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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Anhang.
Perseus, der die Tochter des Königs Cepheus, Andromeda, am Strand
von Joppe von dem Drachen befreit.

E. Ihr könnt die Geschichte lesen in Ovid's Transformaciones,
IV. und V. Buch, von dem die Uebersetzung des Antonio Perez de
Sigler in der Bibliothek ist, gedruckt zu Salamanca im Jahre 1580.

Ti. Komisch ist es doch, wie die blinde Heidenwelt [la ciega
gentilidad
a. a. O. I, 186] in ihren Fabeln die Geschichte unseres hei-
ligen Ritters so genau nachgeäfft hat, -- noch ehe sie geschehen war.

E. Diese Geschichte des heiligen Georg mit dem Drachen, mein
Kind, verdient keineswegs das Ansehn der durch das Zeugniss glaub-
würdiger Schriften und die Ueberlieferung unserer Kirche geheiligten
Historien. Von der sechsten Synode ist das Lesen seiner fabelhaften
Legende sogar verboten worden. Pius V. hat die besondere Lection
von ihm im Brevier streichen lassen. Damit will ich nicht sagen, wie
die Ketzer sich erdreistet haben zu behaupten, dass S. Georg nichts
weiter sei als jener erdichtete Halbgott, den die Nachgiebigkeit gegen
den Aberglauben mit dem Heiligenschein umgeben habe. Gelebt hat
er allerdings. Die Wahrheit, wie sie Baronius hat, ist, dass er unter
Dioclezian im Jahre 297 durch Abschlagung des Kopfes die Palme des
Märtyrthums errungen hat. Er trieb mit dem Kreuzeszeichen die
Teufel aus den Götzenbildern des Apollo und bekehrte die Kaiserin
Alexandra. Das Bild aber mit dem Drachen ist keine Geschichte, darf
indess von uns als heiliges Sinnbild beibehalten werden. Der Drache ist
der höllische Feind, aus dessen Rachen er durch die Predigt des Evan-
geliums viele Seelen befreite. Das Mädchen mit dem Lamm ist die
Kirche, die Braut des unbefleckten Lammes. Dieses Bild sollte uns
daran erinnern, dass wir als Soldaten Christi kämpfen sollen für den
Glauben gegen Ungläubige und Ketzer. [A. a. O. II, 291.]

Tr. Ich freue mich, Meister, dass wir den heil. Georg doch noch
malen dürfen, ohne Schaden für unsere Seele. Aber, um auf das Bild
der Sennorita zurückzukommen, Ihr scheint es doch etwas zu kühl ge-
lobt zu haben. Die Andromeda hätte D. Pelegrin 1) nicht graziöser
zeichnen können. Wie sich die durchlebten Erschütterungen, das
gegenwärtige Entsetzen, der Kampf von Furcht und Hoffnung, in dem
bleichen, zarten Antlitz abspiegeln und mischen!

E. O ja! . . Ganz brav! . . Freilich, ob die Sache auch in der
That und Wahrheit sich so ausgenommen hat? Ich habe seit meinen
frühen Jahren mit besonderer Neigung aus Büchern und dem Mund ge-

1) Pellegrino di Tibaldo de' Pellegrini aus Bologna, 1527 + 1591, der Maler
der Bibliothek des Escorial.

Anhang.
Perseus, der die Tochter des Königs Cepheus, Andromeda, am Strand
von Joppe von dem Drachen befreit.

E. Ihr könnt die Geschichte lesen in Ovid’s Transformaciones,
IV. und V. Buch, von dem die Uebersetzung des Antonio Perez de
Sigler in der Bibliothek ist, gedruckt zu Salamanca im Jahre 1580.

Ti. Komisch ist es doch, wie die blinde Heidenwelt [la ciega
gentilidad
a. a. O. I, 186] in ihren Fabeln die Geschichte unseres hei-
ligen Ritters so genau nachgeäfft hat, — noch ehe sie geschehen war.

E. Diese Geschichte des heiligen Georg mit dem Drachen, mein
Kind, verdient keineswegs das Ansehn der durch das Zeugniss glaub-
würdiger Schriften und die Ueberlieferung unserer Kirche geheiligten
Historien. Von der sechsten Synode ist das Lesen seiner fabelhaften
Legende sogar verboten worden. Pius V. hat die besondere Lection
von ihm im Brevier streichen lassen. Damit will ich nicht sagen, wie
die Ketzer sich erdreistet haben zu behaupten, dass S. Georg nichts
weiter sei als jener erdichtete Halbgott, den die Nachgiebigkeit gegen
den Aberglauben mit dem Heiligenschein umgeben habe. Gelebt hat
er allerdings. Die Wahrheit, wie sie Baronius hat, ist, dass er unter
Dioclezian im Jahre 297 durch Abschlagung des Kopfes die Palme des
Märtyrthums errungen hat. Er trieb mit dem Kreuzeszeichen die
Teufel aus den Götzenbildern des Apollo und bekehrte die Kaiserin
Alexandra. Das Bild aber mit dem Drachen ist keine Geschichte, darf
indess von uns als heiliges Sinnbild beibehalten werden. Der Drache ist
der höllische Feind, aus dessen Rachen er durch die Predigt des Evan-
geliums viele Seelen befreite. Das Mädchen mit dem Lamm ist die
Kirche, die Braut des unbefleckten Lammes. Dieses Bild sollte uns
daran erinnern, dass wir als Soldaten Christi kämpfen sollen für den
Glauben gegen Ungläubige und Ketzer. [A. a. O. II, 291.]

Tr. Ich freue mich, Meister, dass wir den heil. Georg doch noch
malen dürfen, ohne Schaden für unsere Seele. Aber, um auf das Bild
der Señorita zurückzukommen, Ihr scheint es doch etwas zu kühl ge-
lobt zu haben. Die Andromeda hätte D. Pelegrin 1) nicht graziöser
zeichnen können. Wie sich die durchlebten Erschütterungen, das
gegenwärtige Entsetzen, der Kampf von Furcht und Hoffnung, in dem
bleichen, zarten Antlitz abspiegeln und mischen!

E. O ja! . . Ganz brav! . . Freilich, ob die Sache auch in der
That und Wahrheit sich so ausgenommen hat? Ich habe seit meinen
frühen Jahren mit besonderer Neigung aus Büchern und dem Mund ge-

1) Pellegrino di Tibaldo de’ Pellegrini aus Bologna, 1527 † 1591, der Maler
der Bibliothek des Escorial.
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[92/0112] Anhang. Perseus, der die Tochter des Königs Cepheus, Andromeda, am Strand von Joppe von dem Drachen befreit. E. Ihr könnt die Geschichte lesen in Ovid’s Transformaciones, IV. und V. Buch, von dem die Uebersetzung des Antonio Perez de Sigler in der Bibliothek ist, gedruckt zu Salamanca im Jahre 1580. Ti. Komisch ist es doch, wie die blinde Heidenwelt [la ciega gentilidad a. a. O. I, 186] in ihren Fabeln die Geschichte unseres hei- ligen Ritters so genau nachgeäfft hat, — noch ehe sie geschehen war. E. Diese Geschichte des heiligen Georg mit dem Drachen, mein Kind, verdient keineswegs das Ansehn der durch das Zeugniss glaub- würdiger Schriften und die Ueberlieferung unserer Kirche geheiligten Historien. Von der sechsten Synode ist das Lesen seiner fabelhaften Legende sogar verboten worden. Pius V. hat die besondere Lection von ihm im Brevier streichen lassen. Damit will ich nicht sagen, wie die Ketzer sich erdreistet haben zu behaupten, dass S. Georg nichts weiter sei als jener erdichtete Halbgott, den die Nachgiebigkeit gegen den Aberglauben mit dem Heiligenschein umgeben habe. Gelebt hat er allerdings. Die Wahrheit, wie sie Baronius hat, ist, dass er unter Dioclezian im Jahre 297 durch Abschlagung des Kopfes die Palme des Märtyrthums errungen hat. Er trieb mit dem Kreuzeszeichen die Teufel aus den Götzenbildern des Apollo und bekehrte die Kaiserin Alexandra. Das Bild aber mit dem Drachen ist keine Geschichte, darf indess von uns als heiliges Sinnbild beibehalten werden. Der Drache ist der höllische Feind, aus dessen Rachen er durch die Predigt des Evan- geliums viele Seelen befreite. Das Mädchen mit dem Lamm ist die Kirche, die Braut des unbefleckten Lammes. Dieses Bild sollte uns daran erinnern, dass wir als Soldaten Christi kämpfen sollen für den Glauben gegen Ungläubige und Ketzer. [A. a. O. II, 291.] Tr. Ich freue mich, Meister, dass wir den heil. Georg doch noch malen dürfen, ohne Schaden für unsere Seele. Aber, um auf das Bild der Señorita zurückzukommen, Ihr scheint es doch etwas zu kühl ge- lobt zu haben. Die Andromeda hätte D. Pelegrin 1) nicht graziöser zeichnen können. Wie sich die durchlebten Erschütterungen, das gegenwärtige Entsetzen, der Kampf von Furcht und Hoffnung, in dem bleichen, zarten Antlitz abspiegeln und mischen! E. O ja! . . Ganz brav! . . Freilich, ob die Sache auch in der That und Wahrheit sich so ausgenommen hat? Ich habe seit meinen frühen Jahren mit besonderer Neigung aus Büchern und dem Mund ge- 1) Pellegrino di Tibaldo de’ Pellegrini aus Bologna, 1527 † 1591, der Maler der Bibliothek des Escorial.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/112>, abgerufen am 18.04.2024.