
in die&#x017F;em Lande der Tiger und der Affen; Fi&#x017F;che gibt es<lb/>
hier noch weniger, und heißer i&#x017F;t es auch; was aber meine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0162] Man ſagte mir, die kleinen Inſekten aus der Familie der Nemoceren wandern von Zeit zu Zeit, wie die geſellig lebenden Affen der Gruppe der Aluaten. Man ſieht an ge- wiſſen Orten mit dem Eintritt der Regenzeit Arten erſcheinen, deren Stich man bis dahin nicht empfunden. Auf dem Magda- lenenfluß erfuhren wir, in Simiti habe man früher keine andere Culexart gekannt als den Jejen. Man hatte bei Nacht Ruhe, weil der Jejen kein Nachtinſekt iſt. Seit dem Jahre 1801 aber iſt die große Schnake mit blauen Flügeln (Culex cyanopterus) in ſolchen Maſſen erſchienen, daß die armen Einwohner von Simiti nicht wiſſen, wie ſie ſich Nacht- ruhe verſchaffen ſollen. In den ſumpfigen Kanälen (esteros) auf der Inſel Baru bei Cartagena lebt eine kleine weiß- lichte Mücke, Cafaſi genannt. Sie iſt mit dem bloßen Auge kaum ſichtbar und verurſacht doch äußerſt ſchmerzhafte Geſchwülſte. Man muß die Toldos oder Baumwollen- gewebe, die als Mückennetze dienen, anfeuchten, damit der Cafaſi nicht zwiſchen den gekreuzten Fäden durchſchlüpfen kann. Dieſes zum Glück ſonſt ziemlich ſeltene Inſekt geht im Januar auf dem Kanal oder Dique von Mahates bis Morales hinauf. Als wir im Mai in dieſes Dorf kamen, trafen wir Mücken der Gattung Simulium und Zancudos an, aber keine Jejen mehr. Kleine Abweichungen in Nahrung und Klima ſcheinen bei denſelben Mücken- und Schnakenarten auf die Wirkſam- keit des Giftes, das die Tiere aus ihrem ſchneidenden und am unteren Ende gezahnten Saugrüſſel ergießen, Einfluß zu äußern. Am Orinoko ſind die läſtigſten oder, wie die Kreolen ſagen, die wildeſten (los mas feroces) Inſekten die an den großen Katarakten, in Esmeralda und Mandavaca. Im Mag- dalenenſtrom iſt der Culex cyanopterus beſonders in Mompox, Chilloa und Tamalameque gefürchtet. Er iſt dort größer und ſtärker und ſeine Beine ſind ſchwärzer. Man kann ſich des Lächelns nicht enthalten, wenn man die Miſſionäre über Größe und Gefräßigkeit der Moskiten in verſchiedenen Strichen des- ſelben Fluſſes ſtreiten hört. Mitten in einem Lande, wo man gar nicht weiß, was in der übrigen Welt vorgeht, iſt dies das Lieblingsthema der Unterhaltung. „Wie ſehr be- daure ich Euch!“ ſagte beim Abſchied der Miſſionär aus den Raudales zu dem am Caſſiquiare. „Ihr ſeid allein wie ich in dieſem Lande der Tiger und der Affen; Fiſche gibt es hier noch weniger, und heißer iſt es auch; was aber meine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/162
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/162>, abgerufen am 23.04.2024.