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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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den haben wir Deutschen nur im Geheimen und
Stillen weiter gelebt, durch Sprache und Schrift,
ein unsichtbares geistiges Leben. Wenn aber
diese Seelenwanderung auch noch aufhört, durch
allgemeine Verarmung und allgemeine Schreib¬
scheue, weil die Schriftlinge gerne bepalmt, aber
nicht gepalmt seyn wollen: So werden wir als¬
dann nur durch einige Bücher in der Völker¬
welt gespenstisch umherspuken. Sind wir, das
alte ehrwürdige Mittelvolk, und Mittler¬
volk
Europas einst untergegangen; so warnt
die Leidensgeschichte unsers grausenvollen Zuto¬
dequinen, am Scheidewege der Zukunft nachge¬
borne Völker. Und wir zuschauenden Zeitge¬
nossen der Sterbensnoth und des letzten Volks¬
thumsringen mögen uns trösten, wenn wir die
letzten Gräber füllen, daß wir als Blutopfer
und Blutzeugen für die Menschheit fallen.

Noch sind wir nicht verloren! Noch sind
wir zu retten! Aber nur durch uns selbst. Wir
brauchen zur Wiedergeburt keine fremde Ge¬
bnrtshelfer; nicht fremde Arznei, unsere eigenen
Hausmittel genügen. Denn immer geht vom
Hauswesen jede wahre, und beständige, und echte

den haben wir Deutſchen nur im Geheimen und
Stillen weiter gelebt, durch Sprache und Schrift,
ein unſichtbares geiſtiges Leben. Wenn aber
dieſe Seelenwanderung auch noch aufhört, durch
allgemeine Verarmung und allgemeine Schreib¬
ſcheue, weil die Schriftlinge gerne bepalmt, aber
nicht gepalmt ſeyn wollen: So werden wir als¬
dann nur durch einige Bücher in der Völker¬
welt geſpenſtiſch umherſpuken. Sind wir, das
alte ehrwürdige Mittelvolk, und Mittler¬
volk
Europas einſt untergegangen; ſo warnt
die Leidensgeſchichte unſers grauſenvollen Zuto¬
dequinen, am Scheidewege der Zukunft nachge¬
borne Völker. Und wir zuſchauenden Zeitge¬
noſſen der Sterbensnoth und des letzten Volks¬
thumsringen mögen uns tröſten, wenn wir die
letzten Gräber füllen, daß wir als Blutopfer
und Blutzeugen für die Menſchheit fallen.

Noch ſind wir nicht verloren! Noch ſind
wir zu retten! Aber nur durch uns ſelbſt. Wir
brauchen zur Wiedergeburt keine fremde Ge¬
bnrtshelfer; nicht fremde Arznei, unſere eigenen
Hausmittel genügen. Denn immer geht vom
Hausweſen jede wahre, und beſtändige, und echte

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[14/0044] 14 den haben wir Deutſchen nur im Geheimen und Stillen weiter gelebt, durch Sprache und Schrift, ein unſichtbares geiſtiges Leben. Wenn aber dieſe Seelenwanderung auch noch aufhört, durch allgemeine Verarmung und allgemeine Schreib¬ ſcheue, weil die Schriftlinge gerne bepalmt, aber nicht gepalmt ſeyn wollen: So werden wir als¬ dann nur durch einige Bücher in der Völker¬ welt geſpenſtiſch umherſpuken. Sind wir, das alte ehrwürdige Mittelvolk, und Mittler¬ volk Europas einſt untergegangen; ſo warnt die Leidensgeſchichte unſers grauſenvollen Zuto¬ dequinen, am Scheidewege der Zukunft nachge¬ borne Völker. Und wir zuſchauenden Zeitge¬ noſſen der Sterbensnoth und des letzten Volks¬ thumsringen mögen uns tröſten, wenn wir die letzten Gräber füllen, daß wir als Blutopfer und Blutzeugen für die Menſchheit fallen. Noch ſind wir nicht verloren! Noch ſind wir zu retten! Aber nur durch uns ſelbſt. Wir brauchen zur Wiedergeburt keine fremde Ge¬ bnrtshelfer; nicht fremde Arznei, unſere eigenen Hausmittel genügen. Denn immer geht vom Hausweſen jede wahre, und beſtändige, und echte

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/44>, abgerufen am 28.03.2024.