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Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806].

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Auch westlich von der peruanischen Andeskette,
an den Küsten des stillen Meeres, haben wir
Wochen gebraucht, um solche wasserleere
Wüsten zu durchstreichen. Der Ursprung der-
selben, diese Pflanzenlosigkeit großer Erdstrek-
ken, in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Ve-
getation herrscht, ist ein wenig beachtetes geo-
gnostisches Phänomen, welches sich unstreitig in
alten Naturrevoluzionen (in Ueberschwemmun-
gen, oder vulkanischen Umwandelungen der Erd-
rinde) gründet. Hat eine Gegend einmal ihre
Pflanzendekke verloren, ist der Sand beweglich
und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht auf-
steigende Luft den Niederschlag der Wolken: so
vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern
aus organisches Leben in das Innere der Einöde
dringt.

Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu
umfassen, und von Lokalphänomenen zu abstra-
hiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der be-
lebenden Wärme, von den Polen zum Aequator
hin, sich auch allmälig organische Kraft und Le-
bensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermeh-
rung sind doch jedem Erdstriche besondere Schön-
heiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit
und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der
Anblick der Wiesen, und das periodische Wieder-
erwachen der Natur beim ersten Wehen der Früh-
lingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen
Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter.
So wie man an einzelnen organischen Wesen eine

Auch westlich von der peruanischen Andeskette,
an den Küsten des stillen Meeres, haben wir
Wochen gebraucht, um solche wasserleere
Wüsten zu durchstreichen. Der Ursprung der-
selben, diese Pflanzenlosigkeit großer Erdstrek-
ken, in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Ve-
getation herrscht, ist ein wenig beachtetes geo-
gnostisches Phänomen, welches sich unstreitig in
alten Naturrevoluzionen (in Ueberschwemmun-
gen, oder vulkanischen Umwandelungen der Erd-
rinde) gründet. Hat eine Gegend einmal ihre
Pflanzendekke verloren, ist der Sand beweglich
und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht auf-
steigende Luft den Niederschlag der Wolken: so
vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern
aus organisches Leben in das Innere der Einöde
dringt.

Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu
umfassen, und von Lokalphänomenen zu abstra-
hiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der be-
lebenden Wärme, von den Polen zum Aequator
hin, sich auch allmälig organische Kraft und Le-
bensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermeh-
rung sind doch jedem Erdstriche besondere Schön-
heiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit
und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der
Anblick der Wiesen, und das periodische Wieder-
erwachen der Natur beim ersten Wehen der Früh-
lingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen
Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter.
So wie man an einzelnen organischen Wesen eine

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[11/0010] Auch westlich von der peruanischen Andeskette, an den Küsten des stillen Meeres, haben wir Wochen gebraucht, um solche wasserleere Wüsten zu durchstreichen. Der Ursprung der- selben, diese Pflanzenlosigkeit großer Erdstrek- ken, in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Ve- getation herrscht, ist ein wenig beachtetes geo- gnostisches Phänomen, welches sich unstreitig in alten Naturrevoluzionen (in Ueberschwemmun- gen, oder vulkanischen Umwandelungen der Erd- rinde) gründet. Hat eine Gegend einmal ihre Pflanzendekke verloren, ist der Sand beweglich und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht auf- steigende Luft den Niederschlag der Wolken: so vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern aus organisches Leben in das Innere der Einöde dringt. Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu umfassen, und von Lokalphänomenen zu abstra- hiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der be- lebenden Wärme, von den Polen zum Aequator hin, sich auch allmälig organische Kraft und Le- bensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermeh- rung sind doch jedem Erdstriche besondere Schön- heiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der Anblick der Wiesen, und das periodische Wieder- erwachen der Natur beim ersten Wehen der Früh- lingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter. So wie man an einzelnen organischen Wesen eine

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806], S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/10>, abgerufen am 19.04.2024.