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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Blos des Adelungs wegen: "daß sie das Band aller Länder und
Völker d[er] R[ömischen] W[elt] wurde, das in der Folge ein wol-
th[ätiger] Genius noch fester zuzog und an dem er sie zu höherer Bildung
lenkte".

6. Die nächsten 6 unterstrichnen Wörter vertragen sich als abstrakte5
Rechnungsmünzen nicht mit dem brennenden Metalflus vorher. Aber
auch ohnedies ists mir wenn ich bei den sonst besten Autoren (Wieland,
Garve etc.) die luftartigen Ausdrücke lese "Wirkung, Vereinigung,
Zusammenhang, bewirken, hervorbringen", als müst' ich warmes
Wasser oder warme Luft saufen: warum nicht "binden, knüpfen,10
schlingen" da zumal keine Sprache auf einem solchen Wortschaze
[357]sizet als die deutsche. Ich sage das nicht nach: denn ich habe ein Lexikon
aller Verba, die sinliche Gegenstände malen, (und blos um diese
Worte dreht sich der ganze Styl, besonders der malende) zusammen-
getragen: z. B. fürs blosse "Gehen" haben wir 94 Verba, für15
schallen 104. Ich wil dirs einmal weisen.

7. Der grosse Genius des kleinen Rennebaums fragt die meisten
deutschen Schriftsteller, auch die ungedrukten: warum sie Gedult,
dultsam, und doch dulden schreiben.

Wegen meiner Unbekantschaft mit deinem künftigen Zwek weis ich20
die Ursachen nicht genug, warum du manchen Stellen zulezt diese
oder iene Ausdehnung gegeben.

Das Schreiben mit Feuer wirft selbst im Kopfe des Autors Stralen
in die entferntesten Winkel einer Materie, die er bei kaltem Nach-
denken gar nicht bemerkt hätte -- die Leidenschaft hat, blind für alles25
andre, dennoch das schärfste Auge für ihren Gegenstand.

Da ich dein Stilschweigen auf meinen lezten Brief nicht für
Zögerung sondern für Bejahung halte: so werd' ich nächstens einen
an den Herman selber schreiben und ihm die alten Mspt. geben und
neue fodern.30

R.
377. An Christian Otto.

Meine Kinder ziehen die Altagskleider wieder an, weil der Himmel
seinen Lumpenrok wieder umhat. Ich komm also morgen -- wegen35
meiner elenden Wetter-Semiotik -- nach Hof und sehe die Phantasie

Blos des Adelungs wegen: „daß ſie das Band aller Länder und
Völker d[er] R[ömiſchen] W[elt] wurde, das in der Folge ein wol-
th[ätiger] Genius noch feſter zuzog und an dem er ſie zu höherer Bildung
lenkte“.

6. Die nächſten 6 unterſtrichnen Wörter vertragen ſich als abſtrakte5
Rechnungsmünzen nicht mit dem brennenden Metalflus vorher. Aber
auch ohnedies iſts mir wenn ich bei den ſonſt beſten Autoren (Wieland,
Garve ꝛc.) die luftartigen Ausdrücke leſe „Wirkung, Vereinigung,
Zuſammenhang, bewirken, hervorbringen“, als müſt’ ich warmes
Waſſer oder warme Luft ſaufen: warum nicht „binden, knüpfen,10
ſchlingen“ da zumal keine Sprache auf einem ſolchen Wortſchaze
[357]ſizet als die deutſche. Ich ſage das nicht nach: denn ich habe ein Lexikon
aller Verba, die ſinliche Gegenſtände malen, (und blos um dieſe
Worte dreht ſich der ganze Styl, beſonders der malende) zuſammen-
getragen: z. B. fürs bloſſe „Gehen“ haben wir 94 Verba, für15
ſchallen 104. Ich wil dirs einmal weiſen.

7. Der groſſe Genius des kleinen Rennebaums fragt die meiſten
deutſchen Schriftſteller, auch die ungedrukten: warum ſie Gedult,
dultſam, und doch dulden ſchreiben.

Wegen meiner Unbekantſchaft mit deinem künftigen Zwek weis ich20
die Urſachen nicht genug, warum du manchen Stellen zulezt dieſe
oder iene Ausdehnung gegeben.

Das Schreiben mit Feuer wirft ſelbſt im Kopfe des Autors Stralen
in die entfernteſten Winkel einer Materie, die er bei kaltem Nach-
denken gar nicht bemerkt hätte — die Leidenſchaft hat, blind für alles25
andre, dennoch das ſchärfſte Auge für ihren Gegenſtand.

Da ich dein Stilſchweigen auf meinen lezten Brief nicht für
Zögerung ſondern für Bejahung halte: ſo werd’ ich nächſtens einen
an den Herman ſelber ſchreiben und ihm die alten Mſpt. geben und
neue fodern.30

R.
377. An Chriſtian Otto.

Meine Kinder ziehen die Altagskleider wieder an, weil der Himmel
ſeinen Lumpenrok wieder umhat. Ich komm alſo morgen — wegen35
meiner elenden Wetter-Semiotik — nach Hof und ſehe die Phantaſie

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[338/0364] Blos des Adelungs wegen: „daß ſie das Band aller Länder und Völker d[er] R[ömiſchen] W[elt] wurde, das in der Folge ein wol- th[ätiger] Genius noch feſter zuzog und an dem er ſie zu höherer Bildung lenkte“. 6. Die nächſten 6 unterſtrichnen Wörter vertragen ſich als abſtrakte 5 Rechnungsmünzen nicht mit dem brennenden Metalflus vorher. Aber auch ohnedies iſts mir wenn ich bei den ſonſt beſten Autoren (Wieland, Garve ꝛc.) die luftartigen Ausdrücke leſe „Wirkung, Vereinigung, Zuſammenhang, bewirken, hervorbringen“, als müſt’ ich warmes Waſſer oder warme Luft ſaufen: warum nicht „binden, knüpfen, 10 ſchlingen“ da zumal keine Sprache auf einem ſolchen Wortſchaze ſizet als die deutſche. Ich ſage das nicht nach: denn ich habe ein Lexikon aller Verba, die ſinliche Gegenſtände malen, (und blos um dieſe Worte dreht ſich der ganze Styl, beſonders der malende) zuſammen- getragen: z. B. fürs bloſſe „Gehen“ haben wir 94 Verba, für 15 ſchallen 104. Ich wil dirs einmal weiſen. [357] 7. Der groſſe Genius des kleinen Rennebaums fragt die meiſten deutſchen Schriftſteller, auch die ungedrukten: warum ſie Gedult, dultſam, und doch dulden ſchreiben. Wegen meiner Unbekantſchaft mit deinem künftigen Zwek weis ich 20 die Urſachen nicht genug, warum du manchen Stellen zulezt dieſe oder iene Ausdehnung gegeben. Das Schreiben mit Feuer wirft ſelbſt im Kopfe des Autors Stralen in die entfernteſten Winkel einer Materie, die er bei kaltem Nach- denken gar nicht bemerkt hätte — die Leidenſchaft hat, blind für alles 25 andre, dennoch das ſchärfſte Auge für ihren Gegenſtand. Da ich dein Stilſchweigen auf meinen lezten Brief nicht für Zögerung ſondern für Bejahung halte: ſo werd’ ich nächſtens einen an den Herman ſelber ſchreiben und ihm die alten Mſpt. geben und neue fodern. 30 R. 377. An Chriſtian Otto. Schwarzenbach den 11 Jun. 1791 [Sonnabend]. Meine Kinder ziehen die Altagskleider wieder an, weil der Himmel ſeinen Lumpenrok wieder umhat. Ich komm alſo morgen — wegen 35 meiner elenden Wetter-Semiotik — nach Hof und ſehe die Phantaſie

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/364>, abgerufen am 28.03.2024.