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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
haben ihn so verändert, dass man glauben könnte, ein feindseliger
Geist habe diess Bild ersonnen, um alles Böse, was man ihm
nachsagte, glaublich zu machen. Seit dem Unglücksjahr 1640,
besonders aber seit den hochverräterischen Anwandlungen seines
Vetters Medina Sidonia bemerkte man eine Veränderung seiner
Züge und Gesichtsfarbe, in Verbindung mit Spuren geistiger
Störung1). Die Granden nannten ihn nur noch El hombre triste.
Die heroischen Linien, welche einst den österreichischen Ge-
sandten an einen Imperator erinnerten, haben verquollenen, ge-
dunsenen Zügen Platz gemacht; der Mund ist in Folge des Ver-
lusts der Zähne zusammengefallen, das Kinn biegt sich nun mehr
nach oben, dadurch hat das Antlitz etwas gedrücktes, tückisches
bekommen. Auch die Augen erscheinen eingesunken, durch die
umgebenden Falten wie gekniffen; der Blick ist lauernd, wo er
verbindlich sein soll falsch, ja grausam. Der wolgepflegte Schnurr-
bart, das einzige worauf er noch eitel zu sein scheint, geht fast
bis ans Ohr und dehnt sich hier um zu einem runden Büschel.
Nimmt man nun noch als Rahmen dieses Antlitzes die dicke
fuchsige Perrücke (adoptiva cabellera2), so erhält man ein wahr-
haft sinistres Ganze3). Man würde jetzt eher in ihm einen jener
schlimmsten Anhängsel der Höfe vermuthen, den unter einer in
zweifelhaftem Theatergeschmack erfundenen Maske des brutalen
Haudegens umherschleichenden Kuppler, Spieler und Bravo.

Nur weil sie von namhaften Stimmen gepriesen worden sind,
mögen hier einige unserm Meister ganz fremde Kopien genannt
werden. Das Brustbild, welches in der Sammlung des Friedens-
fürsten war, von Buchanan nach England gebracht und 1814
Lord Lansdowne verkauft wurde, nennt Waagen (Kunstwerke II,
S. 77) "von grosser Energie der Auffassung und meisterhaft be-
handelt"; ein Kritiker im Athenaeum (1877, 27. Januar) erkennt
darin sogar "das echte Original zahlloser Wiederholungen"; ob-
wol die richtige Schilderung, die er hinzufügt4), jeden Kenner

1) Questa conspirazione ha oppresso di maniera l'animo del C. D . . . . che
oltre alla mutazione del sembiante, e del colore si e da molti osservato che in
qualche tempo la mente non e stata senz' alcun segno di lesione. Chiffr. Dep.
Guidi's vom 24. Sept. 1641.
2) Tirso de Molina, La gallega Mari Hernandez.
3) La guardatura ha del torbido, e dello sforzato; Lucchesische Relation
von 1644 bei Ranke.
4) Excessively dark, somewhat crude in the shadows, and rather heavy in the
half tones.

Fünftes Buch.
haben ihn so verändert, dass man glauben könnte, ein feindseliger
Geist habe diess Bild ersonnen, um alles Böse, was man ihm
nachsagte, glaublich zu machen. Seit dem Unglücksjahr 1640,
besonders aber seit den hochverräterischen Anwandlungen seines
Vetters Medina Sidonia bemerkte man eine Veränderung seiner
Züge und Gesichtsfarbe, in Verbindung mit Spuren geistiger
Störung1). Die Granden nannten ihn nur noch El hombre triste.
Die heroischen Linien, welche einst den österreichischen Ge-
sandten an einen Imperator erinnerten, haben verquollenen, ge-
dunsenen Zügen Platz gemacht; der Mund ist in Folge des Ver-
lusts der Zähne zusammengefallen, das Kinn biegt sich nun mehr
nach oben, dadurch hat das Antlitz etwas gedrücktes, tückisches
bekommen. Auch die Augen erscheinen eingesunken, durch die
umgebenden Falten wie gekniffen; der Blick ist lauernd, wo er
verbindlich sein soll falsch, ja grausam. Der wolgepflegte Schnurr-
bart, das einzige worauf er noch eitel zu sein scheint, geht fast
bis ans Ohr und dehnt sich hier um zu einem runden Büschel.
Nimmt man nun noch als Rahmen dieses Antlitzes die dicke
fuchsige Perrücke (adoptiva cabellera2), so erhält man ein wahr-
haft sinistres Ganze3). Man würde jetzt eher in ihm einen jener
schlimmsten Anhängsel der Höfe vermuthen, den unter einer in
zweifelhaftem Theatergeschmack erfundenen Maske des brutalen
Haudegens umherschleichenden Kuppler, Spieler und Bravo.

Nur weil sie von namhaften Stimmen gepriesen worden sind,
mögen hier einige unserm Meister ganz fremde Kopien genannt
werden. Das Brustbild, welches in der Sammlung des Friedens-
fürsten war, von Buchanan nach England gebracht und 1814
Lord Lansdowne verkauft wurde, nennt Waagen (Kunstwerke II,
S. 77) „von grosser Energie der Auffassung und meisterhaft be-
handelt“; ein Kritiker im Athenæum (1877, 27. Januar) erkennt
darin sogar „das echte Original zahlloser Wiederholungen“; ob-
wol die richtige Schilderung, die er hinzufügt4), jeden Kenner

1) Questa conspirazione ha oppresso di maniera l’animo del C. D . . . . che
oltre alla mutazione del sembiante, e del colore si è da molti osservato che in
qualche tempo la mente non è stata senz’ alcun segno di lesione. Chiffr. Dep.
Guidi’s vom 24. Sept. 1641.
2) Tirso de Molina, La gallega Mari Hernandez.
3) La guardatura ha del torbido, e dello sforzato; Lucchesische Relation
von 1644 bei Ranke.
4) Excessively dark, somewhat crude in the shadows, and rather heavy in the
half tones.
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[120/0140] Fünftes Buch. haben ihn so verändert, dass man glauben könnte, ein feindseliger Geist habe diess Bild ersonnen, um alles Böse, was man ihm nachsagte, glaublich zu machen. Seit dem Unglücksjahr 1640, besonders aber seit den hochverräterischen Anwandlungen seines Vetters Medina Sidonia bemerkte man eine Veränderung seiner Züge und Gesichtsfarbe, in Verbindung mit Spuren geistiger Störung 1). Die Granden nannten ihn nur noch El hombre triste. Die heroischen Linien, welche einst den österreichischen Ge- sandten an einen Imperator erinnerten, haben verquollenen, ge- dunsenen Zügen Platz gemacht; der Mund ist in Folge des Ver- lusts der Zähne zusammengefallen, das Kinn biegt sich nun mehr nach oben, dadurch hat das Antlitz etwas gedrücktes, tückisches bekommen. Auch die Augen erscheinen eingesunken, durch die umgebenden Falten wie gekniffen; der Blick ist lauernd, wo er verbindlich sein soll falsch, ja grausam. Der wolgepflegte Schnurr- bart, das einzige worauf er noch eitel zu sein scheint, geht fast bis ans Ohr und dehnt sich hier um zu einem runden Büschel. Nimmt man nun noch als Rahmen dieses Antlitzes die dicke fuchsige Perrücke (adoptiva cabellera 2), so erhält man ein wahr- haft sinistres Ganze 3). Man würde jetzt eher in ihm einen jener schlimmsten Anhängsel der Höfe vermuthen, den unter einer in zweifelhaftem Theatergeschmack erfundenen Maske des brutalen Haudegens umherschleichenden Kuppler, Spieler und Bravo. Nur weil sie von namhaften Stimmen gepriesen worden sind, mögen hier einige unserm Meister ganz fremde Kopien genannt werden. Das Brustbild, welches in der Sammlung des Friedens- fürsten war, von Buchanan nach England gebracht und 1814 Lord Lansdowne verkauft wurde, nennt Waagen (Kunstwerke II, S. 77) „von grosser Energie der Auffassung und meisterhaft be- handelt“; ein Kritiker im Athenæum (1877, 27. Januar) erkennt darin sogar „das echte Original zahlloser Wiederholungen“; ob- wol die richtige Schilderung, die er hinzufügt 4), jeden Kenner 1) Questa conspirazione ha oppresso di maniera l’animo del C. D . . . . che oltre alla mutazione del sembiante, e del colore si è da molti osservato che in qualche tempo la mente non è stata senz’ alcun segno di lesione. Chiffr. Dep. Guidi’s vom 24. Sept. 1641. 2) Tirso de Molina, La gallega Mari Hernandez. 3) La guardatura ha del torbido, e dello sforzato; Lucchesische Relation von 1644 bei Ranke. 4) Excessively dark, somewhat crude in the shadows, and rather heavy in the half tones.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/140>, abgerufen am 19.04.2024.