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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Am heiligen Abende kam die Silberflotte alhier endlich an und
die hiesige Kaufmanschaft wurde ihres Goldes und Silbers mit merk-
lichem Gewinst gegen gutes Kupfer los. Unaufhörlich schrie man in
den ansehnlichern Kaufläden: "für einen Kreuzer Gold! noch für
"zwei Pfennige Silber!" kurz dieser Metalle waren so viel, daß man5
damit gar die Äpfel und Nüsse, wie zu Salomons Zeiten die Gassen
belegte; und man zweifelt ob man bei diesem unerwarteten Über-
flusse künftig noch unsere Kreuzer annehmen wird.



Das Gerücht, daß vorgestern sich in der Klostergasse drei Gespenster
sehen lassen, die einander führten, wird völlig wiederrufen: denn einer,10
der ihnen mit der Laterne nachschlich, fand, daß es nur drei -- Damen
waren. Hoffentlich wird aber eine einsichtsvolle Polizei in die Sache
sich mischen und die gedachten Damen dahin bescheiden, daß sie sich
künftig, um niemand in den 12 h. Nächten mehr furchtsam zu machen,
niemals zeigen als nur am Tage.15



Die Madame X. wurde als schwanger gotloser Weise beim Stadt-
vogt angegeben; sie hat aber ihre Unschuld glüklich ins Licht gesezt
und demselben gezeigt, daß die ganze Sache nur ein ganz neumodischer
cu de Paris von vornen wäre. Man hat Ursache zu glauben, daß es
mit allen unsern Damen, die nach der Mode sich tragen, auch nicht20
anders ist.



Wenn die Nachricht wahr wäre, daß der hiesige Rath sich fest ent-[198]
schlossen habe, offenbar vernünftig zu werden: so würde wol der
iüngste Tag noch vorher erscheinen und der gedachte Rath würde
vernünftig werden, indem er verwandelt würde.25



Verschiedene woldenkende und wolredende Personen alhier werden
den H. Christoph Otto, der gar thut als ob er Wein hier anbrächte,
schnel abreisen lassen. Die Muthmassung, daß er ganz und gar kein
Kaufman ist, leidet nun wol keinen Zweifel mehr, seitdem es sich
immer mehr bewähret, daß er wirklich oft was weggeschenket und30
daß er überhaupt -- welches wol das schlimste ist, was man einem

Am heiligen Abende kam die Silberflotte alhier endlich an und
die hieſige Kaufmanſchaft wurde ihres Goldes und Silbers mit merk-
lichem Gewinſt gegen gutes Kupfer los. Unaufhörlich ſchrie man in
den anſehnlichern Kaufläden: „für einen Kreuzer Gold! noch für
„zwei Pfennige Silber!“ kurz dieſer Metalle waren ſo viel, daß man5
damit gar die Äpfel und Nüſſe, wie zu Salomons Zeiten die Gaſſen
belegte; und man zweifelt ob man bei dieſem unerwarteten Über-
fluſſe künftig noch unſere Kreuzer annehmen wird.



Das Gerücht, daß vorgeſtern ſich in der Kloſtergaſſe drei Geſpenſter
ſehen laſſen, die einander führten, wird völlig wiederrufen: denn einer,10
der ihnen mit der Laterne nachſchlich, fand, daß es nur drei — Damen
waren. Hoffentlich wird aber eine einſichtsvolle Polizei in die Sache
ſich miſchen und die gedachten Damen dahin beſcheiden, daß ſie ſich
künftig, um niemand in den 12 h. Nächten mehr furchtſam zu machen,
niemals zeigen als nur am Tage.15



Die Madame X. wurde als ſchwanger gotloſer Weiſe beim Stadt-
vogt angegeben; ſie hat aber ihre Unſchuld glüklich ins Licht geſezt
und demſelben gezeigt, daß die ganze Sache nur ein ganz neumodiſcher
cu de Paris von vornen wäre. Man hat Urſache zu glauben, daß es
mit allen unſern Damen, die nach der Mode ſich tragen, auch nicht20
anders iſt.



Wenn die Nachricht wahr wäre, daß der hieſige Rath ſich feſt ent-[198]
ſchloſſen habe, offenbar vernünftig zu werden: ſo würde wol der
iüngſte Tag noch vorher erſcheinen und der gedachte Rath würde
vernünftig werden, indem er verwandelt würde.25



Verſchiedene woldenkende und wolredende Perſonen alhier werden
den H. Chriſtoph Otto, der gar thut als ob er Wein hier anbrächte,
ſchnel abreiſen laſſen. Die Muthmaſſung, daß er ganz und gar kein
Kaufman iſt, leidet nun wol keinen Zweifel mehr, ſeitdem es ſich
immer mehr bewähret, daß er wirklich oft was weggeſchenket und30
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[187/0212] Am heiligen Abende kam die Silberflotte alhier endlich an und die hieſige Kaufmanſchaft wurde ihres Goldes und Silbers mit merk- lichem Gewinſt gegen gutes Kupfer los. Unaufhörlich ſchrie man in den anſehnlichern Kaufläden: „für einen Kreuzer Gold! noch für „zwei Pfennige Silber!“ kurz dieſer Metalle waren ſo viel, daß man 5 damit gar die Äpfel und Nüſſe, wie zu Salomons Zeiten die Gaſſen belegte; und man zweifelt ob man bei dieſem unerwarteten Über- fluſſe künftig noch unſere Kreuzer annehmen wird. Das Gerücht, daß vorgeſtern ſich in der Kloſtergaſſe drei Geſpenſter ſehen laſſen, die einander führten, wird völlig wiederrufen: denn einer, 10 der ihnen mit der Laterne nachſchlich, fand, daß es nur drei — Damen waren. Hoffentlich wird aber eine einſichtsvolle Polizei in die Sache ſich miſchen und die gedachten Damen dahin beſcheiden, daß ſie ſich künftig, um niemand in den 12 h. Nächten mehr furchtſam zu machen, niemals zeigen als nur am Tage. 15 Die Madame X. wurde als ſchwanger gotloſer Weiſe beim Stadt- vogt angegeben; ſie hat aber ihre Unſchuld glüklich ins Licht geſezt und demſelben gezeigt, daß die ganze Sache nur ein ganz neumodiſcher cu de Paris von vornen wäre. Man hat Urſache zu glauben, daß es mit allen unſern Damen, die nach der Mode ſich tragen, auch nicht 20 anders iſt. Wenn die Nachricht wahr wäre, daß der hieſige Rath ſich feſt ent- ſchloſſen habe, offenbar vernünftig zu werden: ſo würde wol der iüngſte Tag noch vorher erſcheinen und der gedachte Rath würde vernünftig werden, indem er verwandelt würde. 25 [198] Verſchiedene woldenkende und wolredende Perſonen alhier werden den H. Chriſtoph Otto, der gar thut als ob er Wein hier anbrächte, ſchnel abreiſen laſſen. Die Muthmaſſung, daß er ganz und gar kein Kaufman iſt, leidet nun wol keinen Zweifel mehr, ſeitdem es ſich immer mehr bewähret, daß er wirklich oft was weggeſchenket und 30 daß er überhaupt — welches wol das ſchlimſte iſt, was man einem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/212>, abgerufen am 23.04.2024.