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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Ach lieber Örthel ziehe sie daraus durch zwei oder drei Gulden, die
du eher wiederbekommen solst, weil du sie nicht mir, sondern ihr
leihest ... Wie viel hab' ich nicht schon von dir verlangen müssen ..

Schikke mir die Bücher, die du dir ausgezeichnet. Lebe recht wol.

[Spaltenumbruch] Am Dienstage. [Spaltenumbruch] Richter5
160. An Wieland in Weimar.
[Kopie]
Lieber Merkur,

Selten wird einer an dich sehr gut geschrieben haben, der nicht
vorher den Comes Natalis vor sich hingeleget; aus dem schöpft man10
den ganzen Brief an dich, der aus lauter Anspielungen auf deine[216]
mythologische Biographie gewebet sein mus. Da man sich gewöhnlich
der Gunst dessen, mit dem man umgeht, dadurch bemächtigt, daß man
seinen Sitten nachahmt: so haben die grösten Autoren geglaubet, dich
durch eine ähnliche Nachahmung bestechen zu können und hoften sich15
die Liebe des Gottes der Beredsamkeit zu erschmeicheln, wenn sie offen-
bar beredt an ihn schrieben. Ich lasse das: denn du warst wol fähig in
deiner Jugend vor vielen 100 Jahren und zum 2tenmal in deinem
Alter vor einigen Jahren der Venus den kostbaren Gürtel zu stehlen;
allein es scheint, daß ich nicht im Stande bin zu stehlen.... In der That20
es ist äusserst schlim, daß du aufgehöret, der Postbote aller Götter zu
sein und nur von Apollo und den Musen noch Bestellungen annimst:
sonst zwäng' ich dich sicher, diesen [Aufsaz] in die Welt zu tragen. Da
man indessen sehr gut aus einer Allegorie in die andre kommen kan: so
kan ich noch sagen, daß es dem, der die Seelen sowol in die Hölle als25
in diese Welt zu führen vermocht, überlassen [bleibt], wohin er diesen
senden wil, ob mit der nächsten Post zu mir oder zum Publikum.
Ungemein selten komt ein Unglük allein; wenn du z. B. iezt dich mit der
Bekantmachung dieses Aufsazes belädst, wird dir nicht sofort sein
Verfasser die Aufnahme einer Satire über die Damen, die ihre30
Tugend besiegen lassen wollen -- ohne Bedenken zumuthen? Ich wolte
darauf wetten. -- Ich habe noch eine Bitte an dich: denn ich bin zu
arm; aber diese ist klein. Es wäre sonderbar, wenn ich mich nennen
wolte etc.

Ach lieber Örthel ziehe ſie daraus durch zwei oder drei Gulden, die
du eher wiederbekommen ſolſt, weil du ſie nicht mir, ſondern ihr
leiheſt … Wie viel hab’ ich nicht ſchon von dir verlangen müſſen ..

Schikke mir die Bücher, die du dir ausgezeichnet. Lebe recht wol.

[Spaltenumbruch] Am Dienſtage. [Spaltenumbruch] Richter5
160. An Wieland in Weimar.
[Kopie]
Lieber Merkur,

Selten wird einer an dich ſehr gut geſchrieben haben, der nicht
vorher den Comes Natalis vor ſich hingeleget; aus dem ſchöpft man10
den ganzen Brief an dich, der aus lauter Anſpielungen auf deine[216]
mythologiſche Biographie gewebet ſein mus. Da man ſich gewöhnlich
der Gunſt deſſen, mit dem man umgeht, dadurch bemächtigt, daß man
ſeinen Sitten nachahmt: ſo haben die gröſten Autoren geglaubet, dich
durch eine ähnliche Nachahmung beſtechen zu können und hoften ſich15
die Liebe des Gottes der Beredſamkeit zu erſchmeicheln, wenn ſie offen-
bar beredt an ihn ſchrieben. Ich laſſe das: denn du warſt wol fähig in
deiner Jugend vor vielen 100 Jahren und zum 2tenmal in deinem
Alter vor einigen Jahren der Venus den koſtbaren Gürtel zu ſtehlen;
allein es ſcheint, daß ich nicht im Stande bin zu ſtehlen.... In der That20
es iſt äuſſerſt ſchlim, daß du aufgehöret, der Poſtbote aller Götter zu
ſein und nur von Apollo und den Muſen noch Beſtellungen annimſt:
ſonſt zwäng’ ich dich ſicher, dieſen [Aufſaz] in die Welt zu tragen. Da
man indeſſen ſehr gut aus einer Allegorie in die andre kommen kan: ſo
kan ich noch ſagen, daß es dem, der die Seelen ſowol in die Hölle als25
in dieſe Welt zu führen vermocht, überlaſſen [bleibt], wohin er dieſen
ſenden wil, ob mit der nächſten Poſt zu mir oder zum Publikum.
Ungemein ſelten komt ein Unglük allein; wenn du z. B. iezt dich mit der
Bekantmachung dieſes Aufſazes belädſt, wird dir nicht ſofort ſein
Verfaſſer die Aufnahme einer Satire über die Damen, die ihre30
Tugend beſiegen laſſen wollen — ohne Bedenken zumuthen? Ich wolte
darauf wetten. — Ich habe noch eine Bitte an dich: denn ich bin zu
arm; aber dieſe iſt klein. Es wäre ſonderbar, wenn ich mich nennen
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[205/0230] Ach lieber Örthel ziehe ſie daraus durch zwei oder drei Gulden, die du eher wiederbekommen ſolſt, weil du ſie nicht mir, ſondern ihr leiheſt … Wie viel hab’ ich nicht ſchon von dir verlangen müſſen .. Schikke mir die Bücher, die du dir ausgezeichnet. Lebe recht wol. Am Dienſtage. Richter 5 160. An Wieland in Weimar. [Hof, 26. März 1786] Lieber Merkur, Selten wird einer an dich ſehr gut geſchrieben haben, der nicht vorher den Comes Natalis vor ſich hingeleget; aus dem ſchöpft man 10 den ganzen Brief an dich, der aus lauter Anſpielungen auf deine mythologiſche Biographie gewebet ſein mus. Da man ſich gewöhnlich der Gunſt deſſen, mit dem man umgeht, dadurch bemächtigt, daß man ſeinen Sitten nachahmt: ſo haben die gröſten Autoren geglaubet, dich durch eine ähnliche Nachahmung beſtechen zu können und hoften ſich 15 die Liebe des Gottes der Beredſamkeit zu erſchmeicheln, wenn ſie offen- bar beredt an ihn ſchrieben. Ich laſſe das: denn du warſt wol fähig in deiner Jugend vor vielen 100 Jahren und zum 2tenmal in deinem Alter vor einigen Jahren der Venus den koſtbaren Gürtel zu ſtehlen; allein es ſcheint, daß ich nicht im Stande bin zu ſtehlen.... In der That 20 es iſt äuſſerſt ſchlim, daß du aufgehöret, der Poſtbote aller Götter zu ſein und nur von Apollo und den Muſen noch Beſtellungen annimſt: ſonſt zwäng’ ich dich ſicher, dieſen [Aufſaz] in die Welt zu tragen. Da man indeſſen ſehr gut aus einer Allegorie in die andre kommen kan: ſo kan ich noch ſagen, daß es dem, der die Seelen ſowol in die Hölle als 25 in dieſe Welt zu führen vermocht, überlaſſen [bleibt], wohin er dieſen ſenden wil, ob mit der nächſten Poſt zu mir oder zum Publikum. Ungemein ſelten komt ein Unglük allein; wenn du z. B. iezt dich mit der Bekantmachung dieſes Aufſazes belädſt, wird dir nicht ſofort ſein Verfaſſer die Aufnahme einer Satire über die Damen, die ihre 30 Tugend beſiegen laſſen wollen — ohne Bedenken zumuthen? Ich wolte darauf wetten. — Ich habe noch eine Bitte an dich: denn ich bin zu arm; aber dieſe iſt klein. Es wäre ſonderbar, wenn ich mich nennen wolte ꝛc. [216]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/230>, abgerufen am 25.04.2024.