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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Reiterbildniss Philipp IV.
lichen Formen, mit denen das scharfe Relief der Zimmerbeleuch-
tung so unerbittlich war, sind kaum wiederzuerkennen. Das
Licht des freien Himmels erwies sich hier einmal als Schmeichler.
Man fühlt, dass der Hauch der klaren, dünnen, durchdringenden
Morgenluft castilischer Berge in seine Lunge einzieht und ein
helleres, flüssigeres Blut durch die Adern treibt. Das wunder-
bare Thier, mit dem er sich so vollkommen verstand, hat ihm
etwas von seinem Lebensüberfluss abgegeben. "Reiter und
Pferd, sagt Calderon von Philipp IV, schienen zu einem Wesen
geworden". Spielend war er Herr des herrlichen Geschöpfs: "er
liess es tanzen nach dem Taktstock des Zaums, stets schien es
in der Luft zu schweben mit Sprüngen und Kurbetten1)".

Die Landschaft, über deren Hügel, Schluchten, Ebenen der
Blick gleitet bis zum fernen Hochgebirge, mehrere Meilen weit,
ist jeder Spur von lebenden Wesen, ihres Wohnens und
Wirkens baar. Aber diese Einsamkeit ist keine melancholische.
Sie lädt ein in die Ferne zu schweifen, Geistergespräche zu füh-
ren, sie giebt dem Manne das Gefühl, dass dies Alles sein ist,
gehütet von jenen Bergriesen besser als von seinen Heeren.
Nie wol ist das kastilische Hochland, mit seinen klaren Lüften,
dem gesättigten, leicht ins Grüne spielenden Blau, seinem tiefen
Schweigen, dem lichten Gehölz, den grossen Urgebirgslinien
seiner Sierren so getreu und poetisch zugleich in Farben wieder
aufgelebt; auch auf einer Leinwand unsers Malers nicht. Dieser
Blick hat etwas Unermessliches. Denn da wenig bestimmte Ge-
genstände dem Auge Maasstäbe geben, so verliert es sich in
diesen azurnen Thalgründen wie in den Tiefen des pfadlosen
Oceans; alles nimmt etwas an von durchsichtigem Element.

Der Himmel klärt sich nach oben rechts auf, so dass der Rei-
ter ins Licht emporzustreben, in ihm aufzutauchen scheint. Woge-
gen jene die Bewegung begleitenden Gebirgslinien nach dieser Seite
abfallen.

Der Baum zur Linken, der andern eine willkommene Folie
für die Modellirung des Reiters geliefert hätte, ist nur ein
weisslicher Stamm, der zahlreiche Triebe ins Bild sendet, von
mattgrüner wie bestaubter Blattfarbe; ja der Silberton, der über
dem Ganzen liegt, ist hier am reichlichsten verwandt.

1) [Spaltenumbruch] Deteniendose en el aire
con brincos y con corbetas . . . .
le hizo danzar al compas
[Spaltenumbruch] del freno que espuma engendra . . . .
dire, que eran de sola una pieza
el caballo y caballero?
Calderon, la banda y la flor.

Das Reiterbildniss Philipp IV.
lichen Formen, mit denen das scharfe Relief der Zimmerbeleuch-
tung so unerbittlich war, sind kaum wiederzuerkennen. Das
Licht des freien Himmels erwies sich hier einmal als Schmeichler.
Man fühlt, dass der Hauch der klaren, dünnen, durchdringenden
Morgenluft castilischer Berge in seine Lunge einzieht und ein
helleres, flüssigeres Blut durch die Adern treibt. Das wunder-
bare Thier, mit dem er sich so vollkommen verstand, hat ihm
etwas von seinem Lebensüberfluss abgegeben. „Reiter und
Pferd, sagt Calderon von Philipp IV, schienen zu einem Wesen
geworden“. Spielend war er Herr des herrlichen Geschöpfs: „er
liess es tanzen nach dem Taktstock des Zaums, stets schien es
in der Luft zu schweben mit Sprüngen und Kurbetten1)“.

Die Landschaft, über deren Hügel, Schluchten, Ebenen der
Blick gleitet bis zum fernen Hochgebirge, mehrere Meilen weit,
ist jeder Spur von lebenden Wesen, ihres Wohnens und
Wirkens baar. Aber diese Einsamkeit ist keine melancholische.
Sie lädt ein in die Ferne zu schweifen, Geistergespräche zu füh-
ren, sie giebt dem Manne das Gefühl, dass dies Alles sein ist,
gehütet von jenen Bergriesen besser als von seinen Heeren.
Nie wol ist das kastilische Hochland, mit seinen klaren Lüften,
dem gesättigten, leicht ins Grüne spielenden Blau, seinem tiefen
Schweigen, dem lichten Gehölz, den grossen Urgebirgslinien
seiner Sierren so getreu und poetisch zugleich in Farben wieder
aufgelebt; auch auf einer Leinwand unsers Malers nicht. Dieser
Blick hat etwas Unermessliches. Denn da wenig bestimmte Ge-
genstände dem Auge Maasstäbe geben, so verliert es sich in
diesen azurnen Thalgründen wie in den Tiefen des pfadlosen
Oceans; alles nimmt etwas an von durchsichtigem Element.

Der Himmel klärt sich nach oben rechts auf, so dass der Rei-
ter ins Licht emporzustreben, in ihm aufzutauchen scheint. Woge-
gen jene die Bewegung begleitenden Gebirgslinien nach dieser Seite
abfallen.

Der Baum zur Linken, der andern eine willkommene Folie
für die Modellirung des Reiters geliefert hätte, ist nur ein
weisslicher Stamm, der zahlreiche Triebe ins Bild sendet, von
mattgrüner wie bestaubter Blattfarbe; ja der Silberton, der über
dem Ganzen liegt, ist hier am reichlichsten verwandt.

1) [Spaltenumbruch] Deteniéndose en el aire
con brincos y con corbetas . . . .
le hizo danzar al compas
[Spaltenumbruch] del freno que espuma engendra . . . .
diré, que eran de sola una pieza
el caballo y caballero?
Calderon, la banda y la flor.
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[95/0115] Das Reiterbildniss Philipp IV. lichen Formen, mit denen das scharfe Relief der Zimmerbeleuch- tung so unerbittlich war, sind kaum wiederzuerkennen. Das Licht des freien Himmels erwies sich hier einmal als Schmeichler. Man fühlt, dass der Hauch der klaren, dünnen, durchdringenden Morgenluft castilischer Berge in seine Lunge einzieht und ein helleres, flüssigeres Blut durch die Adern treibt. Das wunder- bare Thier, mit dem er sich so vollkommen verstand, hat ihm etwas von seinem Lebensüberfluss abgegeben. „Reiter und Pferd, sagt Calderon von Philipp IV, schienen zu einem Wesen geworden“. Spielend war er Herr des herrlichen Geschöpfs: „er liess es tanzen nach dem Taktstock des Zaums, stets schien es in der Luft zu schweben mit Sprüngen und Kurbetten 1)“. Die Landschaft, über deren Hügel, Schluchten, Ebenen der Blick gleitet bis zum fernen Hochgebirge, mehrere Meilen weit, ist jeder Spur von lebenden Wesen, ihres Wohnens und Wirkens baar. Aber diese Einsamkeit ist keine melancholische. Sie lädt ein in die Ferne zu schweifen, Geistergespräche zu füh- ren, sie giebt dem Manne das Gefühl, dass dies Alles sein ist, gehütet von jenen Bergriesen besser als von seinen Heeren. Nie wol ist das kastilische Hochland, mit seinen klaren Lüften, dem gesättigten, leicht ins Grüne spielenden Blau, seinem tiefen Schweigen, dem lichten Gehölz, den grossen Urgebirgslinien seiner Sierren so getreu und poetisch zugleich in Farben wieder aufgelebt; auch auf einer Leinwand unsers Malers nicht. Dieser Blick hat etwas Unermessliches. Denn da wenig bestimmte Ge- genstände dem Auge Maasstäbe geben, so verliert es sich in diesen azurnen Thalgründen wie in den Tiefen des pfadlosen Oceans; alles nimmt etwas an von durchsichtigem Element. Der Himmel klärt sich nach oben rechts auf, so dass der Rei- ter ins Licht emporzustreben, in ihm aufzutauchen scheint. Woge- gen jene die Bewegung begleitenden Gebirgslinien nach dieser Seite abfallen. Der Baum zur Linken, der andern eine willkommene Folie für die Modellirung des Reiters geliefert hätte, ist nur ein weisslicher Stamm, der zahlreiche Triebe ins Bild sendet, von mattgrüner wie bestaubter Blattfarbe; ja der Silberton, der über dem Ganzen liegt, ist hier am reichlichsten verwandt. 1) Deteniéndose en el aire con brincos y con corbetas . . . . le hizo danzar al compas del freno que espuma engendra . . . . diré, que eran de sola una pieza el caballo y caballero? Calderon, la banda y la flor.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/115>, abgerufen am 18.04.2024.