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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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amerika wurden Steingutscherben an den Befestigungslinien
und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten,
gänzlich ausgestorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf
diesen Scherben haben die auffallendste Aehnlichkeit mit denen,
welche die Eingeborenen von Louisiana und Florida noch jetzt
auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die
Indianer in Maypures unter unseren Augen Verzierungen,
ganz wie wir sie in der Höhle von Ataruipe auf den Ge-
fäßen gesehen, in denen menschliche Gebeine aufbewahrt sind.
Es sind wahre "Grecques", Mäanderlinien, Figuren von
Krokodilen, von Affen und von einem großen vierfüßigen Tier,
von dem ich nicht wußte, was es vorstellen soll, das aber
immer dieselbe plumpe Gestalt hat. Ich könnte bei dieser
Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elefantenrüssel gedenken,
den ich im Museum zu Velletri auf einem alten mexikanischen
Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypothese aufstellen,
das große vierfüßige Tier auf den Töpfen der Maypures ge-
höre einem anderen Lande an und der Typus desselben habe
sich auf der großen Wanderung der amerikanischen Völker von
Nordwest nach Süd und Südost in der Erinnerung erhalten;
wer wollte sich aber bei so schwankenden, auf nichts sich
stützenden Vermutungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben,
die Indianer am Orinoko haben einen Tapir vorstellen wollen,
und die verzeichnete Figur eines einheimischen Tieres sei einer
der Typen geworden, die sich forterben. Oft hat nur Un-
geschick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir
gar ernsthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als
es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine absichtliche Nach-
ahmung zu Grunde.

Am geschicktesten führen die Maypures Verzierungen aus
geraden, mannigfach kombinierten Linien aus, wie wir sie auf
den großgriechischen Vasen, auf den mexikanischen Gebäuden
in Mitla und auf den Werken so vieler Völker sehen, die,
ohne daß sie miteinander in Verkehr gestanden, eben gleiches
Vergnügen daran finden, symmetrisch dieselben Formen zu
wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unser
Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder bestehen, in
rhythmischer Folge aneinander gereiht sind. Das Auge ver-
hält sich zu dieser Anordnung, zu dieser periodischen Wieder-
kehr derselben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Auf-
einanderfolge von Tönen und Akkorden. Kann man aber
in Abrede ziehen, daß beim Menschen das Gefühl für den

amerika wurden Steingutſcherben an den Befeſtigungslinien
und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten,
gänzlich ausgeſtorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf
dieſen Scherben haben die auffallendſte Aehnlichkeit mit denen,
welche die Eingeborenen von Louiſiana und Florida noch jetzt
auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die
Indianer in Maypures unter unſeren Augen Verzierungen,
ganz wie wir ſie in der Höhle von Ataruipe auf den Ge-
fäßen geſehen, in denen menſchliche Gebeine aufbewahrt ſind.
Es ſind wahre „Grecques“, Mäanderlinien, Figuren von
Krokodilen, von Affen und von einem großen vierfüßigen Tier,
von dem ich nicht wußte, was es vorſtellen ſoll, das aber
immer dieſelbe plumpe Geſtalt hat. Ich könnte bei dieſer
Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elefantenrüſſel gedenken,
den ich im Muſeum zu Velletri auf einem alten mexikaniſchen
Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypotheſe aufſtellen,
das große vierfüßige Tier auf den Töpfen der Maypures ge-
höre einem anderen Lande an und der Typus desſelben habe
ſich auf der großen Wanderung der amerikaniſchen Völker von
Nordweſt nach Süd und Südoſt in der Erinnerung erhalten;
wer wollte ſich aber bei ſo ſchwankenden, auf nichts ſich
ſtützenden Vermutungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben,
die Indianer am Orinoko haben einen Tapir vorſtellen wollen,
und die verzeichnete Figur eines einheimiſchen Tieres ſei einer
der Typen geworden, die ſich forterben. Oft hat nur Un-
geſchick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir
gar ernſthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als
es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine abſichtliche Nach-
ahmung zu Grunde.

Am geſchickteſten führen die Maypures Verzierungen aus
geraden, mannigfach kombinierten Linien aus, wie wir ſie auf
den großgriechiſchen Vaſen, auf den mexikaniſchen Gebäuden
in Mitla und auf den Werken ſo vieler Völker ſehen, die,
ohne daß ſie miteinander in Verkehr geſtanden, eben gleiches
Vergnügen daran finden, ſymmetriſch dieſelben Formen zu
wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unſer
Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder beſtehen, in
rhythmiſcher Folge aneinander gereiht ſind. Das Auge ver-
hält ſich zu dieſer Anordnung, zu dieſer periodiſchen Wieder-
kehr derſelben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Auf-
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[176/0184] amerika wurden Steingutſcherben an den Befeſtigungslinien und in den Ringwällen gefunden, die von einem unbekannten, gänzlich ausgeſtorbenen Volke herrühren. Die Malereien auf dieſen Scherben haben die auffallendſte Aehnlichkeit mit denen, welche die Eingeborenen von Louiſiana und Florida noch jetzt auf gebranntem Thon anbringen. So malten denn auch die Indianer in Maypures unter unſeren Augen Verzierungen, ganz wie wir ſie in der Höhle von Ataruipe auf den Ge- fäßen geſehen, in denen menſchliche Gebeine aufbewahrt ſind. Es ſind wahre „Grecques“, Mäanderlinien, Figuren von Krokodilen, von Affen und von einem großen vierfüßigen Tier, von dem ich nicht wußte, was es vorſtellen ſoll, das aber immer dieſelbe plumpe Geſtalt hat. Ich könnte bei dieſer Gelegenheit eines Kopfs mit einem Elefantenrüſſel gedenken, den ich im Muſeum zu Velletri auf einem alten mexikaniſchen Gemälde gefunden; ich könnte keck die Hypotheſe aufſtellen, das große vierfüßige Tier auf den Töpfen der Maypures ge- höre einem anderen Lande an und der Typus desſelben habe ſich auf der großen Wanderung der amerikaniſchen Völker von Nordweſt nach Süd und Südoſt in der Erinnerung erhalten; wer wollte ſich aber bei ſo ſchwankenden, auf nichts ſich ſtützenden Vermutungen aufhalten? Ich möchte vielmehr glauben, die Indianer am Orinoko haben einen Tapir vorſtellen wollen, und die verzeichnete Figur eines einheimiſchen Tieres ſei einer der Typen geworden, die ſich forterben. Oft hat nur Un- geſchick und Zufall Figuren erzeugt, über deren Herkunft wir gar ernſthaft verhandeln, weil wir nicht anders glauben, als es liege ihnen eine Gedankenverbindung, eine abſichtliche Nach- ahmung zu Grunde. Am geſchickteſten führen die Maypures Verzierungen aus geraden, mannigfach kombinierten Linien aus, wie wir ſie auf den großgriechiſchen Vaſen, auf den mexikaniſchen Gebäuden in Mitla und auf den Werken ſo vieler Völker ſehen, die, ohne daß ſie miteinander in Verkehr geſtanden, eben gleiches Vergnügen daran finden, ſymmetriſch dieſelben Formen zu wiederholen. Die Arabesken, die Mäander vergnügen unſer Auge, weil die Elemente, aus denen die Bänder beſtehen, in rhythmiſcher Folge aneinander gereiht ſind. Das Auge ver- hält ſich zu dieſer Anordnung, zu dieſer periodiſchen Wieder- kehr derſelben Formen wie das Ohr zur taktmäßigen Auf- einanderfolge von Tönen und Akkorden. Kann man aber in Abrede ziehen, daß beim Menſchen das Gefühl für den

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/184>, abgerufen am 23.04.2024.