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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Bildniss von Fraga.
(mit grau gefleckten Beinen) zeigt eine von den Rossen, die Ve-
lazquez malte, ganz verschiedene Rasse. Der kleine dünne Kopf
mit Ramsnase, der lange breite Hals mit hochgewölbtem Kamm, die
starke Brust, die überaus hohen Beine, verrathen einen Stammver-
wandten des übrigens noch wunderlichern Gauls des Cardinalinfan-
ten. Nur die lange Mähne ist spanisch, sie ist in drei Strähnen mit
rothen Schleifen zusammengeknüpft.

Der König ist ein mittlerer Dreissiger, er erscheint feiner
aber unansehnlicher als sonst. Hier sieht man mit Erstaunen,
was Velazquez aus ihm zu machen gewusst hat, und welche
Energie des Stils seiner Hand innewohnte. Er hält sich stark
zurückgelehnt, die Beine gradeausgestreckt, die rechte Hand mit
dem Hut in die Seite gestemmt. Sein Anzug ist von schwarzer
Seide; er trägt das goldne Vliess; Zaum und Sattel roth mit
Goldstickerei; die enganliegenden Lederstiefel gehen bis ans
Knie. Der Reiter hebt sich gut ab auf der braunen Mauer eines
Thorwegs, der mit vieleckigen Steinen gepflastert ist; die Säule
weist auf ein Palastthor hin. Hinter ihm öffnet sich der hell-
blaue Himmel mit goldnem Gewölk.

Das Bildniss von Fraga.

Seit dem Ausbruch der Empörung in Katalonien (9. Juni 1640),
war der Wunsch laut geworden, der König möge sich nach dem
Kriegsschauplatz begeben, um den Operationen durch seine Ge-
genwart Nachdruck zu verleihen. Er selbst sehnte sich danach.
Seit der Schlacht von S. Quentin war kein spanischer König
mehr im Feld gewesen. Die Gefahr des zerfallenden Reichs,
der Spott, der ihn mit seinem Schwager Ludwig XIII oder gar
den Heldenfürsten des Zeitalters verglich, die Anspielungen der
Kanzel und der Bühne1), das stürmische Verlangen des Volks,
welches seine Abreise von Madrid für den letzten Rettungsanker
hielt: alle diese Hebel hatten endlich selbst seinem eigner Ent-
schliessung entwöhnten Willen die Oberhand verschafft über den
Dämon, der ahnte, dass diese Reise seinen Sturz bedeute. Unter
dem Jubel der dichtgedrängten, Victor schreienden, bis zum letzten
Augenblick ungläubigen Menge war er Sonnabend den 26. April
1642 in einem mit sechs Maulthieren bespannten Wagen und un-

1) El soldado valiente a la vista de su Rey. Calderon, la esaltacion de la
cruz III. Das Volk rief als er ausfuhr zur Wolfsjagd: Sennor, cazad franceses, que
son los lobos que tenemos.

Das Bildniss von Fraga.
(mit grau gefleckten Beinen) zeigt eine von den Rossen, die Ve-
lazquez malte, ganz verschiedene Rasse. Der kleine dünne Kopf
mit Ramsnase, der lange breite Hals mit hochgewölbtem Kamm, die
starke Brust, die überaus hohen Beine, verrathen einen Stammver-
wandten des übrigens noch wunderlichern Gauls des Cardinalinfan-
ten. Nur die lange Mähne ist spanisch, sie ist in drei Strähnen mit
rothen Schleifen zusammengeknüpft.

Der König ist ein mittlerer Dreissiger, er erscheint feiner
aber unansehnlicher als sonst. Hier sieht man mit Erstaunen,
was Velazquez aus ihm zu machen gewusst hat, und welche
Energie des Stils seiner Hand innewohnte. Er hält sich stark
zurückgelehnt, die Beine gradeausgestreckt, die rechte Hand mit
dem Hut in die Seite gestemmt. Sein Anzug ist von schwarzer
Seide; er trägt das goldne Vliess; Zaum und Sattel roth mit
Goldstickerei; die enganliegenden Lederstiefel gehen bis ans
Knie. Der Reiter hebt sich gut ab auf der braunen Mauer eines
Thorwegs, der mit vieleckigen Steinen gepflastert ist; die Säule
weist auf ein Palastthor hin. Hinter ihm öffnet sich der hell-
blaue Himmel mit goldnem Gewölk.

Das Bildniss von Fraga.

Seit dem Ausbruch der Empörung in Katalonien (9. Juni 1640),
war der Wunsch laut geworden, der König möge sich nach dem
Kriegsschauplatz begeben, um den Operationen durch seine Ge-
genwart Nachdruck zu verleihen. Er selbst sehnte sich danach.
Seit der Schlacht von S. Quentin war kein spanischer König
mehr im Feld gewesen. Die Gefahr des zerfallenden Reichs,
der Spott, der ihn mit seinem Schwager Ludwig XIII oder gar
den Heldenfürsten des Zeitalters verglich, die Anspielungen der
Kanzel und der Bühne1), das stürmische Verlangen des Volks,
welches seine Abreise von Madrid für den letzten Rettungsanker
hielt: alle diese Hebel hatten endlich selbst seinem eigner Ent-
schliessung entwöhnten Willen die Oberhand verschafft über den
Dämon, der ahnte, dass diese Reise seinen Sturz bedeute. Unter
dem Jubel der dichtgedrängten, Victor schreienden, bis zum letzten
Augenblick ungläubigen Menge war er Sonnabend den 26. April
1642 in einem mit sechs Maulthieren bespannten Wagen und un-

1) El soldado valiente á la vista de su Rey. Calderon, la esaltacion de la
cruz III. Das Volk rief als er ausfuhr zur Wolfsjagd: Señor, cazad franceses, que
son los lobos que tenemos.
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[99/0119] Das Bildniss von Fraga. (mit grau gefleckten Beinen) zeigt eine von den Rossen, die Ve- lazquez malte, ganz verschiedene Rasse. Der kleine dünne Kopf mit Ramsnase, der lange breite Hals mit hochgewölbtem Kamm, die starke Brust, die überaus hohen Beine, verrathen einen Stammver- wandten des übrigens noch wunderlichern Gauls des Cardinalinfan- ten. Nur die lange Mähne ist spanisch, sie ist in drei Strähnen mit rothen Schleifen zusammengeknüpft. Der König ist ein mittlerer Dreissiger, er erscheint feiner aber unansehnlicher als sonst. Hier sieht man mit Erstaunen, was Velazquez aus ihm zu machen gewusst hat, und welche Energie des Stils seiner Hand innewohnte. Er hält sich stark zurückgelehnt, die Beine gradeausgestreckt, die rechte Hand mit dem Hut in die Seite gestemmt. Sein Anzug ist von schwarzer Seide; er trägt das goldne Vliess; Zaum und Sattel roth mit Goldstickerei; die enganliegenden Lederstiefel gehen bis ans Knie. Der Reiter hebt sich gut ab auf der braunen Mauer eines Thorwegs, der mit vieleckigen Steinen gepflastert ist; die Säule weist auf ein Palastthor hin. Hinter ihm öffnet sich der hell- blaue Himmel mit goldnem Gewölk. Das Bildniss von Fraga. Seit dem Ausbruch der Empörung in Katalonien (9. Juni 1640), war der Wunsch laut geworden, der König möge sich nach dem Kriegsschauplatz begeben, um den Operationen durch seine Ge- genwart Nachdruck zu verleihen. Er selbst sehnte sich danach. Seit der Schlacht von S. Quentin war kein spanischer König mehr im Feld gewesen. Die Gefahr des zerfallenden Reichs, der Spott, der ihn mit seinem Schwager Ludwig XIII oder gar den Heldenfürsten des Zeitalters verglich, die Anspielungen der Kanzel und der Bühne 1), das stürmische Verlangen des Volks, welches seine Abreise von Madrid für den letzten Rettungsanker hielt: alle diese Hebel hatten endlich selbst seinem eigner Ent- schliessung entwöhnten Willen die Oberhand verschafft über den Dämon, der ahnte, dass diese Reise seinen Sturz bedeute. Unter dem Jubel der dichtgedrängten, Victor schreienden, bis zum letzten Augenblick ungläubigen Menge war er Sonnabend den 26. April 1642 in einem mit sechs Maulthieren bespannten Wagen und un- 1) El soldado valiente á la vista de su Rey. Calderon, la esaltacion de la cruz III. Das Volk rief als er ausfuhr zur Wolfsjagd: Señor, cazad franceses, que son los lobos que tenemos.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/119>, abgerufen am 29.03.2024.