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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Volksfiguren.
das schöne gefüllte Kelchglas am Fuss, das ein feiner blonder
Knabe, seitwärts über den Tisch vorgebeugt (ein Lieblingsmotiv)
am Hals fasst. Zwischen beiden taucht im Schatten ein gleich-
altriger aber schwarzhaariger Trinker auf, das Gesicht halb in
einer Irdenkanne begraben.

Dieser Wassermann ist ein starker, soldatisch aussehender
Kerl, mit hochgewölbter Brust, von strammer Haltung, was durch
die Profilansicht recht zur Geltung kommt. Der grobe braune
Kittel fällt faltenlos, fast kegelförmig; die weiten Aermel hat
er abgestreift, und der Hemdsärmel beweist, dass er auf saubres
Leinen hält 1). Das lederfarbene Gesicht hat trotz des an Wange
und Hals gesammelten Fetts etwas hartes, starres; starke Stirn
mit zwei Lagen Höker, kleines tiefliegendes, schmalgespal-
tenes Auge, eine fast gerade, breitrückige, spitze Nase, einge-
zogener Mund und keilförmiger Bart um den Mund -- das ist
das Profil.

Man denkt bei dieser Gestalt an Steinbilder in der Spitz-
bogennische einer Familienkapelle; wie gut trüge diese Brust
den Stalhpanzer, fasste diese mächtige Hand Schwert -- oder
Geissel. Die Ebenbilder jener Steinschläfer findet man ja selten
bei ihren heutigen Namenserben, zuweilen aber unter den Nach-
kommen ihrer ehemaligen Leibeigenen.

Mit diesem starren, bronzenen, durch das von links einfallende
Licht scharf beleuchteten Profil kontrastirt die elastische Figur,
das edle doch noch weiche Gesicht des hübschen Knaben, mit
seinem Streiflicht und Reflexlicht und der Grazie der verkürzten
Seitenneigung.

Diess erste durchaus originelle Werk ist noch ganz nach
dem System der Herausführung der Figuren aus dunkler Tiefe
ans Licht gearbeitet. Scenerie ist nicht vorhanden, der Grund
finster. Das Ganze macht den Eindruck eines tenebroso, aber
Schatten und dämmerhafte Partien sind etwas stumpf geworden in-
folge der in dieser ersten Zeit noch verwandten Okergrundirung.
Alles trauert unter einem dicken Firniss. Im Licht ist die Be-
handlung rein und stark pastos: die Züge des vollen Pinsels im
Gesicht des Corsen sind plastisch, wie bei Spagnoletto. Diess
wettergebräunte Gesicht ist in einem Lederton, ohne alle Farben-

1) Die Beschreibung Palomino's (Museo III, 322) ist ganz phantasirt: zerisse-
ner Kittel, durch den man Brust und Bauch sieht: con las costras, y callos duros
y fuertes. So zerlumpt erscheint der Aguador in Manuel de la Cruz' Costümbildern,
hier trägt er den Krug auf dem Kopf.

Volksfiguren.
das schöne gefüllte Kelchglas am Fuss, das ein feiner blonder
Knabe, seitwärts über den Tisch vorgebeugt (ein Lieblingsmotiv)
am Hals fasst. Zwischen beiden taucht im Schatten ein gleich-
altriger aber schwarzhaariger Trinker auf, das Gesicht halb in
einer Irdenkanne begraben.

Dieser Wassermann ist ein starker, soldatisch aussehender
Kerl, mit hochgewölbter Brust, von strammer Haltung, was durch
die Profilansicht recht zur Geltung kommt. Der grobe braune
Kittel fällt faltenlos, fast kegelförmig; die weiten Aermel hat
er abgestreift, und der Hemdsärmel beweist, dass er auf saubres
Leinen hält 1). Das lederfarbene Gesicht hat trotz des an Wange
und Hals gesammelten Fetts etwas hartes, starres; starke Stirn
mit zwei Lagen Höker, kleines tiefliegendes, schmalgespal-
tenes Auge, eine fast gerade, breitrückige, spitze Nase, einge-
zogener Mund und keilförmiger Bart um den Mund — das ist
das Profil.

Man denkt bei dieser Gestalt an Steinbilder in der Spitz-
bogennische einer Familienkapelle; wie gut trüge diese Brust
den Stalhpanzer, fasste diese mächtige Hand Schwert — oder
Geissel. Die Ebenbilder jener Steinschläfer findet man ja selten
bei ihren heutigen Namenserben, zuweilen aber unter den Nach-
kommen ihrer ehemaligen Leibeigenen.

Mit diesem starren, bronzenen, durch das von links einfallende
Licht scharf beleuchteten Profil kontrastirt die elastische Figur,
das edle doch noch weiche Gesicht des hübschen Knaben, mit
seinem Streiflicht und Reflexlicht und der Grazie der verkürzten
Seitenneigung.

Diess erste durchaus originelle Werk ist noch ganz nach
dem System der Herausführung der Figuren aus dunkler Tiefe
ans Licht gearbeitet. Scenerie ist nicht vorhanden, der Grund
finster. Das Ganze macht den Eindruck eines tenebroso, aber
Schatten und dämmerhafte Partien sind etwas stumpf geworden in-
folge der in dieser ersten Zeit noch verwandten Okergrundirung.
Alles trauert unter einem dicken Firniss. Im Licht ist die Be-
handlung rein und stark pastos: die Züge des vollen Pinsels im
Gesicht des Corsen sind plastisch, wie bei Spagnoletto. Diess
wettergebräunte Gesicht ist in einem Lederton, ohne alle Farben-

1) Die Beschreibung Palomino’s (Museo III, 322) ist ganz phantasirt: zerisse-
ner Kittel, durch den man Brust und Bauch sieht: con las costras, y callos duros
y fuertes. So zerlumpt erscheint der Aguador in Manuel de la Cruz’ Costümbildern,
hier trägt er den Krug auf dem Kopf.
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[131/0151] Volksfiguren. das schöne gefüllte Kelchglas am Fuss, das ein feiner blonder Knabe, seitwärts über den Tisch vorgebeugt (ein Lieblingsmotiv) am Hals fasst. Zwischen beiden taucht im Schatten ein gleich- altriger aber schwarzhaariger Trinker auf, das Gesicht halb in einer Irdenkanne begraben. Dieser Wassermann ist ein starker, soldatisch aussehender Kerl, mit hochgewölbter Brust, von strammer Haltung, was durch die Profilansicht recht zur Geltung kommt. Der grobe braune Kittel fällt faltenlos, fast kegelförmig; die weiten Aermel hat er abgestreift, und der Hemdsärmel beweist, dass er auf saubres Leinen hält 1). Das lederfarbene Gesicht hat trotz des an Wange und Hals gesammelten Fetts etwas hartes, starres; starke Stirn mit zwei Lagen Höker, kleines tiefliegendes, schmalgespal- tenes Auge, eine fast gerade, breitrückige, spitze Nase, einge- zogener Mund und keilförmiger Bart um den Mund — das ist das Profil. Man denkt bei dieser Gestalt an Steinbilder in der Spitz- bogennische einer Familienkapelle; wie gut trüge diese Brust den Stalhpanzer, fasste diese mächtige Hand Schwert — oder Geissel. Die Ebenbilder jener Steinschläfer findet man ja selten bei ihren heutigen Namenserben, zuweilen aber unter den Nach- kommen ihrer ehemaligen Leibeigenen. Mit diesem starren, bronzenen, durch das von links einfallende Licht scharf beleuchteten Profil kontrastirt die elastische Figur, das edle doch noch weiche Gesicht des hübschen Knaben, mit seinem Streiflicht und Reflexlicht und der Grazie der verkürzten Seitenneigung. Diess erste durchaus originelle Werk ist noch ganz nach dem System der Herausführung der Figuren aus dunkler Tiefe ans Licht gearbeitet. Scenerie ist nicht vorhanden, der Grund finster. Das Ganze macht den Eindruck eines tenebroso, aber Schatten und dämmerhafte Partien sind etwas stumpf geworden in- folge der in dieser ersten Zeit noch verwandten Okergrundirung. Alles trauert unter einem dicken Firniss. Im Licht ist die Be- handlung rein und stark pastos: die Züge des vollen Pinsels im Gesicht des Corsen sind plastisch, wie bei Spagnoletto. Diess wettergebräunte Gesicht ist in einem Lederton, ohne alle Farben- 1) Die Beschreibung Palomino’s (Museo III, 322) ist ganz phantasirt: zerisse- ner Kittel, durch den man Brust und Bauch sieht: con las costras, y callos duros y fuertes. So zerlumpt erscheint der Aguador in Manuel de la Cruz’ Costümbildern, hier trägt er den Krug auf dem Kopf.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/151>, abgerufen am 23.04.2024.