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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Der leztere lässet sich Ihnen empfehlen und Sie um das Versprechen
eines Besuches bitten: denn halten werden Sie es nicht. Seinen
Stok hat er nicht; schikken Sie meinen Bruder an den Ort, wo Sie ihn
noch vermuthen. Ich bin mit der grösten Hochachtung, die ich seit
einiger Zeit auch Ihrem Herzen wegen des Antonins schuldig bin5

Ihr
gehors. Diener und Freund

[Spaltenumbruch] Töpen 15 Jul. 87 [Sonntag]. [Spaltenumbruch] Richter

Am Sontage komm' ich und ein anderer vielleicht, der Sie blos
gelesen.

10
197. An Pfarrer Chr. Morus in Töpen.[241]
[Kopie]
pp.

Ich hatte bisher bessere Dinge zu thun als daß ich schlechte zu
widerlegen Zeit gehabt: blos dies verschob meine Antwort auf Ihre15
neulichen Beleidigungen auf dem Wege. Auch der Ehre des H.
Kammerraths bin ichs schuldig, einen Vorwurf abzuweisen, der ihn
am Ende auch antastet: denn bin ich ein Lehrer des Selbstmords und
Atheismus, was ist denn ein Vater, der einen solchen Lehrer zum
Lehrer seines Kindes macht? Aber ich frage vielmehr, was ist ein20
Man, der diesen giftigen Vorwurf ohne Beweise einem Neben-
menschen zu machen vermag, der ihn nie beleidigte? Ich weis recht
wol, Sie werden Ihre damalige Feld- und Kontroverspredigt gänz-
lich auf die Wirkung schieben wollen, welche die Sonnenhize gerade
auf Ihren Kopf gemacht: allein ich rede hier von Ihrem Herzen, das25
in eine noch schlimmere Hize gerieth. Ahmten Sie damit den sanften
liebevollen Geist des Stifters unserer Religion etwan nach, der nie
auf Meinungen sondern auf Thaten drang, der (so wie sein bester
Jünger) nicht irgend eine Kernlehre sondern Liebe zum Lebensgeist
und zur Wurzel des Christenthumes machte und der nicht die geradern30
Freigeister in Jerusalem (die Sadduzäer) sondern die heuchelnden
Orthodoxen (Pharisäer) verdamte? Und wo hab' ich überhaupt Ihnen
mein Glaubensbekentnis abgeleget, daß Sie es so genau zu kennen
vermöchten, um die almächtige Rolle eines Grosinquisitors in
Töpen spielen zu wollen? Oder schliessen Sie auf meinen Glauben aus35

15*

Der leztere läſſet ſich Ihnen empfehlen und Sie um das Verſprechen
eines Beſuches bitten: denn halten werden Sie es nicht. Seinen
Stok hat er nicht; ſchikken Sie meinen Bruder an den Ort, wo Sie ihn
noch vermuthen. Ich bin mit der gröſten Hochachtung, die ich ſeit
einiger Zeit auch Ihrem Herzen wegen des Antonins ſchuldig bin5

Ihr
gehorſ. Diener und Freund

[Spaltenumbruch] Töpen 15 Jul. 87 [Sonntag]. [Spaltenumbruch] Richter

Am Sontage komm’ ich und ein anderer vielleicht, der Sie blos
geleſen.

10
197. An Pfarrer Chr. Morus in Töpen.[241]
[Kopie]
pp.

Ich hatte bisher beſſere Dinge zu thun als daß ich ſchlechte zu
widerlegen Zeit gehabt: blos dies verſchob meine Antwort auf Ihre15
neulichen Beleidigungen auf dem Wege. Auch der Ehre des H.
Kammerraths bin ichs ſchuldig, einen Vorwurf abzuweiſen, der ihn
am Ende auch antaſtet: denn bin ich ein Lehrer des Selbſtmords und
Atheiſmus, was iſt denn ein Vater, der einen ſolchen Lehrer zum
Lehrer ſeines Kindes macht? Aber ich frage vielmehr, was iſt ein20
Man, der dieſen giftigen Vorwurf ohne Beweiſe einem Neben-
menſchen zu machen vermag, der ihn nie beleidigte? Ich weis recht
wol, Sie werden Ihre damalige Feld- und Kontroverspredigt gänz-
lich auf die Wirkung ſchieben wollen, welche die Sonnenhize gerade
auf Ihren Kopf gemacht: allein ich rede hier von Ihrem Herzen, das25
in eine noch ſchlimmere Hize gerieth. Ahmten Sie damit den ſanften
liebevollen Geiſt des Stifters unſerer Religion etwan nach, der nie
auf Meinungen ſondern auf Thaten drang, der (ſo wie ſein beſter
Jünger) nicht irgend eine Kernlehre ſondern Liebe zum Lebensgeiſt
und zur Wurzel des Chriſtenthumes machte und der nicht die geradern30
Freigeiſter in Jeruſalem (die Sadduzäer) ſondern die heuchelnden
Orthodoxen (Phariſäer) verdamte? Und wo hab’ ich überhaupt Ihnen
mein Glaubensbekentnis abgeleget, daß Sie es ſo genau zu kennen
vermöchten, um die almächtige Rolle eines Grosinquiſitors in
Töpen ſpielen zu wollen? Oder ſchlieſſen Sie auf meinen Glauben aus35

15*
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[227/0252] Der leztere läſſet ſich Ihnen empfehlen und Sie um das Verſprechen eines Beſuches bitten: denn halten werden Sie es nicht. Seinen Stok hat er nicht; ſchikken Sie meinen Bruder an den Ort, wo Sie ihn noch vermuthen. Ich bin mit der gröſten Hochachtung, die ich ſeit einiger Zeit auch Ihrem Herzen wegen des Antonins ſchuldig bin 5 Ihr gehorſ. Diener und Freund Töpen 15 Jul. 87 [Sonntag]. Richter Am Sontage komm’ ich und ein anderer vielleicht, der Sie blos geleſen. 10 197. An Pfarrer Chr. Morus in Töpen. [Töpen, 3. Sept. 1787] pp. Ich hatte bisher beſſere Dinge zu thun als daß ich ſchlechte zu widerlegen Zeit gehabt: blos dies verſchob meine Antwort auf Ihre 15 neulichen Beleidigungen auf dem Wege. Auch der Ehre des H. Kammerraths bin ichs ſchuldig, einen Vorwurf abzuweiſen, der ihn am Ende auch antaſtet: denn bin ich ein Lehrer des Selbſtmords und Atheiſmus, was iſt denn ein Vater, der einen ſolchen Lehrer zum Lehrer ſeines Kindes macht? Aber ich frage vielmehr, was iſt ein 20 Man, der dieſen giftigen Vorwurf ohne Beweiſe einem Neben- menſchen zu machen vermag, der ihn nie beleidigte? Ich weis recht wol, Sie werden Ihre damalige Feld- und Kontroverspredigt gänz- lich auf die Wirkung ſchieben wollen, welche die Sonnenhize gerade auf Ihren Kopf gemacht: allein ich rede hier von Ihrem Herzen, das 25 in eine noch ſchlimmere Hize gerieth. Ahmten Sie damit den ſanften liebevollen Geiſt des Stifters unſerer Religion etwan nach, der nie auf Meinungen ſondern auf Thaten drang, der (ſo wie ſein beſter Jünger) nicht irgend eine Kernlehre ſondern Liebe zum Lebensgeiſt und zur Wurzel des Chriſtenthumes machte und der nicht die geradern 30 Freigeiſter in Jeruſalem (die Sadduzäer) ſondern die heuchelnden Orthodoxen (Phariſäer) verdamte? Und wo hab’ ich überhaupt Ihnen mein Glaubensbekentnis abgeleget, daß Sie es ſo genau zu kennen vermöchten, um die almächtige Rolle eines Grosinquiſitors in Töpen ſpielen zu wollen? Oder ſchlieſſen Sie auf meinen Glauben aus 35 15*

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/252>, abgerufen am 24.04.2024.