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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Reiterbildniss Philipp IV.
ein Kniestück, das einzige Bildniss Philipps in rothem Galaanzug,
mit reich gesticktem Bandelier und Kommandostab. Diess schöne
Werk ist in zwei Exemplaren vorhanden, im Dulwich College,
und in englischem Privatbesitz. Der König erscheint hier genau
in dem Alter jenes Jahres, d. h. als Vierziger; die heitre Farben-
pracht und die malerische Ungezwungenheit der Stellung, welche
dieses Porträt vor allen andern auszeichnet (linda ayre y gracia)
passte zu einem Geschenk für die Königin. Doch betrachten wir
zunächst das grosse Reiterbild.

Diess stimmt nach Stil und Alter der Person ganz gut zu der
Zeit, in welcher das Vorbild für die Tacca'sche Statue hergestellt
wurde, 1635.

Man betrachte nur das Antlitz des Königs! Sind das Züge
und Haltung eines Vierzigers? In den uns vorliegenden Be-
schreibungen ist überall der Eindruck der Jugendlichkeit aus-
gesprochen. Stirling nennt ihn "in der Glut der Jugend und
Gesundheit". Cean Bermudez, Viardot konnten es für das ver-
lorene Bildniss des zwanzigjährigen Jünglings halten. Das Alter
lässt sich aber auch durch positive Beweisgründe feststellen.
Die lange uns vorliegende Reihe von Bildnissen Philipp IV ge-
stattet die leisen Veränderungen der in ihren Grundzügen so
gleichförmigen Maske im Lauf von mehr als dreissig Jahren zu
verfolgen. Diese Wandlungen liegen theils in der zunehmenden
Korpulenz, theils in der Frisur. Der zwanzigjährige ist bartlos,
trägt die Haare kurz an den Schläfen in einer oder zwei
dünnen geschlängelten Locken, das Ohr ist frei. Bei Rubens
(1628) ist die Oberlippe von einem Flaumbärtchen eingerahmt.
In dem Stich von 16381), im Jägerbild, in den Figuren zu
Wien und in der Nationalgalerie, welche sich sämmtlich sehr
nahe stehen, ist der Schnurrbart bereits leicht in die Höhe ge-
dreht, und die Haare fallen in breiten, weichen, sanftgewellten
Massen, das Ohr zudeckend, bis in die Höhe des Mundes und
tiefer. In unserm Reiterbild bemerkt man noch das kurze Haar,
die freistehenden Löckchen des Jünglings, auch das Ohr ist
sichtbar, und der Schnurrbart ist erst ein dünnes sanftge-
krümmtes Komma, noch nicht der stilvolle bigote levantado. --
Diesen hätte der Maler gewiss nicht vernachlässigt wenn er

1) In: Tapia y Robles, Don Juan Antonio, Ilustracion del renombre de Grande,
principio, grandeza, y etimologia 49. Madrid 1638. Von Hermann Panneels "Ex
archetypo Velazquez."

Das Reiterbildniss Philipp IV.
ein Kniestück, das einzige Bildniss Philipps in rothem Galaanzug,
mit reich gesticktem Bandelier und Kommandostab. Diess schöne
Werk ist in zwei Exemplaren vorhanden, im Dulwich College,
und in englischem Privatbesitz. Der König erscheint hier genau
in dem Alter jenes Jahres, d. h. als Vierziger; die heitre Farben-
pracht und die malerische Ungezwungenheit der Stellung, welche
dieses Porträt vor allen andern auszeichnet (linda ayre y gracia)
passte zu einem Geschenk für die Königin. Doch betrachten wir
zunächst das grosse Reiterbild.

Diess stimmt nach Stil und Alter der Person ganz gut zu der
Zeit, in welcher das Vorbild für die Tacca’sche Statue hergestellt
wurde, 1635.

Man betrachte nur das Antlitz des Königs! Sind das Züge
und Haltung eines Vierzigers? In den uns vorliegenden Be-
schreibungen ist überall der Eindruck der Jugendlichkeit aus-
gesprochen. Stirling nennt ihn „in der Glut der Jugend und
Gesundheit“. Cean Bermudez, Viardot konnten es für das ver-
lorene Bildniss des zwanzigjährigen Jünglings halten. Das Alter
lässt sich aber auch durch positive Beweisgründe feststellen.
Die lange uns vorliegende Reihe von Bildnissen Philipp IV ge-
stattet die leisen Veränderungen der in ihren Grundzügen so
gleichförmigen Maske im Lauf von mehr als dreissig Jahren zu
verfolgen. Diese Wandlungen liegen theils in der zunehmenden
Korpulenz, theils in der Frisur. Der zwanzigjährige ist bartlos,
trägt die Haare kurz an den Schläfen in einer oder zwei
dünnen geschlängelten Locken, das Ohr ist frei. Bei Rubens
(1628) ist die Oberlippe von einem Flaumbärtchen eingerahmt.
In dem Stich von 16381), im Jägerbild, in den Figuren zu
Wien und in der Nationalgalerie, welche sich sämmtlich sehr
nahe stehen, ist der Schnurrbart bereits leicht in die Höhe ge-
dreht, und die Haare fallen in breiten, weichen, sanftgewellten
Massen, das Ohr zudeckend, bis in die Höhe des Mundes und
tiefer. In unserm Reiterbild bemerkt man noch das kurze Haar,
die freistehenden Löckchen des Jünglings, auch das Ohr ist
sichtbar, und der Schnurrbart ist erst ein dünnes sanftge-
krümmtes Komma, noch nicht der stilvolle bigote levantado. —
Diesen hätte der Maler gewiss nicht vernachlässigt wenn er

1) In: Tapia y Robles, Don Juan Antonio, Ilustracion del renombre de Grande,
principio, grandeza, y etimologia 49. Madrid 1638. Von Hermann Panneels „Ex
archetypo Velazquez.“
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[93/0113] Das Reiterbildniss Philipp IV. ein Kniestück, das einzige Bildniss Philipps in rothem Galaanzug, mit reich gesticktem Bandelier und Kommandostab. Diess schöne Werk ist in zwei Exemplaren vorhanden, im Dulwich College, und in englischem Privatbesitz. Der König erscheint hier genau in dem Alter jenes Jahres, d. h. als Vierziger; die heitre Farben- pracht und die malerische Ungezwungenheit der Stellung, welche dieses Porträt vor allen andern auszeichnet (linda ayre y gracia) passte zu einem Geschenk für die Königin. Doch betrachten wir zunächst das grosse Reiterbild. Diess stimmt nach Stil und Alter der Person ganz gut zu der Zeit, in welcher das Vorbild für die Tacca’sche Statue hergestellt wurde, 1635. Man betrachte nur das Antlitz des Königs! Sind das Züge und Haltung eines Vierzigers? In den uns vorliegenden Be- schreibungen ist überall der Eindruck der Jugendlichkeit aus- gesprochen. Stirling nennt ihn „in der Glut der Jugend und Gesundheit“. Cean Bermudez, Viardot konnten es für das ver- lorene Bildniss des zwanzigjährigen Jünglings halten. Das Alter lässt sich aber auch durch positive Beweisgründe feststellen. Die lange uns vorliegende Reihe von Bildnissen Philipp IV ge- stattet die leisen Veränderungen der in ihren Grundzügen so gleichförmigen Maske im Lauf von mehr als dreissig Jahren zu verfolgen. Diese Wandlungen liegen theils in der zunehmenden Korpulenz, theils in der Frisur. Der zwanzigjährige ist bartlos, trägt die Haare kurz an den Schläfen in einer oder zwei dünnen geschlängelten Locken, das Ohr ist frei. Bei Rubens (1628) ist die Oberlippe von einem Flaumbärtchen eingerahmt. In dem Stich von 1638 1), im Jägerbild, in den Figuren zu Wien und in der Nationalgalerie, welche sich sämmtlich sehr nahe stehen, ist der Schnurrbart bereits leicht in die Höhe ge- dreht, und die Haare fallen in breiten, weichen, sanftgewellten Massen, das Ohr zudeckend, bis in die Höhe des Mundes und tiefer. In unserm Reiterbild bemerkt man noch das kurze Haar, die freistehenden Löckchen des Jünglings, auch das Ohr ist sichtbar, und der Schnurrbart ist erst ein dünnes sanftge- krümmtes Komma, noch nicht der stilvolle bigote levantado. — Diesen hätte der Maler gewiss nicht vernachlässigt wenn er 1) In: Tapia y Robles, Don Juan Antonio, Ilustracion del renombre de Grande, principio, grandeza, y etimologia 49. Madrid 1638. Von Hermann Panneels „Ex archetypo Velazquez.“

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/113>, abgerufen am 29.03.2024.