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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Dieses Pak ist die Ursache warum dein Buch oder ich gestern nicht
[365]kam. -- Und doch hatt' ich gestern nicht so viel Zeit, nur die Kapitel
zu numerieren: ich habe deswegen unten mit Bleistift die Hefte
numeriert; leg es aber doch nicht so sehr aus einander, sonst kanst du5
dich in den Wirwar nimmer finden. -- Halt es nur bis zum 21 Sektor
aus: dan läuft das Interesse schon mehr zusammen. -- Uebrigens
kanst du vorn keine einzige Szene herausziehen, ohne daß hinten alles
zusammenfält, weils Werk ist wie meine Hosen, wo eine Masche alle hält.

-- Es versteht sich, daß unser Alter es auch lesen kan, wenn er wil. --10
Bis Sonabend hast du es hoffentlich wenigstens durchgeflogen -- und
mir wenigstens ein Paar Zeilen darüber geschrieben. -- Ich wolt noch
1000 Dinge sagen -- meine unvortheilhafte Lage für einen Roman-
schreiber -- daß ich ferner keinen einzigen lebendigen Karakter brauchen
können, kaum etwas vom alten Oerthel ausgenommen -- daß ich15
leider die obersten Stände, die ich selber nicht gesehen, zu schildern
mich erfrecht, (worüber ich die 2 Entschuldigungen habe, daß meine
meisten Leser auch nicht da waren und daß andre Autores es auch so
gemacht und daß doch aus allen gedrukten Kopien des Hofs eine
einzige werde zu machen sein --) und daß ich alle Szenen, sie mögen20
immer meine Kräfte überstiegen haben, doch geschildert, anstat daß
andre darüber wegspringen. Denn es giebt eine Menge Mittel, den
Leser um die Schilderung mislicher Szenen zu bringen. -- Übrigens
ist dieses Pak ein corpus vile, an dem ich das Romanenmachen lernte:
ich habe jezt etwas bessers im Kopfe! -- Ist an den auf andres Papier25
geschriebnen Szenen nichts -- dem Eintrit aus der Erde in die Erde --
an der Szene auf einem Berg in einem Park während eine Orgel
geht -- an denen mit der Residentin, die mich die meiste Mühe ge-
kostet und noch grössere kosten werden -- an der Badzeit, an dem
Tage auf der Molucke Teidor -- so ist der ganze Bettel nichts werth. --30
Blos die zwei Hauptkarakt[ere] hatt ich darin zu entwickeln Zeit. --

Behandele mich mit Strenge, aber doch nur mit so vieler als der
Werth des Buchs aushält: hält er gar keine aus, so must du mich
loben. -- Wenn nur die 8 Tage weg wären! Ich versich[ere] dich,
ich werde zu Hause ordentlich erröthen wenn ich mir denke, jezt ist er35
da, jezt da!

Richter

Dieſes Pak iſt die Urſache warum dein Buch oder ich geſtern nicht
[365]kam. — Und doch hatt’ ich geſtern nicht ſo viel Zeit, nur die Kapitel
zu numerieren: ich habe deswegen unten mit Bleiſtift die Hefte
numeriert; leg es aber doch nicht ſo ſehr aus einander, ſonſt kanſt du5
dich in den Wirwar nimmer finden. — Halt es nur bis zum 21 Sektor
aus: dan läuft das Intereſſe ſchon mehr zuſammen. — Uebrigens
kanſt du vorn keine einzige Szene herausziehen, ohne daß hinten alles
zuſammenfält, weils Werk iſt wie meine Hoſen, wo eine Maſche alle hält.

— Es verſteht ſich, daß unſer Alter es auch leſen kan, wenn er wil. —10
Bis Sonabend haſt du es hoffentlich wenigſtens durchgeflogen — und
mir wenigſtens ein Paar Zeilen darüber geſchrieben. — Ich wolt noch
1000 Dinge ſagen — meine unvortheilhafte Lage für einen Roman-
ſchreiber — daß ich ferner keinen einzigen lebendigen Karakter brauchen
können, kaum etwas vom alten Oerthel ausgenommen — daß ich15
leider die oberſten Stände, die ich ſelber nicht geſehen, zu ſchildern
mich erfrecht, (worüber ich die 2 Entſchuldigungen habe, daß meine
meiſten Leſer auch nicht da waren und daß andre Autores es auch ſo
gemacht und daß doch aus allen gedrukten Kopien des Hofs eine
einzige werde zu machen ſein —) und daß ich alle Szenen, ſie mögen20
immer meine Kräfte überſtiegen haben, doch geſchildert, anſtat daß
andre darüber wegſpringen. Denn es giebt eine Menge Mittel, den
Leſer um die Schilderung mislicher Szenen zu bringen. — Übrigens
iſt dieſes Pak ein corpus vile, an dem ich das Romanenmachen lernte:
ich habe jezt etwas beſſers im Kopfe! — Iſt an den auf andres Papier25
geſchriebnen Szenen nichts — dem Eintrit aus der Erde in die Erde —
an der Szene auf einem Berg in einem Park während eine Orgel
geht — an denen mit der Reſidentin, die mich die meiſte Mühe ge-
koſtet und noch gröſſere koſten werden — an der Badzeit, an dem
Tage auf der Molucke Teidor — ſo iſt der ganze Bettel nichts werth. —30
Blos die zwei Hauptkarakt[ere] hatt ich darin zu entwickeln Zeit. —

Behandele mich mit Strenge, aber doch nur mit ſo vieler als der
Werth des Buchs aushält: hält er gar keine aus, ſo muſt du mich
loben. — Wenn nur die 8 Tage weg wären! Ich verſich[ere] dich,
ich werde zu Hauſe ordentlich erröthen wenn ich mir denke, jezt iſt er35
da, jezt da!

Richter
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[346/0372] Montags. Dieſes Pak iſt die Urſache warum dein Buch oder ich geſtern nicht kam. — Und doch hatt’ ich geſtern nicht ſo viel Zeit, nur die Kapitel zu numerieren: ich habe deswegen unten mit Bleiſtift die Hefte numeriert; leg es aber doch nicht ſo ſehr aus einander, ſonſt kanſt du 5 dich in den Wirwar nimmer finden. — Halt es nur bis zum 21 Sektor aus: dan läuft das Intereſſe ſchon mehr zuſammen. — Uebrigens kanſt du vorn keine einzige Szene herausziehen, ohne daß hinten alles zuſammenfält, weils Werk iſt wie meine Hoſen, wo eine Maſche alle hält. [365] — Es verſteht ſich, daß unſer Alter es auch leſen kan, wenn er wil. — 10 Bis Sonabend haſt du es hoffentlich wenigſtens durchgeflogen — und mir wenigſtens ein Paar Zeilen darüber geſchrieben. — Ich wolt noch 1000 Dinge ſagen — meine unvortheilhafte Lage für einen Roman- ſchreiber — daß ich ferner keinen einzigen lebendigen Karakter brauchen können, kaum etwas vom alten Oerthel ausgenommen — daß ich 15 leider die oberſten Stände, die ich ſelber nicht geſehen, zu ſchildern mich erfrecht, (worüber ich die 2 Entſchuldigungen habe, daß meine meiſten Leſer auch nicht da waren und daß andre Autores es auch ſo gemacht und daß doch aus allen gedrukten Kopien des Hofs eine einzige werde zu machen ſein —) und daß ich alle Szenen, ſie mögen 20 immer meine Kräfte überſtiegen haben, doch geſchildert, anſtat daß andre darüber wegſpringen. Denn es giebt eine Menge Mittel, den Leſer um die Schilderung mislicher Szenen zu bringen. — Übrigens iſt dieſes Pak ein corpus vile, an dem ich das Romanenmachen lernte: ich habe jezt etwas beſſers im Kopfe! — Iſt an den auf andres Papier 25 geſchriebnen Szenen nichts — dem Eintrit aus der Erde in die Erde — an der Szene auf einem Berg in einem Park während eine Orgel geht — an denen mit der Reſidentin, die mich die meiſte Mühe ge- koſtet und noch gröſſere koſten werden — an der Badzeit, an dem Tage auf der Molucke Teidor — ſo iſt der ganze Bettel nichts werth. — 30 Blos die zwei Hauptkarakt[ere] hatt ich darin zu entwickeln Zeit. — Behandele mich mit Strenge, aber doch nur mit ſo vieler als der Werth des Buchs aushält: hält er gar keine aus, ſo muſt du mich loben. — Wenn nur die 8 Tage weg wären! Ich verſich[ere] dich, ich werde zu Hauſe ordentlich erröthen wenn ich mir denke, jezt iſt er 35 da, jezt da! Richter

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/372>, abgerufen am 29.03.2024.