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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Epiphanie.
schwebend gehalten. Haupt und Blick wendet er zurück und
nach oben, wo in Wolken der siebenköpfige Drache erscheint,
der in Verfolgung des sonnenbekleideten Weibes mit dem em-
porringelnden Schweif die Sterne vom Himmel fegt. Zur Linken
der Adler.

Wie im Bilde des Weibes hat Velazquez auch hier zum
Träger der Rolle ein Modell gewählt, dem die Eigenschaft des
Ungewöhnlichen nicht abzusprechen ist. Es ist ein junger Mensch
mit den harten sinnlichen Zügen des dunkeln Welttheils. Nie-
drige enge Stirn unter kurzgeschorenen schwarzen Haaren, dicke
ebensolche Augenbrauen, starke Kinnladen, wulstige rothe
Lippen mit dunklem Bärtchen, zwischen denen unregelmässige
Zähne sichtbar werden. Unser Sevillaner geht also noch weiter
als Caravaggio, der sich wenigstens wolgeborene Modelle aus-
suchte, und als Ribera, dessen Typen doch im Bau immer mäch-
tig sind. Diesem Jüngling hat er eine grobe weisse Tunica
gegeben und den violetten Mantel über den Schooss geworfen.

Die aus den vorherbesprochenen und den folgenden hin-
reichend bezeugten Werken bekannte Hand kündigt sich hier
schon an: mit breitem vollen Pinsel sind vollkommen sicher
Umriss und Modellirung (z. B. der Extremitäten) hingesetzt. Zu
beachten ist, dass er auch die bisher gebrauchten dünnen, in
scharfen, senkrecht parallelen oder gebrochenen Linien fallenden
Stoffe mit dicken, breite und stumpfe Falten werfenden ver-
tauschte.

Die Epiphanie

(203 x 125)

ist das Gemälde, welches in der Galerie des Prado den Meister
(Nr. 1054) eröffnet. Es trägt die Jahreszahl 1619; woher es in
die königliche Sammlung kam, ist nicht bekannt. Vor den
Erstlingen zeichnet es sich aus durch die grosse Kraft der
Farbe und des Helldunkels. Jene ist pastos, und im Ton ernst,
fast düster: neben dunkelgrün und stahlblau, das beliebte gelb
und orange; das rothe Kleid der heiligen Jungfrau hat ein in
violett fallendes Carmoisin. Die Schatten sind so dunkel (zum Theil
gewiss so geworden), wie sie später nicht mehr vorkommen. Die
Typen, sämmtlich Bildnisse, sind mit Sorgfalt für ihre Rollen
gewählt; die Gewandung, besonders die Mäntel in der ge-

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Die Epiphanie.
schwebend gehalten. Haupt und Blick wendet er zurück und
nach oben, wo in Wolken der siebenköpfige Drache erscheint,
der in Verfolgung des sonnenbekleideten Weibes mit dem em-
porringelnden Schweif die Sterne vom Himmel fegt. Zur Linken
der Adler.

Wie im Bilde des Weibes hat Velazquez auch hier zum
Träger der Rolle ein Modell gewählt, dem die Eigenschaft des
Ungewöhnlichen nicht abzusprechen ist. Es ist ein junger Mensch
mit den harten sinnlichen Zügen des dunkeln Welttheils. Nie-
drige enge Stirn unter kurzgeschorenen schwarzen Haaren, dicke
ebensolche Augenbrauen, starke Kinnladen, wulstige rothe
Lippen mit dunklem Bärtchen, zwischen denen unregelmässige
Zähne sichtbar werden. Unser Sevillaner geht also noch weiter
als Caravaggio, der sich wenigstens wolgeborene Modelle aus-
suchte, und als Ribera, dessen Typen doch im Bau immer mäch-
tig sind. Diesem Jüngling hat er eine grobe weisse Tunica
gegeben und den violetten Mantel über den Schooss geworfen.

Die aus den vorherbesprochenen und den folgenden hin-
reichend bezeugten Werken bekannte Hand kündigt sich hier
schon an: mit breitem vollen Pinsel sind vollkommen sicher
Umriss und Modellirung (z. B. der Extremitäten) hingesetzt. Zu
beachten ist, dass er auch die bisher gebrauchten dünnen, in
scharfen, senkrecht parallelen oder gebrochenen Linien fallenden
Stoffe mit dicken, breite und stumpfe Falten werfenden ver-
tauschte.

Die Epiphanie

(203 × 125)

ist das Gemälde, welches in der Galerie des Prado den Meister
(Nr. 1054) eröffnet. Es trägt die Jahreszahl 1619; woher es in
die königliche Sammlung kam, ist nicht bekannt. Vor den
Erstlingen zeichnet es sich aus durch die grosse Kraft der
Farbe und des Helldunkels. Jene ist pastos, und im Ton ernst,
fast düster: neben dunkelgrün und stahlblau, das beliebte gelb
und orange; das rothe Kleid der heiligen Jungfrau hat ein in
violett fallendes Carmoisin. Die Schatten sind so dunkel (zum Theil
gewiss so geworden), wie sie später nicht mehr vorkommen. Die
Typen, sämmtlich Bildnisse, sind mit Sorgfalt für ihre Rollen
gewählt; die Gewandung, besonders die Mäntel in der ge-

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[145/0165] Die Epiphanie. schwebend gehalten. Haupt und Blick wendet er zurück und nach oben, wo in Wolken der siebenköpfige Drache erscheint, der in Verfolgung des sonnenbekleideten Weibes mit dem em- porringelnden Schweif die Sterne vom Himmel fegt. Zur Linken der Adler. Wie im Bilde des Weibes hat Velazquez auch hier zum Träger der Rolle ein Modell gewählt, dem die Eigenschaft des Ungewöhnlichen nicht abzusprechen ist. Es ist ein junger Mensch mit den harten sinnlichen Zügen des dunkeln Welttheils. Nie- drige enge Stirn unter kurzgeschorenen schwarzen Haaren, dicke ebensolche Augenbrauen, starke Kinnladen, wulstige rothe Lippen mit dunklem Bärtchen, zwischen denen unregelmässige Zähne sichtbar werden. Unser Sevillaner geht also noch weiter als Caravaggio, der sich wenigstens wolgeborene Modelle aus- suchte, und als Ribera, dessen Typen doch im Bau immer mäch- tig sind. Diesem Jüngling hat er eine grobe weisse Tunica gegeben und den violetten Mantel über den Schooss geworfen. Die aus den vorherbesprochenen und den folgenden hin- reichend bezeugten Werken bekannte Hand kündigt sich hier schon an: mit breitem vollen Pinsel sind vollkommen sicher Umriss und Modellirung (z. B. der Extremitäten) hingesetzt. Zu beachten ist, dass er auch die bisher gebrauchten dünnen, in scharfen, senkrecht parallelen oder gebrochenen Linien fallenden Stoffe mit dicken, breite und stumpfe Falten werfenden ver- tauschte. Die Epiphanie (203 × 125) ist das Gemälde, welches in der Galerie des Prado den Meister (Nr. 1054) eröffnet. Es trägt die Jahreszahl 1619; woher es in die königliche Sammlung kam, ist nicht bekannt. Vor den Erstlingen zeichnet es sich aus durch die grosse Kraft der Farbe und des Helldunkels. Jene ist pastos, und im Ton ernst, fast düster: neben dunkelgrün und stahlblau, das beliebte gelb und orange; das rothe Kleid der heiligen Jungfrau hat ein in violett fallendes Carmoisin. Die Schatten sind so dunkel (zum Theil gewiss so geworden), wie sie später nicht mehr vorkommen. Die Typen, sämmtlich Bildnisse, sind mit Sorgfalt für ihre Rollen gewählt; die Gewandung, besonders die Mäntel in der ge- 10

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/165>, abgerufen am 23.04.2024.