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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Schmiede Vulcans.
Die Schmiede Vulcans.

Während dieser römischen Monate hat Velazquez sein Amt
als Kammermaler Philipp IV nicht vergessen. Zwei grosse Hi-
storien hat er ihm mitgebracht, die Schmiede Vulcans und den
bunten Rock Josephs. Es scheinen Pendants: der entlarvte und
der gelungene Betrug; auch sind sie grösstentheils mit Be-
nutzung derselben Modelle gemalt. Nicht ohne Spannung wird
man diesen Werken gegenübertreten: der Einfluss Italiens
und Roms muss sich hier zeigen. Seit drei Jahrhunderten
kommt in allen Leben grosser Maler eine Phrase vor, die
Altmeister Vasari aufbrachte: den Einen hat zur Vollkommen-
heit nur gefehlt, dass sie Rom, Raphael und die Antike ge-
sehen; die Andern sind zur Vollkommenheit erst durchgedrun-
gen, als sie Rom, Raphael und die Antike sahen. Die jedem
Germanen und Gallier anhaftende ästhetische Erbsünde könne
nur auf dieser Pilgerfahrt abgewaschen werden.

In dem ersten und Hauptbild haben wir nun wirklich eine
homerische Göttergeschichte, ja der distinguirteste der Götter
ist wo nicht die Hauptperson, doch Wortführer. Es ist ein lor-
beerbekränzter, von weiter Strahlenglorie umflossener Apollo, das
beschattete, verlorene Profil auf dem hellen Lichtschein sich ab-
zeichnend, in wallendem goldigem Mantel. So tritt er in die
Werkstatt und offenbart dem hinkenden Feuerbeherrscher mit
geheimnissvoll geschäftiger Geberde das von seinem allsehenden
Auge ausgespähte Familienunglück. Beide Hände, die erhobene
und die gesenkte, weisen mit dem Zeigefinger nach verschiedenen
Richtungen: "Hier kam Er, dort Sie her". Eine vorherige An-
meldung hat nicht stattgefunden, auch ist er sofort in medias res
getreten, denn Hephästos steht noch da mit der Zange in der
Linken und dem Hammer in der rechten Hand, nur den Kopf
hat er ihm zugewandt, um die Kunde mit starr aufgerissenen
Augen zu verschlingen. So eifrig eilig sogar hat es der Gott
des Tags gehabt, dass er indiscret seine Neuigkeit in Hörweite
der vier Schmiedeknechte, selbst des hinten am Blasebalg be-
schäftigten ausschüttet. Denn auch diese sind mitten in der dröh-
nenden Arbeit plötzlich bewegungslos erstarrt, ihre acht Augen
konvergiren nach dem goldgelockten Erzähler, mit dem Familien-
interesse des Gesellen an den Thaten der Frau Meisterin. "Ein
Strahl in fünffachem Reflex!" könnte man mit dem Cicerone

Die Schmiede Vulcans.
Die Schmiede Vulcans.

Während dieser römischen Monate hat Velazquez sein Amt
als Kammermaler Philipp IV nicht vergessen. Zwei grosse Hi-
storien hat er ihm mitgebracht, die Schmiede Vulcans und den
bunten Rock Josephs. Es scheinen Pendants: der entlarvte und
der gelungene Betrug; auch sind sie grösstentheils mit Be-
nutzung derselben Modelle gemalt. Nicht ohne Spannung wird
man diesen Werken gegenübertreten: der Einfluss Italiens
und Roms muss sich hier zeigen. Seit drei Jahrhunderten
kommt in allen Leben grosser Maler eine Phrase vor, die
Altmeister Vasari aufbrachte: den Einen hat zur Vollkommen-
heit nur gefehlt, dass sie Rom, Raphael und die Antike ge-
sehen; die Andern sind zur Vollkommenheit erst durchgedrun-
gen, als sie Rom, Raphael und die Antike sahen. Die jedem
Germanen und Gallier anhaftende ästhetische Erbsünde könne
nur auf dieser Pilgerfahrt abgewaschen werden.

In dem ersten und Hauptbild haben wir nun wirklich eine
homerische Göttergeschichte, ja der distinguirteste der Götter
ist wo nicht die Hauptperson, doch Wortführer. Es ist ein lor-
beerbekränzter, von weiter Strahlenglorie umflossener Apollo, das
beschattete, verlorene Profil auf dem hellen Lichtschein sich ab-
zeichnend, in wallendem goldigem Mantel. So tritt er in die
Werkstatt und offenbart dem hinkenden Feuerbeherrscher mit
geheimnissvoll geschäftiger Geberde das von seinem allsehenden
Auge ausgespähte Familienunglück. Beide Hände, die erhobene
und die gesenkte, weisen mit dem Zeigefinger nach verschiedenen
Richtungen: „Hier kam Er, dort Sie her“. Eine vorherige An-
meldung hat nicht stattgefunden, auch ist er sofort ïn medias res
getreten, denn Hephästos steht noch da mit der Zange in der
Linken und dem Hammer in der rechten Hand, nur den Kopf
hat er ihm zugewandt, um die Kunde mit starr aufgerissenen
Augen zu verschlingen. So eifrig eilig sogar hat es der Gott
des Tags gehabt, dass er indiscret seine Neuigkeit in Hörweite
der vier Schmiedeknechte, selbst des hinten am Blasebalg be-
schäftigten ausschüttet. Denn auch diese sind mitten in der dröh-
nenden Arbeit plötzlich bewegungslos erstarrt, ihre acht Augen
konvergiren nach dem goldgelockten Erzähler, mit dem Familien-
interesse des Gesellen an den Thaten der Frau Meisterin. „Ein
Strahl in fünffachem Reflex!“ könnte man mit dem Cicerone

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[301/0327] Die Schmiede Vulcans. Die Schmiede Vulcans. Während dieser römischen Monate hat Velazquez sein Amt als Kammermaler Philipp IV nicht vergessen. Zwei grosse Hi- storien hat er ihm mitgebracht, die Schmiede Vulcans und den bunten Rock Josephs. Es scheinen Pendants: der entlarvte und der gelungene Betrug; auch sind sie grösstentheils mit Be- nutzung derselben Modelle gemalt. Nicht ohne Spannung wird man diesen Werken gegenübertreten: der Einfluss Italiens und Roms muss sich hier zeigen. Seit drei Jahrhunderten kommt in allen Leben grosser Maler eine Phrase vor, die Altmeister Vasari aufbrachte: den Einen hat zur Vollkommen- heit nur gefehlt, dass sie Rom, Raphael und die Antike ge- sehen; die Andern sind zur Vollkommenheit erst durchgedrun- gen, als sie Rom, Raphael und die Antike sahen. Die jedem Germanen und Gallier anhaftende ästhetische Erbsünde könne nur auf dieser Pilgerfahrt abgewaschen werden. In dem ersten und Hauptbild haben wir nun wirklich eine homerische Göttergeschichte, ja der distinguirteste der Götter ist wo nicht die Hauptperson, doch Wortführer. Es ist ein lor- beerbekränzter, von weiter Strahlenglorie umflossener Apollo, das beschattete, verlorene Profil auf dem hellen Lichtschein sich ab- zeichnend, in wallendem goldigem Mantel. So tritt er in die Werkstatt und offenbart dem hinkenden Feuerbeherrscher mit geheimnissvoll geschäftiger Geberde das von seinem allsehenden Auge ausgespähte Familienunglück. Beide Hände, die erhobene und die gesenkte, weisen mit dem Zeigefinger nach verschiedenen Richtungen: „Hier kam Er, dort Sie her“. Eine vorherige An- meldung hat nicht stattgefunden, auch ist er sofort ïn medias res getreten, denn Hephästos steht noch da mit der Zange in der Linken und dem Hammer in der rechten Hand, nur den Kopf hat er ihm zugewandt, um die Kunde mit starr aufgerissenen Augen zu verschlingen. So eifrig eilig sogar hat es der Gott des Tags gehabt, dass er indiscret seine Neuigkeit in Hörweite der vier Schmiedeknechte, selbst des hinten am Blasebalg be- schäftigten ausschüttet. Denn auch diese sind mitten in der dröh- nenden Arbeit plötzlich bewegungslos erstarrt, ihre acht Augen konvergiren nach dem goldgelockten Erzähler, mit dem Familien- interesse des Gesellen an den Thaten der Frau Meisterin. „Ein Strahl in fünffachem Reflex!“ könnte man mit dem Cicerone

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/327>, abgerufen am 29.03.2024.