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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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berufene Gift Curare kommt. Es ist weder ein Phyllanthus,
noch eine Coriaria, wie Willdenow gemeint, sondern nach
Kunths Untersuchungen sehr wahrscheinlich ein Strychnos.
Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieser giftigen
Substanz zu sprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handels-
artikel ist. Wenn ein Reisender, der sich gleich uns durch
die Gastfreundschaft der Missionäre gefördert sähe, ein Jahr
am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres
Jahr in den Bergen bei Esmeralda und am oberen Orinoko
zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und
Richard beschriebenen Gattungen verdreifachen.

Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die riesige
Höhe von 26 bis 40 m. Es sind dies die Laurineen und
Amyris, die in diesen heißen Himmelsstrichen das schöne Bau-
holz liefern, das man an der Nordwestküste von Amerika, in
den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20° unter
Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika
ist unter allen Himmelsstrichen und in allen Pflanzenfamilien
die Vegetationskraft so ausnehmend stark, daß unter dem
57. Grad nördlicher Breite, auf derselben Isotherme wie
Petersburg und die Orkneyinseln, Pinus canadensis 48 m
hohe und 2 m dicke Stämme hat. 1 Wir kamen gegen Nacht
in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz
am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die
Stelle bezeichnet, "wo ein armer Missionär, ein Kapuziner,
von den Wespen umgebracht worden". Ich spreche dies dem
Mönch in Javita und den Indianern nach. Man spricht hier-
zulande viel von giftigen Wespen und Ameisen; wir konnten
aber keines von diesen beiden Insekten auftreiben. Bekanntlich
verursachen im heißen Erdstrich unbedeutende Stiche nicht
selten Fieberanfälle, fast so heftig wie die, welche bei uns bei
sehr bedeutenden organischen Verletzungen eintreten. Der Tod
des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erschöpfung
und der Feuchtigkeit gewesen sein, als des Giftes im Stachel
der Wespen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht
haben. Diese Wespen bei Javita sind nicht mit den Honig-
bienen zu verwechseln, welche die Spanier Engelchen nennen

1 Langsdorf sah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Kanoen
aus einem Stück 16 m lang, 1,45 m breit und an den Rändern
1 m hoch; sie faßten 30 Menschen. Auch Populus balsamifera
wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch.

berufene Gift Curare kommt. Es iſt weder ein Phyllanthus,
noch eine Coriaria, wie Willdenow gemeint, ſondern nach
Kunths Unterſuchungen ſehr wahrſcheinlich ein Strychnos.
Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieſer giftigen
Subſtanz zu ſprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handels-
artikel iſt. Wenn ein Reiſender, der ſich gleich uns durch
die Gaſtfreundſchaft der Miſſionäre gefördert ſähe, ein Jahr
am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres
Jahr in den Bergen bei Esmeralda und am oberen Orinoko
zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und
Richard beſchriebenen Gattungen verdreifachen.

Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die rieſige
Höhe von 26 bis 40 m. Es ſind dies die Laurineen und
Amyris, die in dieſen heißen Himmelsſtrichen das ſchöne Bau-
holz liefern, das man an der Nordweſtküſte von Amerika, in
den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20° unter
Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika
iſt unter allen Himmelsſtrichen und in allen Pflanzenfamilien
die Vegetationskraft ſo ausnehmend ſtark, daß unter dem
57. Grad nördlicher Breite, auf derſelben Iſotherme wie
Petersburg und die Orkneyinſeln, Pinus canadensis 48 m
hohe und 2 m dicke Stämme hat. 1 Wir kamen gegen Nacht
in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz
am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die
Stelle bezeichnet, „wo ein armer Miſſionär, ein Kapuziner,
von den Weſpen umgebracht worden“. Ich ſpreche dies dem
Mönch in Javita und den Indianern nach. Man ſpricht hier-
zulande viel von giftigen Weſpen und Ameiſen; wir konnten
aber keines von dieſen beiden Inſekten auftreiben. Bekanntlich
verurſachen im heißen Erdſtrich unbedeutende Stiche nicht
ſelten Fieberanfälle, faſt ſo heftig wie die, welche bei uns bei
ſehr bedeutenden organiſchen Verletzungen eintreten. Der Tod
des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erſchöpfung
und der Feuchtigkeit geweſen ſein, als des Giftes im Stachel
der Weſpen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht
haben. Dieſe Weſpen bei Javita ſind nicht mit den Honig-
bienen zu verwechſeln, welche die Spanier Engelchen nennen

1 Langsdorf ſah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Kanoen
aus einem Stück 16 m lang, 1,45 m breit und an den Rändern
1 m hoch; ſie faßten 30 Menſchen. Auch Populus balsamifera
wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch.
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[240/0248] berufene Gift Curare kommt. Es iſt weder ein Phyllanthus, noch eine Coriaria, wie Willdenow gemeint, ſondern nach Kunths Unterſuchungen ſehr wahrſcheinlich ein Strychnos. Wir werden unten Gelegenheit haben, von dieſer giftigen Subſtanz zu ſprechen, die bei den Wilden ein wichtiger Handels- artikel iſt. Wenn ein Reiſender, der ſich gleich uns durch die Gaſtfreundſchaft der Miſſionäre gefördert ſähe, ein Jahr am Atabapo, Tuamini und Rio Negro, und ein weiteres Jahr in den Bergen bei Esmeralda und am oberen Orinoko zubrächte, könnte er gewiß die Zahl der von Aublet und Richard beſchriebenen Gattungen verdreifachen. Auch im Walde am Pimichin haben die Bäume die rieſige Höhe von 26 bis 40 m. Es ſind dies die Laurineen und Amyris, die in dieſen heißen Himmelsſtrichen das ſchöne Bau- holz liefern, das man an der Nordweſtküſte von Amerika, in den Bergen, wo im Winter der Thermometer auf 20° unter Null fällt, in der Familie der Nadelhölzer findet. In Amerika iſt unter allen Himmelsſtrichen und in allen Pflanzenfamilien die Vegetationskraft ſo ausnehmend ſtark, daß unter dem 57. Grad nördlicher Breite, auf derſelben Iſotherme wie Petersburg und die Orkneyinſeln, Pinus canadensis 48 m hohe und 2 m dicke Stämme hat. 1 Wir kamen gegen Nacht in einem kleinen Hofe an, dem Puerto oder Landungsplatz am Pimichin. Man zeigte uns ein Kreuz am Wege, das die Stelle bezeichnet, „wo ein armer Miſſionär, ein Kapuziner, von den Weſpen umgebracht worden“. Ich ſpreche dies dem Mönch in Javita und den Indianern nach. Man ſpricht hier- zulande viel von giftigen Weſpen und Ameiſen; wir konnten aber keines von dieſen beiden Inſekten auftreiben. Bekanntlich verurſachen im heißen Erdſtrich unbedeutende Stiche nicht ſelten Fieberanfälle, faſt ſo heftig wie die, welche bei uns bei ſehr bedeutenden organiſchen Verletzungen eintreten. Der Tod des armen Mönchs wird wohl eher eine Folge der Erſchöpfung und der Feuchtigkeit geweſen ſein, als des Giftes im Stachel der Weſpen, vor deren Stich die nackten Indianer große Furcht haben. Dieſe Weſpen bei Javita ſind nicht mit den Honig- bienen zu verwechſeln, welche die Spanier Engelchen nennen 1 Langsdorf ſah bei den Bewohnern der Norfolkbucht Kanoen aus einem Stück 16 m lang, 1,45 m breit und an den Rändern 1 m hoch; ſie faßten 30 Menſchen. Auch Populus balsamifera wird auf den Bergen um Norfolkbucht ungeheuer hoch.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/248>, abgerufen am 29.03.2024.