Bild auf der Retina entwirft, im Maler nach den Fortschritten seiner Kunst andre Gesichtsempfindungen aufstehen. Selbst nach dir kan nicht das Organ als Organ, sondern nur als eine Monadensamlung empfinden und insofern hat das Organ 1000 Wesen und 1000 Empfin- dungen; auf eben die Art kan unser Geist ein Theil höherer Organe5 sein. Wenn du behauptest [das Organ habe] die nämlichen Empfin- dungen, die es der Seele giebt: so kanst du es erstlich mit nichts beweisen und zweitens durch welches neue Organ empfindet denn das Organ? Wenn einmal irgend eine Monade eine Empfindung für sich bekommen mus: so kans iede andre ohne ein Organ, das die Empfindung zugleich10 hat und erwekt. Deine philosophischen Einschaltungen sind mir wil-[269] kommen: aber wenn du mir Gewächse dieser Art schikst: so schneide nur nicht die Wurzel vorher davon herunter: sonst sezet es sich nicht in mir fest. ... Ihre [der Franzosen] Schreibverzerrungen sind nicht ärger als unsre, die wir gar ein besonderes Alphabet für den Druk und ein15 andres für die Feder haben. Du wirst mir wenigstens in Rüksicht meines heutigen Schmierens Recht geben, hoff' ich.
Er [Joerdens] hat durch das Intelligenzblat sich um seinen Kredit und Vorrang vor dem weissen geschrieben. Der Teufel holt in dieser medizinischen Diözes niemand als die Kranken... Der ehrsame samtne20 Tretscher hat sich mit dem lebenden Fleischfas nicht gezankt, gerauft, geprügelt -- sondern verlobt... Es sol doch nicht wahr sein: um so wichtiger ists aber für uns beide, daß diese Verlobung und die Un- sterblichkeit der Seele in ein zuverlässiges Licht gestelt werde und es mus bald geschehen... Am Ende ists eine Grille von dir lieber in einem25 gelognen als wahren Ort zu sein und ich sehe in Rüksicht deines Ruhms keinen Unterschied zwischen W[ien] und G[öttingen]. Gleichwol liegt dein Siegel noch auf meinem Mund: und auf deinem liegt auch eines: aber ich habe kein Recht zum Richterstuhl, weil ich selbst nicht mit der Schreibung sondern Volendung dieses Briefs so lange gezaudert.30 Schreib es meinem abmattenden Brüten über meinen federlosen Küchlein zu und sei stets der Freund deines Freundes.
244. An A. L. von Spangenberg in Venzka.
[Kopie][Töpen, 19. Jan. 1789]
Damit Sie das lärmende Wetter und den Höfer Jahrmarkt und35 Ihre mir geliehenen Bücher vergessen, mich hingegen nicht -- so send'
Bild auf der Retina entwirft, im Maler nach den Fortſchritten ſeiner Kunſt andre Geſichtsempfindungen aufſtehen. Selbſt nach dir kan nicht das Organ als Organ, ſondern nur als eine Monadenſamlung empfinden und inſofern hat das Organ 1000 Weſen und 1000 Empfin- dungen; auf eben die Art kan unſer Geiſt ein Theil höherer Organe5 ſein. Wenn du behaupteſt [das Organ habe] die nämlichen Empfin- dungen, die es der Seele giebt: ſo kanſt du es erſtlich mit nichts beweiſen und zweitens durch welches neue Organ empfindet denn das Organ? Wenn einmal irgend eine Monade eine Empfindung für ſich bekommen mus: ſo kans iede andre ohne ein Organ, das die Empfindung zugleich10 hat und erwekt. Deine philoſophiſchen Einſchaltungen ſind mir wil-[269] kommen: aber wenn du mir Gewächſe dieſer Art ſchikſt: ſo ſchneide nur nicht die Wurzel vorher davon herunter: ſonſt ſezet es ſich nicht in mir feſt. … Ihre [der Franzoſen] Schreibverzerrungen ſind nicht ärger als unſre, die wir gar ein beſonderes Alphabet für den Druk und ein15 andres für die Feder haben. Du wirſt mir wenigſtens in Rükſicht meines heutigen Schmierens Recht geben, hoff’ ich.
Er [Joerdens] hat durch das Intelligenzblat ſich um ſeinen Kredit und Vorrang vor dem weiſſen geſchrieben. Der Teufel holt in dieſer mediziniſchen Diözes niemand als die Kranken... Der ehrſame ſamtne20 Tretſcher hat ſich mit dem lebenden Fleiſchfas nicht gezankt, gerauft, geprügelt — ſondern verlobt... Es ſol doch nicht wahr ſein: um ſo wichtiger iſts aber für uns beide, daß dieſe Verlobung und die Un- ſterblichkeit der Seele in ein zuverläſſiges Licht geſtelt werde und es mus bald geſchehen... Am Ende iſts eine Grille von dir lieber in einem25 gelognen als wahren Ort zu ſein und ich ſehe in Rükſicht deines Ruhms keinen Unterſchied zwiſchen W[ien] und G[öttingen]. Gleichwol liegt dein Siegel noch auf meinem Mund: und auf deinem liegt auch eines: aber ich habe kein Recht zum Richterſtuhl, weil ich ſelbſt nicht mit der Schreibung ſondern Volendung dieſes Briefs ſo lange gezaudert.30 Schreib es meinem abmattenden Brüten über meinen federloſen Küchlein zu und ſei ſtets der Freund deines Freundes.
244. An A. L. von Spangenberg in Venzka.
[Kopie][Töpen, 19. Jan. 1789]
Damit Sie das lärmende Wetter und den Höfer Jahrmarkt und35 Ihre mir geliehenen Bücher vergeſſen, mich hingegen nicht — ſo ſend’
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Bild auf der Retina entwirft, im Maler nach den Fortſchritten ſeiner
Kunſt andre Geſichtsempfindungen aufſtehen. Selbſt nach dir kan
nicht das Organ als Organ, ſondern nur als eine Monadenſamlung
empfinden und inſofern hat das Organ 1000 Weſen und 1000 Empfin-
dungen; auf eben die Art kan unſer Geiſt ein Theil höherer Organe 5
ſein. Wenn du behaupteſt [das Organ habe] die nämlichen Empfin-
dungen, die es der Seele giebt: ſo kanſt du es erſtlich mit nichts beweiſen
und zweitens durch welches neue Organ empfindet denn das Organ?
Wenn einmal irgend eine Monade eine Empfindung für ſich bekommen
mus: ſo kans iede andre ohne ein Organ, das die Empfindung zugleich 10
hat und erwekt. Deine philoſophiſchen Einſchaltungen ſind mir wil-
kommen: aber wenn du mir Gewächſe dieſer Art ſchikſt: ſo ſchneide nur
nicht die Wurzel vorher davon herunter: ſonſt ſezet es ſich nicht in mir
feſt. … Ihre [der Franzoſen] Schreibverzerrungen ſind nicht ärger als
unſre, die wir gar ein beſonderes Alphabet für den Druk und ein 15
andres für die Feder haben. Du wirſt mir wenigſtens in Rükſicht meines
heutigen Schmierens Recht geben, hoff’ ich.
[269]
Er [Joerdens] hat durch das Intelligenzblat ſich um ſeinen Kredit
und Vorrang vor dem weiſſen geſchrieben. Der Teufel holt in dieſer
mediziniſchen Diözes niemand als die Kranken... Der ehrſame ſamtne 20
Tretſcher hat ſich mit dem lebenden Fleiſchfas nicht gezankt, gerauft,
geprügelt — ſondern verlobt... Es ſol doch nicht wahr ſein: um ſo
wichtiger iſts aber für uns beide, daß dieſe Verlobung und die Un-
ſterblichkeit der Seele in ein zuverläſſiges Licht geſtelt werde und es mus
bald geſchehen... Am Ende iſts eine Grille von dir lieber in einem 25
gelognen als wahren Ort zu ſein und ich ſehe in Rükſicht deines Ruhms
keinen Unterſchied zwiſchen W[ien] und G[öttingen]. Gleichwol liegt
dein Siegel noch auf meinem Mund: und auf deinem liegt auch eines:
aber ich habe kein Recht zum Richterſtuhl, weil ich ſelbſt nicht mit der
Schreibung ſondern Volendung dieſes Briefs ſo lange gezaudert. 30
Schreib es meinem abmattenden Brüten über meinen federloſen
Küchlein zu und ſei ſtets der Freund deines Freundes.
244. An A. L. von Spangenberg in Venzka.
[Töpen, 19. Jan. 1789]
Damit Sie das lärmende Wetter und den Höfer Jahrmarkt und 35
Ihre mir geliehenen Bücher vergeſſen, mich hingegen nicht — ſo ſend’
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/280>, abgerufen am 29.03.2024.
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