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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
poetisches Helldunkel. "Memphis Castiliens" nennt Tirso Sevilla1).
Noch war die Schöpferkraft nicht versiegt, noch ein kostbares
Geschenk hatte die Stadt bereit für Spanien und die Menschheit:
seine Malerschule.

Sevilla war auch eine lustige Stadt, regocijadisima y vistosa
nennt sie das Reisejournal Philipp IV (1624). Damals waren
seine Gefilde und die Ufer des Stromes weit reicher als heute
mit Gärten bedeckt. Navagero fand sie noch dünn bevölkert,
und viele Gärten lagen innerhalb der Mauern. Dieser Venezianer
ist entzückt über die Parks mit ihren dichten Hainen von
Cedern, Orangen und Myrten, besonders die paradiesischen der
Karthause2) und von S. Geronimo de Buena vista. Sie ver-
dankten aber mehr der Natur als der Pflege. Sie dehnten sich
tief ins Land (el compas de Sevilla) aus. So bot sich von der
westlichen Anhöhe (montanneta), wo die Ajarafe beginnt, ein An-
blick dar, den nach Rodrigo Caro, "der Pinsel des geschicktesten
Malers wiederzugeben verzagen müsste." Wenn man Lesern
spanischer Comödien die Alameda des Herkules nennt, oder die
Barken und das Gestade, welches der Sohn des Columbus mit
Alleen bepflanzte, oder den Garten des Alcazar (den wonnigsten
Ort Spaniens nennt ihn der genannte Italiener), so bevölkern
sich ihnen diese Orte mit Scenen romantischer Abenteuer.
Denn in Sevilla, sagt Calderon, tauchen hundert neue Geschich-
ten in jeder Nacht auf3). Hier lebte und wurde vom Teufel
geholt Don Juan Tenorio, der "Spötter von Sevilla". Die Mutter
der Waisen und den Mantel der Sünder nennt es Mateo Aleman4).
Die grünen Säle des Alcazar bezeichnet der Dichter jenes Burla-
dor
als die Schule der Liebe; er lag dicht an der Börse; "hier
schienen die Dichtungen von den Gärten des Admet und
Alkinous keine Fabel mehr; er ist die Börse der Frauen5)". Um
den Schritt von der Andacht zur Lebenslust zu machen, brauchte
man nur die Schiffbrücke nach der Triana zu überschreiten, "in der
sich die getrennten Theile der Stadt die Hände reichen". Zu
beiden Seiten wimmelte es von grossen und kleinen Fahrzeugen.

1) Tirso de Molina, No hay peor sordo III (1625 geschrieben).
2) Buen grado hanno i Frati che vivono li a montar di li al Paradiso. Navagero.
3) Es lugar, donde cada noche salen cuentos nuevos. Calderon, el medico de
su honra II. Lugar tan acomodado a hallar aventuros, que en cada calle y tras
cada esquina se ofrecen mas que en otra ninguna. D. Quixote I, 14.
4) Im Guzman de Alfarache I, 1, 2.
5) Tirso, El amor medico I.

Erstes Buch.
poetisches Helldunkel. „Memphis Castiliens“ nennt Tirso Sevilla1).
Noch war die Schöpferkraft nicht versiegt, noch ein kostbares
Geschenk hatte die Stadt bereit für Spanien und die Menschheit:
seine Malerschule.

Sevilla war auch eine lustige Stadt, regocijadísima y vistosa
nennt sie das Reisejournal Philipp IV (1624). Damals waren
seine Gefilde und die Ufer des Stromes weit reicher als heute
mit Gärten bedeckt. Navagero fand sie noch dünn bevölkert,
und viele Gärten lagen innerhalb der Mauern. Dieser Venezianer
ist entzückt über die Parks mit ihren dichten Hainen von
Cedern, Orangen und Myrten, besonders die paradiesischen der
Karthause2) und von S. Gerónimo de Buena vista. Sie ver-
dankten aber mehr der Natur als der Pflege. Sie dehnten sich
tief ins Land (el compas de Sevilla) aus. So bot sich von der
westlichen Anhöhe (montañeta), wo die Ajarafe beginnt, ein An-
blick dar, den nach Rodrigo Caro, „der Pinsel des geschicktesten
Malers wiederzugeben verzagen müsste.“ Wenn man Lesern
spanischer Comödien die Alameda des Herkules nennt, oder die
Barken und das Gestade, welches der Sohn des Columbus mit
Alleen bepflanzte, oder den Garten des Alcazar (den wonnigsten
Ort Spaniens nennt ihn der genannte Italiener), so bevölkern
sich ihnen diese Orte mit Scenen romantischer Abenteuer.
Denn in Sevilla, sagt Calderon, tauchen hundert neue Geschich-
ten in jeder Nacht auf3). Hier lebte und wurde vom Teufel
geholt Don Juan Tenorio, der „Spötter von Sevilla“. Die Mutter
der Waisen und den Mantel der Sünder nennt es Mateo Aleman4).
Die grünen Säle des Alcazar bezeichnet der Dichter jenes Burla-
dor
als die Schule der Liebe; er lag dicht an der Börse; „hier
schienen die Dichtungen von den Gärten des Admet und
Alkinous keine Fabel mehr; er ist die Börse der Frauen5)“. Um
den Schritt von der Andacht zur Lebenslust zu machen, brauchte
man nur die Schiffbrücke nach der Triana zu überschreiten, „in der
sich die getrennten Theile der Stadt die Hände reichen“. Zu
beiden Seiten wimmelte es von grossen und kleinen Fahrzeugen.

1) Tirso de Molina, No hay peor sordo III (1625 geschrieben).
2) Buen grado hanno i Frati che vivono lì a montar di lì al Paradiso. Navagero.
3) Es lugar, donde cada noche salen cuentos nuevos. Calderon, el médico de
su honra II. Lugar tan acomodado á hallar aventuros, que en cada calle y tras
cada esquina se ofrecen mas que en otra ninguna. D. Quixote I, 14.
4) Im Guzman de Alfarache I, 1, 2.
5) Tirso, El amor médico I.
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[28/0048] Erstes Buch. poetisches Helldunkel. „Memphis Castiliens“ nennt Tirso Sevilla 1). Noch war die Schöpferkraft nicht versiegt, noch ein kostbares Geschenk hatte die Stadt bereit für Spanien und die Menschheit: seine Malerschule. Sevilla war auch eine lustige Stadt, regocijadísima y vistosa nennt sie das Reisejournal Philipp IV (1624). Damals waren seine Gefilde und die Ufer des Stromes weit reicher als heute mit Gärten bedeckt. Navagero fand sie noch dünn bevölkert, und viele Gärten lagen innerhalb der Mauern. Dieser Venezianer ist entzückt über die Parks mit ihren dichten Hainen von Cedern, Orangen und Myrten, besonders die paradiesischen der Karthause 2) und von S. Gerónimo de Buena vista. Sie ver- dankten aber mehr der Natur als der Pflege. Sie dehnten sich tief ins Land (el compas de Sevilla) aus. So bot sich von der westlichen Anhöhe (montañeta), wo die Ajarafe beginnt, ein An- blick dar, den nach Rodrigo Caro, „der Pinsel des geschicktesten Malers wiederzugeben verzagen müsste.“ Wenn man Lesern spanischer Comödien die Alameda des Herkules nennt, oder die Barken und das Gestade, welches der Sohn des Columbus mit Alleen bepflanzte, oder den Garten des Alcazar (den wonnigsten Ort Spaniens nennt ihn der genannte Italiener), so bevölkern sich ihnen diese Orte mit Scenen romantischer Abenteuer. Denn in Sevilla, sagt Calderon, tauchen hundert neue Geschich- ten in jeder Nacht auf 3). Hier lebte und wurde vom Teufel geholt Don Juan Tenorio, der „Spötter von Sevilla“. Die Mutter der Waisen und den Mantel der Sünder nennt es Mateo Aleman 4). Die grünen Säle des Alcazar bezeichnet der Dichter jenes Burla- dor als die Schule der Liebe; er lag dicht an der Börse; „hier schienen die Dichtungen von den Gärten des Admet und Alkinous keine Fabel mehr; er ist die Börse der Frauen 5)“. Um den Schritt von der Andacht zur Lebenslust zu machen, brauchte man nur die Schiffbrücke nach der Triana zu überschreiten, „in der sich die getrennten Theile der Stadt die Hände reichen“. Zu beiden Seiten wimmelte es von grossen und kleinen Fahrzeugen. 1) Tirso de Molina, No hay peor sordo III (1625 geschrieben). 2) Buen grado hanno i Frati che vivono lì a montar di lì al Paradiso. Navagero. 3) Es lugar, donde cada noche salen cuentos nuevos. Calderon, el médico de su honra II. Lugar tan acomodado á hallar aventuros, que en cada calle y tras cada esquina se ofrecen mas que en otra ninguna. D. Quixote I, 14. 4) Im Guzman de Alfarache I, 1, 2. 5) Tirso, El amor médico I.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/48>, abgerufen am 19.04.2024.