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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Esmeralda, wo die meisten Pirogen für den Orinoko gebaut
werden, weil die benachbarten Wälder die dicksten Sassafras-
stämme liefern. Man bezahlt den Indianern für 84 cm oder
eine Vara vom Boden der Piroge, das heißt für den unteren,
hauptsächlichen Teil (der aus einem ausgehöhlten Stamme
besteht), einen harten Piaster, so daß ein 13,3 m langes Kanoe,
Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaster kostet;
aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man
das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt so hoch.
Auf dem oberen Orinoko sah ich 40 Piaster oder 200 Franken
für eine 15,6 m lange Piroge bezahlen.

Im Walde zwischen Javita und dem Canno Pimichin
wächst eine erstaunliche Menge riesenhafter Baumarten, Oco-
teen und echte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen,
die Persea, ist wild nur in mehr als 1950 m Meereshöhe ge-
funden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum
secundiflorum,
der Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen
Holz rot ist wie Brasilholz, der Guamufate mit schönen, 18 bis
21 cm langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die
Amyris Caranna und der Mani. Alle diese Bäume (mit
Ausnahme unserer neuen Gattung Retiniphyllum) waren
32 bis 35 m hoch. Da die Aeste erst in der Nähe des Wipfels
vom Stamme abgehen, so kostete es Mühe, sich Blätter und
Blüten zu verschaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen
am Boden; da aber in diesen Wäldern Arten verschiedener
Familien durcheinander wachsen und jeder Baum mit Schling-
pflanzen bedeckt ist, so schien es bedenklich, sich allein auf die
Aussage der Indianer zu verlassen, wenn diese uns versicherten,
die Blüten gehören diesem oder jenem Baume an. In der
Fülle der Naturschätze machte uns das Botanisieren mehr
Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten,
schien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu
erreichen vermochten. Es regnete seit mehreren Monaten un-
aufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit
künstlicher Wärme zu trocknen suchte, größtenteils zu Grunde.
Unsere Indianer kauten erst, wie sie gewöhnlich thun, das
Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten
sie besser zu unterscheiden als Blüten und Früchte. Da sie
nur Bauholz (Stämme zu Pirogen) suchen, kümmern sie sich
wenig um den Blütenstand. "Alle diese großen Bäume tragen
weder Blüten noch Früchte," so lautete fortwährend ihr Be-
scheid. Gleich den Kräuterkennern im Altertum ziehen sie in

Esmeralda, wo die meiſten Pirogen für den Orinoko gebaut
werden, weil die benachbarten Wälder die dickſten Saſſafras-
ſtämme liefern. Man bezahlt den Indianern für 84 cm oder
eine Vara vom Boden der Piroge, das heißt für den unteren,
hauptſächlichen Teil (der aus einem ausgehöhlten Stamme
beſteht), einen harten Piaſter, ſo daß ein 13,3 m langes Kanoe,
Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaſter koſtet;
aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man
das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt ſo hoch.
Auf dem oberen Orinoko ſah ich 40 Piaſter oder 200 Franken
für eine 15,6 m lange Piroge bezahlen.

Im Walde zwiſchen Javita und dem Caño Pimichin
wächſt eine erſtaunliche Menge rieſenhafter Baumarten, Oco-
teen und echte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen,
die Perſea, iſt wild nur in mehr als 1950 m Meereshöhe ge-
funden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum
secundiflorum,
der Curvana, der Jacio, der Jacifate, deſſen
Holz rot iſt wie Braſilholz, der Guamufate mit ſchönen, 18 bis
21 cm langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die
Amyris Caranna und der Mani. Alle dieſe Bäume (mit
Ausnahme unſerer neuen Gattung Retiniphyllum) waren
32 bis 35 m hoch. Da die Aeſte erſt in der Nähe des Wipfels
vom Stamme abgehen, ſo koſtete es Mühe, ſich Blätter und
Blüten zu verſchaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen
am Boden; da aber in dieſen Wäldern Arten verſchiedener
Familien durcheinander wachſen und jeder Baum mit Schling-
pflanzen bedeckt iſt, ſo ſchien es bedenklich, ſich allein auf die
Ausſage der Indianer zu verlaſſen, wenn dieſe uns verſicherten,
die Blüten gehören dieſem oder jenem Baume an. In der
Fülle der Naturſchätze machte uns das Botaniſieren mehr
Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten,
ſchien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu
erreichen vermochten. Es regnete ſeit mehreren Monaten un-
aufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit
künſtlicher Wärme zu trocknen ſuchte, größtenteils zu Grunde.
Unſere Indianer kauten erſt, wie ſie gewöhnlich thun, das
Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten
ſie beſſer zu unterſcheiden als Blüten und Früchte. Da ſie
nur Bauholz (Stämme zu Pirogen) ſuchen, kümmern ſie ſich
wenig um den Blütenſtand. „Alle dieſe großen Bäume tragen
weder Blüten noch Früchte,“ ſo lautete fortwährend ihr Be-
ſcheid. Gleich den Kräuterkennern im Altertum ziehen ſie in

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[228/0236] Esmeralda, wo die meiſten Pirogen für den Orinoko gebaut werden, weil die benachbarten Wälder die dickſten Saſſafras- ſtämme liefern. Man bezahlt den Indianern für 84 cm oder eine Vara vom Boden der Piroge, das heißt für den unteren, hauptſächlichen Teil (der aus einem ausgehöhlten Stamme beſteht), einen harten Piaſter, ſo daß ein 13,3 m langes Kanoe, Holz und Arbeitslohn des Zimmerers, nur 16 Piaſter koſtet; aber mit den Nägeln und den Seitenwänden, durch die man das Fahrzeug geräumiger macht, kommt es doppelt ſo hoch. Auf dem oberen Orinoko ſah ich 40 Piaſter oder 200 Franken für eine 15,6 m lange Piroge bezahlen. Im Walde zwiſchen Javita und dem Caño Pimichin wächſt eine erſtaunliche Menge rieſenhafter Baumarten, Oco- teen und echte Lorbeeren (die dritte Gruppe der Laurineen, die Perſea, iſt wild nur in mehr als 1950 m Meereshöhe ge- funden worden), die Amasonia arborea, das Retiniphyllum secundiflorum, der Curvana, der Jacio, der Jacifate, deſſen Holz rot iſt wie Braſilholz, der Guamufate mit ſchönen, 18 bis 21 cm langen, denen des Calophyllum ähnlichen Blättern, die Amyris Caranna und der Mani. Alle dieſe Bäume (mit Ausnahme unſerer neuen Gattung Retiniphyllum) waren 32 bis 35 m hoch. Da die Aeſte erſt in der Nähe des Wipfels vom Stamme abgehen, ſo koſtete es Mühe, ſich Blätter und Blüten zu verſchaffen. Letztere lagen häufig unter den Bäumen am Boden; da aber in dieſen Wäldern Arten verſchiedener Familien durcheinander wachſen und jeder Baum mit Schling- pflanzen bedeckt iſt, ſo ſchien es bedenklich, ſich allein auf die Ausſage der Indianer zu verlaſſen, wenn dieſe uns verſicherten, die Blüten gehören dieſem oder jenem Baume an. In der Fülle der Naturſchätze machte uns das Botaniſieren mehr Verdruß als Vergnügen. Was wir uns aneignen konnten, ſchien uns von wenig Belang gegen das, was wir nicht zu erreichen vermochten. Es regnete ſeit mehreren Monaten un- aufhörlich und Bonpland gingen die Exemplare, die er mit künſtlicher Wärme zu trocknen ſuchte, größtenteils zu Grunde. Unſere Indianer kauten erſt, wie ſie gewöhnlich thun, das Holz, und nannten dann den Baum. Die Blätter wußten ſie beſſer zu unterſcheiden als Blüten und Früchte. Da ſie nur Bauholz (Stämme zu Pirogen) ſuchen, kümmern ſie ſich wenig um den Blütenſtand. „Alle dieſe großen Bäume tragen weder Blüten noch Früchte,“ ſo lautete fortwährend ihr Be- ſcheid. Gleich den Kräuterkennern im Altertum ziehen ſie in

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/236>, abgerufen am 29.03.2024.