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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
suchend, der Kreuzträger, der Gekreuzigte, die ruhende Maria
mit dem Kind, Joseph mit dem Kind. Beliebte Gegenstände,
wie die Immaculata, wiederholte er wie Abdrücke, in Plastik und
Malerei; er borgte nicht nur von andern, sondern auch von sich
selbst. Bei Visionen (Johannes der Evangelist, S. Benedict, S. Bern-
hard) sind die himmlischen Erscheinungen wie Nippesfigürchen,
die hoch in den Wolken schweben, oder als Statuetten an der
Wand befestigt sind. In jenen grossen Passionsfiguren erleichtert
er sich das Antlitz durch Schatten und Verkürzungen, in Gruppen
durch Gebrauch des verlorenen Profils. Die Umgebung mög-
lichst leer und decorativ. Was die Technik betrifft, so benutzt
er für die Schatten den rötlichen Okergrund und streicht die
Lichter mit kaltem, kalkigem Weiss auf. Diese Technik hat er
in Granada eingeführt.

Eine Folge dieser Bequemlichkeit war, dass bei keinem nam-
haften spanischen Maler so vieles leere, unlebendige, unbedeutende,
ja unglückliche und geschmacklose vorkommt. Einige seiner Ma-
donnen sind ein wahres Deficit von Schönheit und Ausdruck, Leben
und Grazie, und dieses Deficit wird nicht einmal durch Realitäten
niederer Ordnung vergütet. Eine hölzerne Figur, deren Ober-
theil in dem schweren blauen Mantel wie in einem Gefäss steckt;
ein Kopf mit rundlichen Seitenwänden und hohem Scheitel,
Augen die schläfrig und leer vor sich hinstarren; eine platte
Nase, nach unten aufgetriebene Wangen, ein mürrischer Mund.
Wunderlich ist das bei ihm, wie bei Moretto, so oft vorkom-
mende Schielen nach der Seite. Das sind Mängel, welche durch
die feinen, schön gezeichneten Hände kaum aufgewogen werden.
Man wird dieses Urtheil selbst vor seinem Hauptwerk dieser Art,
der Concepcion in der Sacristei von S. Isidro, schwerlich über-
trieben finden, wo er, wahrscheinlich durch Velazquez angeregt,
den Eindruck des reinen Lichts gesucht, aber verfehlt hat.

Wer nun, angereizt von seinem als Glaubenssatz überlieferten
Ruf, sich anschaulich von "des einzigen idealen Malers spanischer
Schule" Grösse überzeugen will, dem kann es gehn wie einem
Supplikanten bei Hofe ohne Geld und Gönner; die Hoffnung
führt ihn von Madrid nach Sevilla, von Sevilla nach Granada,
und von da nach Malaga, und er ist nahe daran die Geduld zu
verlieren und jenen Cano der Kunstbücher für einen Mythus zu
erklären, zu vergessen, dass er doch zuweilen inspirirte Augen-
blicke gehabt hat. Diesen verdanken wir einige wenige Stücke
von tieferer Anziehungskraft; darunter gehört die Maria im Dom

Viertes Buch.
suchend, der Kreuzträger, der Gekreuzigte, die ruhende Maria
mit dem Kind, Joseph mit dem Kind. Beliebte Gegenstände,
wie die Immaculata, wiederholte er wie Abdrücke, in Plastik und
Malerei; er borgte nicht nur von andern, sondern auch von sich
selbst. Bei Visionen (Johannes der Evangelist, S. Benedict, S. Bern-
hard) sind die himmlischen Erscheinungen wie Nippesfigürchen,
die hoch in den Wolken schweben, oder als Statuetten an der
Wand befestigt sind. In jenen grossen Passionsfiguren erleichtert
er sich das Antlitz durch Schatten und Verkürzungen, in Gruppen
durch Gebrauch des verlorenen Profils. Die Umgebung mög-
lichst leer und decorativ. Was die Technik betrifft, so benutzt
er für die Schatten den rötlichen Okergrund und streicht die
Lichter mit kaltem, kalkigem Weiss auf. Diese Technik hat er
in Granada eingeführt.

Eine Folge dieser Bequemlichkeit war, dass bei keinem nam-
haften spanischen Maler so vieles leere, unlebendige, unbedeutende,
ja unglückliche und geschmacklose vorkommt. Einige seiner Ma-
donnen sind ein wahres Deficit von Schönheit und Ausdruck, Leben
und Grazie, und dieses Deficit wird nicht einmal durch Realitäten
niederer Ordnung vergütet. Eine hölzerne Figur, deren Ober-
theil in dem schweren blauen Mantel wie in einem Gefäss steckt;
ein Kopf mit rundlichen Seitenwänden und hohem Scheitel,
Augen die schläfrig und leer vor sich hinstarren; eine platte
Nase, nach unten aufgetriebene Wangen, ein mürrischer Mund.
Wunderlich ist das bei ihm, wie bei Moretto, so oft vorkom-
mende Schielen nach der Seite. Das sind Mängel, welche durch
die feinen, schön gezeichneten Hände kaum aufgewogen werden.
Man wird dieses Urtheil selbst vor seinem Hauptwerk dieser Art,
der Concepcion in der Sacristei von S. Isidro, schwerlich über-
trieben finden, wo er, wahrscheinlich durch Velazquez angeregt,
den Eindruck des reinen Lichts gesucht, aber verfehlt hat.

Wer nun, angereizt von seinem als Glaubenssatz überlieferten
Ruf, sich anschaulich von „des einzigen idealen Malers spanischer
Schule“ Grösse überzeugen will, dem kann es gehn wie einem
Supplikanten bei Hofe ohne Geld und Gönner; die Hoffnung
führt ihn von Madrid nach Sevilla, von Sevilla nach Granada,
und von da nach Malaga, und er ist nahe daran die Geduld zu
verlieren und jenen Cano der Kunstbücher für einen Mythus zu
erklären, zu vergessen, dass er doch zuweilen inspirirte Augen-
blicke gehabt hat. Diesen verdanken wir einige wenige Stücke
von tieferer Anziehungskraft; darunter gehört die Maria im Dom

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[404/0432] Viertes Buch. suchend, der Kreuzträger, der Gekreuzigte, die ruhende Maria mit dem Kind, Joseph mit dem Kind. Beliebte Gegenstände, wie die Immaculata, wiederholte er wie Abdrücke, in Plastik und Malerei; er borgte nicht nur von andern, sondern auch von sich selbst. Bei Visionen (Johannes der Evangelist, S. Benedict, S. Bern- hard) sind die himmlischen Erscheinungen wie Nippesfigürchen, die hoch in den Wolken schweben, oder als Statuetten an der Wand befestigt sind. In jenen grossen Passionsfiguren erleichtert er sich das Antlitz durch Schatten und Verkürzungen, in Gruppen durch Gebrauch des verlorenen Profils. Die Umgebung mög- lichst leer und decorativ. Was die Technik betrifft, so benutzt er für die Schatten den rötlichen Okergrund und streicht die Lichter mit kaltem, kalkigem Weiss auf. Diese Technik hat er in Granada eingeführt. Eine Folge dieser Bequemlichkeit war, dass bei keinem nam- haften spanischen Maler so vieles leere, unlebendige, unbedeutende, ja unglückliche und geschmacklose vorkommt. Einige seiner Ma- donnen sind ein wahres Deficit von Schönheit und Ausdruck, Leben und Grazie, und dieses Deficit wird nicht einmal durch Realitäten niederer Ordnung vergütet. Eine hölzerne Figur, deren Ober- theil in dem schweren blauen Mantel wie in einem Gefäss steckt; ein Kopf mit rundlichen Seitenwänden und hohem Scheitel, Augen die schläfrig und leer vor sich hinstarren; eine platte Nase, nach unten aufgetriebene Wangen, ein mürrischer Mund. Wunderlich ist das bei ihm, wie bei Moretto, so oft vorkom- mende Schielen nach der Seite. Das sind Mängel, welche durch die feinen, schön gezeichneten Hände kaum aufgewogen werden. Man wird dieses Urtheil selbst vor seinem Hauptwerk dieser Art, der Concepcion in der Sacristei von S. Isidro, schwerlich über- trieben finden, wo er, wahrscheinlich durch Velazquez angeregt, den Eindruck des reinen Lichts gesucht, aber verfehlt hat. Wer nun, angereizt von seinem als Glaubenssatz überlieferten Ruf, sich anschaulich von „des einzigen idealen Malers spanischer Schule“ Grösse überzeugen will, dem kann es gehn wie einem Supplikanten bei Hofe ohne Geld und Gönner; die Hoffnung führt ihn von Madrid nach Sevilla, von Sevilla nach Granada, und von da nach Malaga, und er ist nahe daran die Geduld zu verlieren und jenen Cano der Kunstbücher für einen Mythus zu erklären, zu vergessen, dass er doch zuweilen inspirirte Augen- blicke gehabt hat. Diesen verdanken wir einige wenige Stücke von tieferer Anziehungskraft; darunter gehört die Maria im Dom

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/432>, abgerufen am 25.04.2024.