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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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ich soviel ich kan. Diesen 2 Krankheiten an mir, wovon du nur die
leztere hast, wirst du meine Unthätigkeit in Rüksicht der Herm[anni-
schen] Schriften zugeschrieben haben -- aber dasmal ists, zu meinem
Lobe, nicht. Ich mus mich iezt vor dir rechtfertigen, wie ichs vor mir
gethan.5

Sein System mus, wenn es nicht volständig hingestelt wird, schief,
unbewiesen, überkühn und eben so oft nachkopiert erscheinen. Seine
Papiere sind ein vom Erdbeben umgeworfner Tempel; und er selber
wolte erst ihn in ein Gebäude einfügen: wenigstens kan kein einziges
seiner Bücher, wenns nicht das Schiksal der 2 ersten haben sol, wie es10
ist gelassen sondern alle müssen ausgezogen werden. Dieser Auszug aus
so vielen Papieren, Briefen, meinen Reminißenzen, selbst aus den
2 gedrukten B[üchern] sezt eine Zeit und eine Lage voraus, die mir iezt
fehlen. Denn die wenigen, der Ermüdung, der Informazion und der
Gesundheit abgegeizten Stunden geben mir diese Elastizität nicht --15
meine eignen Arbeiten, denen ich nicht entsagen kan, wenn ich nicht
[355]meine Abhängigkeit und den Druk der immer sich erneuernden Bedürf-
nisse verewigen wil, theilen sich schon in iene paar Stunden. In Einem
Jahre sind diese Arbeiten geendigt und iene Verhältnisse geändert;
ich wils nicht einmal rechnen, daß ich um ein Jahr älter bin (weil ichs20
sonst ein Jahr vor meinem Tod machen müste) oder daß ich dan
(vielleicht blos) mit mehr Freude über ein so trauriges Geschäft komme
als iezt, wo mir an der Erde ihr phosphoreßierender Nimbus immer
mehr auslöscht und wo mich das Eitle und Kurze des Lebens fast zum
Schaden des wissenschaftlichen Eifers quält ....... Vielleicht hilft25
hälfe auch das, wenn ich in meinem künftigen Buche im Voraus
auf ihn aufmerksam machen könte etc.

Kurz wenns nicht seinem Namen gehen sol wie seinem Leben: so mus
ichs mit der Samlung und Freiheit aller Seelenkräfte machen, ich mag
mich immerhin durch dieses Warten den Vermuthungen seines30
Vaters etc. blosstellen.

Freilich fält mir seine Armuth ein; aber wüst' er meine Gründe,
er bezahlte gern mit seinem Nachtheil diese Vortheile seines Sohns.

Du sagtest einmal, daß die Beschleunigung wegen der kantischen
Streitigkeiten gut wäre; aber von diesen borgen seine Gedanken, die35
eine ganz andre Bahn nehmen, schlechterdings kein Interesse, wie es
auch die gedrukten beweisen. Er hatte nicht einmal Kant ganz gelesen,

ich ſoviel ich kan. Dieſen 2 Krankheiten an mir, wovon du nur die
leztere haſt, wirſt du meine Unthätigkeit in Rükſicht der Herm[anni-
ſchen] Schriften zugeſchrieben haben — aber dasmal iſts, zu meinem
Lobe, nicht. Ich mus mich iezt vor dir rechtfertigen, wie ichs vor mir
gethan.5

Sein Syſtem mus, wenn es nicht volſtändig hingeſtelt wird, ſchief,
unbewieſen, überkühn und eben ſo oft nachkopiert erſcheinen. Seine
Papiere ſind ein vom Erdbeben umgeworfner Tempel; und er ſelber
wolte erſt ihn in ein Gebäude einfügen: wenigſtens kan kein einziges
ſeiner Bücher, wenns nicht das Schikſal der 2 erſten haben ſol, wie es10
iſt gelaſſen ſondern alle müſſen ausgezogen werden. Dieſer Auszug aus
ſo vielen Papieren, Briefen, meinen Reminiſzenzen, ſelbſt aus den
2 gedrukten B[üchern] ſezt eine Zeit und eine Lage voraus, die mir iezt
fehlen. Denn die wenigen, der Ermüdung, der Informazion und der
Geſundheit abgegeizten Stunden geben mir dieſe Elaſtizität nicht —15
meine eignen Arbeiten, denen ich nicht entſagen kan, wenn ich nicht
[355]meine Abhängigkeit und den Druk der immer ſich erneuernden Bedürf-
niſſe verewigen wil, theilen ſich ſchon in iene paar Stunden. In Einem
Jahre ſind dieſe Arbeiten geendigt und iene Verhältniſſe geändert;
ich wils nicht einmal rechnen, daß ich um ein Jahr älter bin (weil ichs20
ſonſt ein Jahr vor meinem Tod machen müſte) oder daß ich dan
(vielleicht blos) mit mehr Freude über ein ſo trauriges Geſchäft komme
als iezt, wo mir an der Erde ihr phoſphoreſzierender Nimbus immer
mehr auslöſcht und wo mich das Eitle und Kurze des Lebens faſt zum
Schaden des wiſſenſchaftlichen Eifers quält ....... Vielleicht hilft25
〈hälfe〉 auch das, wenn ich in meinem künftigen Buche im Voraus
auf ihn aufmerkſam machen könte ꝛc.

Kurz wenns nicht ſeinem Namen gehen ſol wie ſeinem Leben: ſo mus
ichs mit der Samlung und Freiheit aller Seelenkräfte machen, ich mag
mich immerhin durch dieſes Warten den Vermuthungen ſeines30
Vaters ꝛc. blosſtellen.

Freilich fält mir ſeine Armuth ein; aber wüſt’ er meine Gründe,
er bezahlte gern mit ſeinem Nachtheil dieſe Vortheile ſeines Sohns.

Du ſagteſt einmal, daß die Beſchleunigung wegen der kantiſchen
Streitigkeiten gut wäre; aber von dieſen borgen ſeine Gedanken, die35
eine ganz andre Bahn nehmen, ſchlechterdings kein Intereſſe, wie es
auch die gedrukten beweiſen. Er hatte nicht einmal Kant ganz geleſen,

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[336/0362] ich ſoviel ich kan. Dieſen 2 Krankheiten an mir, wovon du nur die leztere haſt, wirſt du meine Unthätigkeit in Rükſicht der Herm[anni- ſchen] Schriften zugeſchrieben haben — aber dasmal iſts, zu meinem Lobe, nicht. Ich mus mich iezt vor dir rechtfertigen, wie ichs vor mir gethan. 5 Sein Syſtem mus, wenn es nicht volſtändig hingeſtelt wird, ſchief, unbewieſen, überkühn und eben ſo oft nachkopiert erſcheinen. Seine Papiere ſind ein vom Erdbeben umgeworfner Tempel; und er ſelber wolte erſt ihn in ein Gebäude einfügen: wenigſtens kan kein einziges ſeiner Bücher, wenns nicht das Schikſal der 2 erſten haben ſol, wie es 10 iſt gelaſſen ſondern alle müſſen ausgezogen werden. Dieſer Auszug aus ſo vielen Papieren, Briefen, meinen Reminiſzenzen, ſelbſt aus den 2 gedrukten B[üchern] ſezt eine Zeit und eine Lage voraus, die mir iezt fehlen. Denn die wenigen, der Ermüdung, der Informazion und der Geſundheit abgegeizten Stunden geben mir dieſe Elaſtizität nicht — 15 meine eignen Arbeiten, denen ich nicht entſagen kan, wenn ich nicht meine Abhängigkeit und den Druk der immer ſich erneuernden Bedürf- niſſe verewigen wil, theilen ſich ſchon in iene paar Stunden. In Einem Jahre ſind dieſe Arbeiten geendigt und iene Verhältniſſe geändert; ich wils nicht einmal rechnen, daß ich um ein Jahr älter bin (weil ichs 20 ſonſt ein Jahr vor meinem Tod machen müſte) oder daß ich dan (vielleicht blos) mit mehr Freude über ein ſo trauriges Geſchäft komme als iezt, wo mir an der Erde ihr phoſphoreſzierender Nimbus immer mehr auslöſcht und wo mich das Eitle und Kurze des Lebens faſt zum Schaden des wiſſenſchaftlichen Eifers quält ....... Vielleicht hilft 25 〈hälfe〉 auch das, wenn ich in meinem künftigen Buche im Voraus auf ihn aufmerkſam machen könte ꝛc. [355] Kurz wenns nicht ſeinem Namen gehen ſol wie ſeinem Leben: ſo mus ichs mit der Samlung und Freiheit aller Seelenkräfte machen, ich mag mich immerhin durch dieſes Warten den Vermuthungen ſeines 30 Vaters ꝛc. blosſtellen. Freilich fält mir ſeine Armuth ein; aber wüſt’ er meine Gründe, er bezahlte gern mit ſeinem Nachtheil dieſe Vortheile ſeines Sohns. Du ſagteſt einmal, daß die Beſchleunigung wegen der kantiſchen Streitigkeiten gut wäre; aber von dieſen borgen ſeine Gedanken, die 35 eine ganz andre Bahn nehmen, ſchlechterdings kein Intereſſe, wie es auch die gedrukten beweiſen. Er hatte nicht einmal Kant ganz geleſen,

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/362>, abgerufen am 19.04.2024.