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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Missionär versichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis
drei Monaten, wo sie Sejesaft trinken, sichtlich fetter; sie brocken
Kassavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianischen Gaukler,
gehen in die Wälder und blasen unter der Sejepalme auf dem
Botuto (der heiligen Trompete). "Dadurch," sagen sie, "wird
der Baum gezwungen, im folgenden Jahre reichen Ertrag zu
geben." Das Volk bezahlt für diese Zeremonie, wie man bei
den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei
uns, Schamanen, Marabutin und andere Arten von Priestern
dafür bezahlt, daß sie mit Zaubersprüchen oder Gebeten die
weißen Ameisen und die Heuschrecken vertreiben, oder lang-
anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der
Jahreszeiten verkehren.

"Tengo en mi pueblo la fabrica de loza" (ich habe
in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), sprach Pater Zea und
führte uns zu einer indianischen Familie, die beschäftigt war,
unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große,
75 cm hohe Thongefäße zu brennen. Dieses Gewerbe ist den
verschiedenen Zweigen des großen Volksstammes der Maypures
eigentümlich und sie scheinen dasselbe seit unvordenklicher Zeit
zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem mensch-
lichen Wohnsitz, stößt man, wenn man den Boden aufgräbt,
auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Lieb-
haberei für diese Arbeit scheint früher unter den Ureinwohnern
Nord- und Südamerikas gleich verbreitet gewesen zu sein.
Im Norden von Mexiko, am Rio Gila, in den Trümmern
einer aztekischen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den
Grabhügeln der Miami, in Florida und überall, wo sich
Spuren einer alten Kultur finden, birgt der Boden Scherben
von bemalten Geschirren. Und höchst auffallend ist die durch-
gängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und
solche civilisierten Völker, die durch ihre staatlichen und reli-
giösen Einrichtungen dazu verurteilt sind, immer nur selbst zu
kopieren,1 treibt ein gewisser Instinkt, immer dieselben Formen
zu wiederholen, an einem eigentümlichen Typus oder Stil fest-
zuhalten, immer nach denselben Handgriffen und Methoden
zu arbeiten, wie schon die Vorfahren sie gekannt. In Nord-

1 Die Hindu, die Tibetaner, die Chinesen, die alten Aegypter,
die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Massenkultur
die freie Entwickelung der Geistesthätigkeit in den Individuen
niederhielt.

Miſſionär verſichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis
drei Monaten, wo ſie Sejeſaft trinken, ſichtlich fetter; ſie brocken
Kaſſavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianiſchen Gaukler,
gehen in die Wälder und blaſen unter der Sejepalme auf dem
Botuto (der heiligen Trompete). „Dadurch,“ ſagen ſie, „wird
der Baum gezwungen, im folgenden Jahre reichen Ertrag zu
geben.“ Das Volk bezahlt für dieſe Zeremonie, wie man bei
den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei
uns, Schamanen, Marabutin und andere Arten von Prieſtern
dafür bezahlt, daß ſie mit Zauberſprüchen oder Gebeten die
weißen Ameiſen und die Heuſchrecken vertreiben, oder lang-
anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der
Jahreszeiten verkehren.

„Tengo en mi pueblo la fabrica de loza“ (ich habe
in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), ſprach Pater Zea und
führte uns zu einer indianiſchen Familie, die beſchäftigt war,
unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große,
75 cm hohe Thongefäße zu brennen. Dieſes Gewerbe iſt den
verſchiedenen Zweigen des großen Volksſtammes der Maypures
eigentümlich und ſie ſcheinen dasſelbe ſeit unvordenklicher Zeit
zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menſch-
lichen Wohnſitz, ſtößt man, wenn man den Boden aufgräbt,
auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Lieb-
haberei für dieſe Arbeit ſcheint früher unter den Ureinwohnern
Nord- und Südamerikas gleich verbreitet geweſen zu ſein.
Im Norden von Mexiko, am Rio Gila, in den Trümmern
einer aztekiſchen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den
Grabhügeln der Miami, in Florida und überall, wo ſich
Spuren einer alten Kultur finden, birgt der Boden Scherben
von bemalten Geſchirren. Und höchſt auffallend iſt die durch-
gängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und
ſolche civiliſierten Völker, die durch ihre ſtaatlichen und reli-
giöſen Einrichtungen dazu verurteilt ſind, immer nur ſelbſt zu
kopieren,1 treibt ein gewiſſer Inſtinkt, immer dieſelben Formen
zu wiederholen, an einem eigentümlichen Typus oder Stil feſt-
zuhalten, immer nach denſelben Handgriffen und Methoden
zu arbeiten, wie ſchon die Vorfahren ſie gekannt. In Nord-

1 Die Hindu, die Tibetaner, die Chineſen, die alten Aegypter,
die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Maſſenkultur
die freie Entwickelung der Geiſtesthätigkeit in den Individuen
niederhielt.
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[175/0183] Miſſionär verſichert, die Eingeborenen werden in den zwei bis drei Monaten, wo ſie Sejeſaft trinken, ſichtlich fetter; ſie brocken Kaſſavekuchen hinein. Die Piaches, oder indianiſchen Gaukler, gehen in die Wälder und blaſen unter der Sejepalme auf dem Botuto (der heiligen Trompete). „Dadurch,“ ſagen ſie, „wird der Baum gezwungen, im folgenden Jahre reichen Ertrag zu geben.“ Das Volk bezahlt für dieſe Zeremonie, wie man bei den Mongolen, Mauren, und manchen Völkern noch näher bei uns, Schamanen, Marabutin und andere Arten von Prieſtern dafür bezahlt, daß ſie mit Zauberſprüchen oder Gebeten die weißen Ameiſen und die Heuſchrecken vertreiben, oder lang- anhaltendem Regen ein Ende machen und die Ordnung der Jahreszeiten verkehren. „Tengo en mi pueblo la fabrica de loza“ (ich habe in meinem Dorfe eine Steingutfabrik), ſprach Pater Zea und führte uns zu einer indianiſchen Familie, die beſchäftigt war, unter freiem Himmel an einem Feuer von Strauchwerk große, 75 cm hohe Thongefäße zu brennen. Dieſes Gewerbe iſt den verſchiedenen Zweigen des großen Volksſtammes der Maypures eigentümlich und ſie ſcheinen dasſelbe ſeit unvordenklicher Zeit zu treiben. Ueberall in den Wäldern, weit von jedem menſch- lichen Wohnſitz, ſtößt man, wenn man den Boden aufgräbt, auf Scherben von Töpfen und bemaltem Steingut. Die Lieb- haberei für dieſe Arbeit ſcheint früher unter den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas gleich verbreitet geweſen zu ſein. Im Norden von Mexiko, am Rio Gila, in den Trümmern einer aztekiſchen Stadt, in den Vereinigten Staaten bei den Grabhügeln der Miami, in Florida und überall, wo ſich Spuren einer alten Kultur finden, birgt der Boden Scherben von bemalten Geſchirren. Und höchſt auffallend iſt die durch- gängige große Aehnlichkeit der Verzierungen. Die wilden und ſolche civiliſierten Völker, die durch ihre ſtaatlichen und reli- giöſen Einrichtungen dazu verurteilt ſind, immer nur ſelbſt zu kopieren, 1 treibt ein gewiſſer Inſtinkt, immer dieſelben Formen zu wiederholen, an einem eigentümlichen Typus oder Stil feſt- zuhalten, immer nach denſelben Handgriffen und Methoden zu arbeiten, wie ſchon die Vorfahren ſie gekannt. In Nord- 1 Die Hindu, die Tibetaner, die Chineſen, die alten Aegypter, die Azteken, die Peruaner, bei denen der Trieb zur Maſſenkultur die freie Entwickelung der Geiſtesthätigkeit in den Individuen niederhielt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/183>, abgerufen am 28.03.2024.