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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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diese Leistung sogleich seine wissenschaftliche Stellung fest begründet; nicht nur die Fachgenossen freuten sich bewundernd der neuen Aufklärung, auch in weiteren Kreisen fanden diese Studien, besonders seit der deutschen Bearbeitung der Metrik (1799), Beachtung und Theilnahme. Bei dem allgemeinen Aufschwung der poetischen Thätigkeit machte sich damals das Streben geltend, auch in der Vollendung der Form sich den Mustern des Alterthums zu nähern; wie willkommen musste ein Werk wie die Metrik sein. Besonders Goethe, der damals mit der Achilleis und der Helena beschäftigt war und genauer in das Wesen der antiken Versmasse einzudringen strebte, nahm den regsten Antheil daran, und als er bald darauf nach Leipzig kam (1800), trat er eines Abends unerwartet zu dem erstaunten Hermann ins Zimmer. In dem Gespräche, das sich über Verskunst zwischen ihnen entspann, forderte ihn endlich Goethe auf eine deutsche Metrik zu schreiben, was Hermann mit dem Bemerken ablehnte, es sei Goethe's Aufgabe, die deutsche Metrik zu schaffen. Die so angeknüpfte freundschaftliche Verbindung wurde sowohl durch Briefe als persönliche Begegnung, namentlich in Karlsbad, wo sie 1820 zusammentrafen, unterhalten. Wir wissen, wie hoch Goethe Hermann schätzte und mit welchem Interesse er wiederholt auf seine Forschungen einging; man kann leicht ermessen, welche Freude beide Männer von griechischer, in so mancher Beziehung einander nahe verwandter Natur im persönlichen Verkehr empfunden haben.

Wie tief und wahr Hermann's Gefühl für die alten Sprachen war und wie sehr man Recht hat es ein künstlerisches zu nennen, zeigt am Besten die Art wie er sie beherrschte und selbst zur Darstellung brachte. Wer von Hermann einen Chorgesang oder eine pindarische Ode lesen hörte, der wurde ergriffen von der Begeisterung, Kraft und Klarheit seines Vortrags, in welchem sich die feinste Empfindung für das Schöne in den Rhythmen mit dem sichern Verständniss derselben durchdrang, so dass der Hörer, auch wenn er sich darüber keine Rechenschaft ablegen konnte, von dem Zauber dieser melodischen Sprache gefesselt und hingerissen wurde. Wenn dieses unmittelbar in Hermann's Persönlichkeit lag, so ist dagegen seine Meisterschaft in der lateinischen Sprache allgemein bekannt, und man kann mit Zuversicht behaupten, dass ihn Niemand darin übertrifft, ja kaum Einer erreicht. Er redete und schrieb die lateinische Sprache nicht wie eine angelernte und fremde, sondern wie die eigene und angeborne, und

diese Leistung sogleich seine wissenschaftliche Stellung fest begründet; nicht nur die Fachgenossen freuten sich bewundernd der neuen Aufklärung, auch in weiteren Kreisen fanden diese Studien, besonders seit der deutschen Bearbeitung der Metrik (1799), Beachtung und Theilnahme. Bei dem allgemeinen Aufschwung der poetischen Thätigkeit machte sich damals das Streben geltend, auch in der Vollendung der Form sich den Mustern des Alterthums zu nähern; wie willkommen musste ein Werk wie die Metrik sein. Besonders Goethe, der damals mit der Achilleis und der Helena beschäftigt war und genauer in das Wesen der antiken Versmasse einzudringen strebte, nahm den regsten Antheil daran, und als er bald darauf nach Leipzig kam (1800), trat er eines Abends unerwartet zu dem erstaunten Hermann ins Zimmer. In dem Gespräche, das sich über Verskunst zwischen ihnen entspann, forderte ihn endlich Goethe auf eine deutsche Metrik zu schreiben, was Hermann mit dem Bemerken ablehnte, es sei Goethe’s Aufgabe, die deutsche Metrik zu schaffen. Die so angeknüpfte freundschaftliche Verbindung wurde sowohl durch Briefe als persönliche Begegnung, namentlich in Karlsbad, wo sie 1820 zusammentrafen, unterhalten. Wir wissen, wie hoch Goethe Hermann schätzte und mit welchem Interesse er wiederholt auf seine Forschungen einging; man kann leicht ermessen, welche Freude beide Männer von griechischer, in so mancher Beziehung einander nahe verwandter Natur im persönlichen Verkehr empfunden haben.

Wie tief und wahr Hermann’s Gefühl für die alten Sprachen war und wie sehr man Recht hat es ein künstlerisches zu nennen, zeigt am Besten die Art wie er sie beherrschte und selbst zur Darstellung brachte. Wer von Hermann einen Chorgesang oder eine pindarische Ode lesen hörte, der wurde ergriffen von der Begeisterung, Kraft und Klarheit seines Vortrags, in welchem sich die feinste Empfindung für das Schöne in den Rhythmen mit dem sichern Verständniss derselben durchdrang, so dass der Hörer, auch wenn er sich darüber keine Rechenschaft ablegen konnte, von dem Zauber dieser melodischen Sprache gefesselt und hingerissen wurde. Wenn dieses unmittelbar in Hermann’s Persönlichkeit lag, so ist dagegen seine Meisterschaft in der lateinischen Sprache allgemein bekannt, und man kann mit Zuversicht behaupten, dass ihn Niemand darin übertrifft, ja kaum Einer erreicht. Er redete und schrieb die lateinische Sprache nicht wie eine angelernte und fremde, sondern wie die eigene und angeborne, und

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[18/0018] diese Leistung sogleich seine wissenschaftliche Stellung fest begründet; nicht nur die Fachgenossen freuten sich bewundernd der neuen Aufklärung, auch in weiteren Kreisen fanden diese Studien, besonders seit der deutschen Bearbeitung der Metrik (1799), Beachtung und Theilnahme. Bei dem allgemeinen Aufschwung der poetischen Thätigkeit machte sich damals das Streben geltend, auch in der Vollendung der Form sich den Mustern des Alterthums zu nähern; wie willkommen musste ein Werk wie die Metrik sein. Besonders Goethe, der damals mit der Achilleis und der Helena beschäftigt war und genauer in das Wesen der antiken Versmasse einzudringen strebte, nahm den regsten Antheil daran, und als er bald darauf nach Leipzig kam (1800), trat er eines Abends unerwartet zu dem erstaunten Hermann ins Zimmer. In dem Gespräche, das sich über Verskunst zwischen ihnen entspann, forderte ihn endlich Goethe auf eine deutsche Metrik zu schreiben, was Hermann mit dem Bemerken ablehnte, es sei Goethe’s Aufgabe, die deutsche Metrik zu schaffen. Die so angeknüpfte freundschaftliche Verbindung wurde sowohl durch Briefe als persönliche Begegnung, namentlich in Karlsbad, wo sie 1820 zusammentrafen, unterhalten. Wir wissen, wie hoch Goethe Hermann schätzte und mit welchem Interesse er wiederholt auf seine Forschungen einging; man kann leicht ermessen, welche Freude beide Männer von griechischer, in so mancher Beziehung einander nahe verwandter Natur im persönlichen Verkehr empfunden haben. Wie tief und wahr Hermann’s Gefühl für die alten Sprachen war und wie sehr man Recht hat es ein künstlerisches zu nennen, zeigt am Besten die Art wie er sie beherrschte und selbst zur Darstellung brachte. Wer von Hermann einen Chorgesang oder eine pindarische Ode lesen hörte, der wurde ergriffen von der Begeisterung, Kraft und Klarheit seines Vortrags, in welchem sich die feinste Empfindung für das Schöne in den Rhythmen mit dem sichern Verständniss derselben durchdrang, so dass der Hörer, auch wenn er sich darüber keine Rechenschaft ablegen konnte, von dem Zauber dieser melodischen Sprache gefesselt und hingerissen wurde. Wenn dieses unmittelbar in Hermann’s Persönlichkeit lag, so ist dagegen seine Meisterschaft in der lateinischen Sprache allgemein bekannt, und man kann mit Zuversicht behaupten, dass ihn Niemand darin übertrifft, ja kaum Einer erreicht. Er redete und schrieb die lateinische Sprache nicht wie eine angelernte und fremde, sondern wie die eigene und angeborne, und

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/18>, abgerufen am 29.03.2024.