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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952.

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355. An Emanuel.

Einen frühen guten Morgen, meiner! Da ich ihn im Blau ge-
nießen will: so bitt' ich Sie um die Briefe -- für die Post.

356. An Kandidat Petrick in Muskau.5
[Kopie]

Die zweite Lesung Ihrer so schönen [?] Blätter straft mich mit
verdienter Reue für mein bisheriges Antworts Zögern. Ich über-
gehe alle Ursachen desselben, da keine davon in Ihren Blättern
liegt. ... Ihre Kraft und Tendenz ist poetisch, nämlich elegisch-10
poetisch -- obwol auf die Flügel ziemlich viel Abendthau des Lebens
gefallen sein mag, den Sie da abschütteln müssen, wo er nicht
schimmert -- .... Bilden Sie sich der elegischen Gattung zu und
erheben Sie den Regen des Lebens zum Regenbogen der Dicht-
kunst; nur ist eben dazu die heitere Seele nöthig (ohne Sonne gibts15
keine Iris); und ich würde Ihnen gerade Dichter ganz verschiedner
Gattungen zu lesen rathen, elegische aber am wenigsten. Der
Dichter nährt die von der Natur in ihn gesäeten Kerne am besten
nicht wieder mit ähnlichen Kernen, sondern durch alles Entgegen-
gesetzte; der Komiker lese Tragiker und umgekehrt ..... In dem20
Hauptvorzuge des Molltons stimm' ich mit Ihnen. Sogar in
Kriegsmärschen, z. B. der Franzosen, thut er beinahe gräßliche
Wirkung, Tod, Mord, Sehnsucht und Jauchzen parend. Ich hätte
aber noch mehr hinzuzufügen als ein Blatt -- das man schon wieder
umkehren muß. Moll wirkt auch durch den Luxus des Wechsels25
oder der Antithese, durch die doppelte Leiter auf und ab. Moll
ist nie ohne Dur gedenklich, gleichsam ohne seinen Leib. Diese Ton-
Antithese fehlt dem reinen aber festern Dur, das kein Moll bedarf.
Zur Erklärung Ihrer Bemerkung, daß die besten Komposizionen
immer in Moll sind, nehm' ich noch, daß von Moll aus, wie aus30
einem Gartensaale, alle enharmonische und andere Gänge mehr
offen stehen als aus Dur... Der Himmel sei Ihnen so günstig
im Leben als ers vor dem Leben gewesen, indem er Ihnen Sie
mitgegeben. Bleiben Sie nur dem Guten mit Verzicht auf nächsten
Lohn getreu: der spätere kommt doch.35

355. An Emanuel.

Einen frühen guten Morgen, meiner! Da ich ihn im Blau ge-
nießen will: ſo bitt’ ich Sie um die Briefe — für die Poſt.

356. An Kandidat Petrick in Muskau.5
[Kopie]

Die zweite Leſung Ihrer ſo ſchönen [?] Blätter ſtraft mich mit
verdienter Reue für mein bisheriges Antworts Zögern. Ich über-
gehe alle Urſachen deſſelben, da keine davon in Ihren Blättern
liegt. ... Ihre Kraft und Tendenz iſt poetiſch, nämlich elegiſch-10
poetiſch — obwol auf die Flügel ziemlich viel Abendthau des Lebens
gefallen ſein mag, den Sie da abſchütteln müſſen, wo er nicht
ſchimmert — .... Bilden Sie ſich der elegiſchen Gattung zu und
erheben Sie den Regen des Lebens zum Regenbogen der Dicht-
kunſt; nur iſt eben dazu die heitere Seele nöthig (ohne Sonne gibts15
keine Iris); und ich würde Ihnen gerade Dichter ganz verſchiedner
Gattungen zu leſen rathen, elegiſche aber am wenigſten. Der
Dichter nährt die von der Natur in ihn geſäeten Kerne am beſten
nicht wieder mit ähnlichen Kernen, ſondern durch alles Entgegen-
geſetzte; der Komiker leſe Tragiker und umgekehrt ..... In dem20
Hauptvorzuge des Molltons ſtimm’ ich mit Ihnen. Sogar in
Kriegsmärſchen, z. B. der Franzoſen, thut er beinahe gräßliche
Wirkung, Tod, Mord, Sehnſucht und Jauchzen parend. Ich hätte
aber noch mehr hinzuzufügen als ein Blatt — das man ſchon wieder
umkehren muß. Moll wirkt auch durch den Luxus des Wechſels25
oder der Antitheſe, durch die doppelte Leiter auf und ab. Moll
iſt nie ohne Dur gedenklich, gleichſam ohne ſeinen Leib. Dieſe Ton-
Antitheſe fehlt dem reinen aber feſtern Dur, das kein Moll bedarf.
Zur Erklärung Ihrer Bemerkung, daß die beſten Kompoſizionen
immer in Moll ſind, nehm’ ich noch, daß von Moll aus, wie aus30
einem Gartenſaale, alle enharmoniſche und andere Gänge mehr
offen ſtehen als aus Dur... Der Himmel ſei Ihnen ſo günſtig
im Leben als ers vor dem Leben geweſen, indem er Ihnen Sie
mitgegeben. Bleiben Sie nur dem Guten mit Verzicht auf nächſten
Lohn getreu: der ſpätere kommt doch.35

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[139/0152] 355. An Emanuel. [Bayreuth, 17. Sept. 1810] Einen frühen guten Morgen, meiner! Da ich ihn im Blau ge- nießen will: ſo bitt’ ich Sie um die Briefe — für die Poſt. 356. An Kandidat Petrick in Muskau. 5 [Bayreuth, abgeſandt 22. Sept. 1810] Die zweite Leſung Ihrer ſo ſchönen [?] Blätter ſtraft mich mit verdienter Reue für mein bisheriges Antworts Zögern. Ich über- gehe alle Urſachen deſſelben, da keine davon in Ihren Blättern liegt. ... Ihre Kraft und Tendenz iſt poetiſch, nämlich elegiſch- 10 poetiſch — obwol auf die Flügel ziemlich viel Abendthau des Lebens gefallen ſein mag, den Sie da abſchütteln müſſen, wo er nicht ſchimmert — .... Bilden Sie ſich der elegiſchen Gattung zu und erheben Sie den Regen des Lebens zum Regenbogen der Dicht- kunſt; nur iſt eben dazu die heitere Seele nöthig (ohne Sonne gibts 15 keine Iris); und ich würde Ihnen gerade Dichter ganz verſchiedner Gattungen zu leſen rathen, elegiſche aber am wenigſten. Der Dichter nährt die von der Natur in ihn geſäeten Kerne am beſten nicht wieder mit ähnlichen Kernen, ſondern durch alles Entgegen- geſetzte; der Komiker leſe Tragiker und umgekehrt ..... In dem 20 Hauptvorzuge des Molltons ſtimm’ ich mit Ihnen. Sogar in Kriegsmärſchen, z. B. der Franzoſen, thut er beinahe gräßliche Wirkung, Tod, Mord, Sehnſucht und Jauchzen parend. Ich hätte aber noch mehr hinzuzufügen als ein Blatt — das man ſchon wieder umkehren muß. Moll wirkt auch durch den Luxus des Wechſels 25 oder der Antitheſe, durch die doppelte Leiter auf und ab. Moll iſt nie ohne Dur gedenklich, gleichſam ohne ſeinen Leib. Dieſe Ton- Antitheſe fehlt dem reinen aber feſtern Dur, das kein Moll bedarf. Zur Erklärung Ihrer Bemerkung, daß die beſten Kompoſizionen immer in Moll ſind, nehm’ ich noch, daß von Moll aus, wie aus 30 einem Gartenſaale, alle enharmoniſche und andere Gänge mehr offen ſtehen als aus Dur... Der Himmel ſei Ihnen ſo günſtig im Leben als ers vor dem Leben geweſen, indem er Ihnen Sie mitgegeben. Bleiben Sie nur dem Guten mit Verzicht auf nächſten Lohn getreu: der ſpätere kommt doch. 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:17:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:17:09Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/152>, abgerufen am 28.03.2024.