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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
vornehmer Weiblichkeit, den Blick gesenkt, wie verschämt, bei
dem barbarischen Akt, und in einem Schmelz goldigen Tons, der
mehr noch als an Tizian, an einige Frauenbildnisse Rembrandts
gemahnt.

Wer sich eine Uebersicht von dem Reichthum der maleri-
schen Mittel des Roelas und seiner Erfindungsgabe verschaffen
will, der sollte die Kirche der Descalzos in San Lucar de Barra-
meda besuchen, aber nur an einem sonnenhellen Tage. Hier
wird er mehr als ein Dutzend von Gemälden seiner Hand ent-
decken, neun über dem Hochaltar, die verschiedensten Stoffe der
Evangelien und der Heiligenlegende behandelnd1). Da ist ein
männlich schöner Täufer, predigend, ein jugendlicher, freudig er-
gebener Laurentius, ein mächtiger todter Christus von Engeln ge-
halten, und mercenarische Märtyrer. Die anmuthig feine, gnädige
Madonna, die grossartig schöne h. Katharina, bei der man zuerst
an die Zingarella denkt, bis man im Dunkel den Henker sieht,
dem sie ihren Nacken beut; die lieblich blühende h. Agnes kann
man hier vergleichen mit der alterthümlich strengen purisima.

Dieser Mann begab sich im Jahr 1615 nach Madrid, und
bewarb sich um die durch Tod erledigte Stelle eines pintor del
rey
. Der armselige Bartolome Gonzalez wurde ihm vorzogen.
Dieser war freilich ein Bildnissmaler, die Hauptbeschäftigung
der königlichen Maler damals. Von Roelas sind keine Bild-
nisse bekannt.

Francisco de Herrera

(1576 + 1656.)

Während Roelas weder zu seiner Zeit noch heute viel Glück
gehabt hat (Caviar für das Volk), so ist Herrera der Aeltere,
Architekt, Maler in Fresko, Oel und Tempera, Graveur, Radirer
und Kupferstecher, augenscheinlich ein Günstling der "Jetztzeit".

1) Kirche und Retablo waren eine Stiftung des Patrons der Descalzos, des
Herzogs Emanuel von Medina Sidonia und seiner Frau Juana de Sandoval, und
wurden erst 1629 nach dem Tod des Malers vollendet. Die Kirche stösst an den
Palast Montpensier, der an der Stelle des frühern Klosters steht. Dieses Haupt-
werk ist nicht nur von Cean Bermudez, sondern selbst in der gelehrten Beschrei-
bung der Stadt San Lucar von Pedro Madrazo in: Sevilla y Cadiz, Barcelona 1884
S. 815 ff. vergessen worden. Dagegen steht im Catalog des Prado-Museums noch
immer der Moses (1121), der ihm ganz fremd ist.

Erstes Buch.
vornehmer Weiblichkeit, den Blick gesenkt, wie verschämt, bei
dem barbarischen Akt, und in einem Schmelz goldigen Tons, der
mehr noch als an Tizian, an einige Frauenbildnisse Rembrandts
gemahnt.

Wer sich eine Uebersicht von dem Reichthum der maleri-
schen Mittel des Roelas und seiner Erfindungsgabe verschaffen
will, der sollte die Kirche der Descalzos in San Lucar de Barra-
meda besuchen, aber nur an einem sonnenhellen Tage. Hier
wird er mehr als ein Dutzend von Gemälden seiner Hand ent-
decken, neun über dem Hochaltar, die verschiedensten Stoffe der
Evangelien und der Heiligenlegende behandelnd1). Da ist ein
männlich schöner Täufer, predigend, ein jugendlicher, freudig er-
gebener Laurentius, ein mächtiger todter Christus von Engeln ge-
halten, und mercenarische Märtyrer. Die anmuthig feine, gnädige
Madonna, die grossartig schöne h. Katharina, bei der man zuerst
an die Zingarella denkt, bis man im Dunkel den Henker sieht,
dem sie ihren Nacken beut; die lieblich blühende h. Agnes kann
man hier vergleichen mit der alterthümlich strengen purisima.

Dieser Mann begab sich im Jahr 1615 nach Madrid, und
bewarb sich um die durch Tod erledigte Stelle eines pintor del
rey
. Der armselige Bartolomé Gonzalez wurde ihm vorzogen.
Dieser war freilich ein Bildnissmaler, die Hauptbeschäftigung
der königlichen Maler damals. Von Roelas sind keine Bild-
nisse bekannt.

Francisco de Herrera

(1576 † 1656.)

Während Roelas weder zu seiner Zeit noch heute viel Glück
gehabt hat (Caviar für das Volk), so ist Herrera der Aeltere,
Architekt, Maler in Fresko, Oel und Tempera, Graveur, Radirer
und Kupferstecher, augenscheinlich ein Günstling der „Jetztzeit“.

1) Kirche und Retablo waren eine Stiftung des Patrons der Descalzos, des
Herzogs Emanuel von Medina Sidonia und seiner Frau Juana de Sandoval, und
wurden erst 1629 nach dem Tod des Malers vollendet. Die Kirche stösst an den
Palast Montpensier, der an der Stelle des frühern Klosters steht. Dieses Haupt-
werk ist nicht nur von Cean Bermudez, sondern selbst in der gelehrten Beschrei-
bung der Stadt San Lucar von Pedro Madrazo in: Sevilla y Cadiz, Barcelona 1884
S. 815 ff. vergessen worden. Dagegen steht im Catalog des Prado-Museums noch
immer der Moses (1121), der ihm ganz fremd ist.
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[56/0076] Erstes Buch. vornehmer Weiblichkeit, den Blick gesenkt, wie verschämt, bei dem barbarischen Akt, und in einem Schmelz goldigen Tons, der mehr noch als an Tizian, an einige Frauenbildnisse Rembrandts gemahnt. Wer sich eine Uebersicht von dem Reichthum der maleri- schen Mittel des Roelas und seiner Erfindungsgabe verschaffen will, der sollte die Kirche der Descalzos in San Lucar de Barra- meda besuchen, aber nur an einem sonnenhellen Tage. Hier wird er mehr als ein Dutzend von Gemälden seiner Hand ent- decken, neun über dem Hochaltar, die verschiedensten Stoffe der Evangelien und der Heiligenlegende behandelnd 1). Da ist ein männlich schöner Täufer, predigend, ein jugendlicher, freudig er- gebener Laurentius, ein mächtiger todter Christus von Engeln ge- halten, und mercenarische Märtyrer. Die anmuthig feine, gnädige Madonna, die grossartig schöne h. Katharina, bei der man zuerst an die Zingarella denkt, bis man im Dunkel den Henker sieht, dem sie ihren Nacken beut; die lieblich blühende h. Agnes kann man hier vergleichen mit der alterthümlich strengen purisima. Dieser Mann begab sich im Jahr 1615 nach Madrid, und bewarb sich um die durch Tod erledigte Stelle eines pintor del rey. Der armselige Bartolomé Gonzalez wurde ihm vorzogen. Dieser war freilich ein Bildnissmaler, die Hauptbeschäftigung der königlichen Maler damals. Von Roelas sind keine Bild- nisse bekannt. Francisco de Herrera (1576 † 1656.) Während Roelas weder zu seiner Zeit noch heute viel Glück gehabt hat (Caviar für das Volk), so ist Herrera der Aeltere, Architekt, Maler in Fresko, Oel und Tempera, Graveur, Radirer und Kupferstecher, augenscheinlich ein Günstling der „Jetztzeit“. 1) Kirche und Retablo waren eine Stiftung des Patrons der Descalzos, des Herzogs Emanuel von Medina Sidonia und seiner Frau Juana de Sandoval, und wurden erst 1629 nach dem Tod des Malers vollendet. Die Kirche stösst an den Palast Montpensier, der an der Stelle des frühern Klosters steht. Dieses Haupt- werk ist nicht nur von Cean Bermudez, sondern selbst in der gelehrten Beschrei- bung der Stadt San Lucar von Pedro Madrazo in: Sevilla y Cadiz, Barcelona 1884 S. 815 ff. vergessen worden. Dagegen steht im Catalog des Prado-Museums noch immer der Moses (1121), der ihm ganz fremd ist.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/76>, abgerufen am 28.03.2024.