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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Dahinter ragt die Seo mit dem durch hölzerne Aufsätze verun-
stalteten Cimborio. Auf der anderen Seite des Thors erblickt
man das städtische Consistorium und die damit verbundene
grossartige 1551 vollendete Börse (Lonja), kenntlich an den vier
Eckthürmchen. Zu dem heiteren barocken Bau der Pilar ist erst
1686 der Grundstein gelegt worden: an ihrer Stelle steht noch
die bescheidene einschiffige Sa. Maria la Mayor, von deren weitem
Claustro und Kapelle man die äussere Schaale sieht. Weiter
nach Osten erhebt sich neben S. Felipe mit seinen drei Fas-
sadenthürmen der gewaltige schiefe Uhrthurm, die Torre nueva,
312 castilische Fuss hoch, dessen wunderliche Ornamentik
daran erinnert, dass bei dem Bau Christen, Juden und Mauren,
fünf Baumeister, zusammenwirkten. Es folgt S. Pablo mit dem
schlanken gothischen Campanile; endlich ausserhalb der Stadt-
mauer der massige Würfel des maurischen Schlosses Aljaferia,
wo Elisabeth die Heilige von Portugal 1271 geboren wurde. --

Da hier nur mit Ziegeln gebaut wird, so hat alles einen
fahlen staubigen Ton, nüchtern, aber in Uebereinstimmung
mit dem Grundton des Ernstes. Nichts wüsteres, unwirthlicheres
als diese Ebrogestade. Kein Baum, keine Quaimauern ver-
hüllen die lehmige Kahlheit. Aber hier, wo Bivouaks wüster
Lanzknechte hinpassten, ist eine fremde bunte Gesellschaft her-
gezaubert, deren malerische Trachten, höfische und bäurisch-
nationale, den Blumenflor ersetzen. Ein Theil hält sich unten
am Wasser auf; die Hauptpersonen aber oben, wahrscheinlich
im Garten des Klosters, den eine Mauer mit verfallener Brüstung
von dem Paseo abgrenzt. Sie stehen in Gruppen beisammen,
oder sitzen, die Damen alle, auf Teppichen, im Gras; oder be-
wegen sich langsam nach der Anlände herab. Alle die ihr Ge-
sicht zeigen sind Bildnisse; einige erinnern an Figuren der
Jagden und der Louvrestudie. Links bemerkt man einen hohen
Geistlichen. Sehr in die Augen fallend steht ein junger, blonder
Kavalier in starrem rothem Mantel, in die Ferne sehend, isolirt,
neben ihm Pferd und Stallmeister. Der Kopf war offenbar ab-
sichtlich beschädigt, ausgekratzt worden, und musste neugemalt
werden. Zu vorderst in der Ecke links sitzt eine schmucke
Hökersfrau in Provincialtracht, weiten weissen Aermeln, blauem
Rock und eine Rose am Busen, sie verkauft Pfirsiche. Von
Personen "ohne Geburt" und Rang geniessen nur Bettler das
Vorrecht sich hier sehen zu lassen. Da ist der esprit Callots,
die Wahrheit und Mannigfaltigkeit Hogarths und die vornehmen

Fünftes Buch.
Dahinter ragt die Seo mit dem durch hölzerne Aufsätze verun-
stalteten Cimborio. Auf der anderen Seite des Thors erblickt
man das städtische Consistorium und die damit verbundene
grossartige 1551 vollendete Börse (Lonja), kenntlich an den vier
Eckthürmchen. Zu dem heiteren barocken Bau der Pilar ist erst
1686 der Grundstein gelegt worden: an ihrer Stelle steht noch
die bescheidene einschiffige Sa. Maria la Mayor, von deren weitem
Claustro und Kapelle man die äussere Schaale sieht. Weiter
nach Osten erhebt sich neben S. Felipe mit seinen drei Fas-
sadenthürmen der gewaltige schiefe Uhrthurm, die Torre nueva,
312 castilische Fuss hoch, dessen wunderliche Ornamentik
daran erinnert, dass bei dem Bau Christen, Juden und Mauren,
fünf Baumeister, zusammenwirkten. Es folgt S. Pablo mit dem
schlanken gothischen Campanile; endlich ausserhalb der Stadt-
mauer der massige Würfel des maurischen Schlosses Aljafería,
wo Elisabeth die Heilige von Portugal 1271 geboren wurde. —

Da hier nur mit Ziegeln gebaut wird, so hat alles einen
fahlen staubigen Ton, nüchtern, aber in Uebereinstimmung
mit dem Grundton des Ernstes. Nichts wüsteres, unwirthlicheres
als diese Ebrogestade. Kein Baum, keine Quaimauern ver-
hüllen die lehmige Kahlheit. Aber hier, wo Bivouaks wüster
Lanzknechte hinpassten, ist eine fremde bunte Gesellschaft her-
gezaubert, deren malerische Trachten, höfische und bäurisch-
nationale, den Blumenflor ersetzen. Ein Theil hält sich unten
am Wasser auf; die Hauptpersonen aber oben, wahrscheinlich
im Garten des Klosters, den eine Mauer mit verfallener Brüstung
von dem Paseo abgrenzt. Sie stehen in Gruppen beisammen,
oder sitzen, die Damen alle, auf Teppichen, im Gras; oder be-
wegen sich langsam nach der Anlände herab. Alle die ihr Ge-
sicht zeigen sind Bildnisse; einige erinnern an Figuren der
Jagden und der Louvrestudie. Links bemerkt man einen hohen
Geistlichen. Sehr in die Augen fallend steht ein junger, blonder
Kavalier in starrem rothem Mantel, in die Ferne sehend, isolirt,
neben ihm Pferd und Stallmeister. Der Kopf war offenbar ab-
sichtlich beschädigt, ausgekratzt worden, und musste neugemalt
werden. Zu vorderst in der Ecke links sitzt eine schmucke
Hökersfrau in Provincialtracht, weiten weissen Aermeln, blauem
Rock und eine Rose am Busen, sie verkauft Pfirsiche. Von
Personen „ohne Geburt“ und Rang geniessen nur Bettler das
Vorrecht sich hier sehen zu lassen. Da ist der esprit Callots,
die Wahrheit und Mannigfaltigkeit Hogarths und die vornehmen

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[144/0164] Fünftes Buch. Dahinter ragt die Seo mit dem durch hölzerne Aufsätze verun- stalteten Cimborio. Auf der anderen Seite des Thors erblickt man das städtische Consistorium und die damit verbundene grossartige 1551 vollendete Börse (Lonja), kenntlich an den vier Eckthürmchen. Zu dem heiteren barocken Bau der Pilar ist erst 1686 der Grundstein gelegt worden: an ihrer Stelle steht noch die bescheidene einschiffige Sa. Maria la Mayor, von deren weitem Claustro und Kapelle man die äussere Schaale sieht. Weiter nach Osten erhebt sich neben S. Felipe mit seinen drei Fas- sadenthürmen der gewaltige schiefe Uhrthurm, die Torre nueva, 312 castilische Fuss hoch, dessen wunderliche Ornamentik daran erinnert, dass bei dem Bau Christen, Juden und Mauren, fünf Baumeister, zusammenwirkten. Es folgt S. Pablo mit dem schlanken gothischen Campanile; endlich ausserhalb der Stadt- mauer der massige Würfel des maurischen Schlosses Aljafería, wo Elisabeth die Heilige von Portugal 1271 geboren wurde. — Da hier nur mit Ziegeln gebaut wird, so hat alles einen fahlen staubigen Ton, nüchtern, aber in Uebereinstimmung mit dem Grundton des Ernstes. Nichts wüsteres, unwirthlicheres als diese Ebrogestade. Kein Baum, keine Quaimauern ver- hüllen die lehmige Kahlheit. Aber hier, wo Bivouaks wüster Lanzknechte hinpassten, ist eine fremde bunte Gesellschaft her- gezaubert, deren malerische Trachten, höfische und bäurisch- nationale, den Blumenflor ersetzen. Ein Theil hält sich unten am Wasser auf; die Hauptpersonen aber oben, wahrscheinlich im Garten des Klosters, den eine Mauer mit verfallener Brüstung von dem Paseo abgrenzt. Sie stehen in Gruppen beisammen, oder sitzen, die Damen alle, auf Teppichen, im Gras; oder be- wegen sich langsam nach der Anlände herab. Alle die ihr Ge- sicht zeigen sind Bildnisse; einige erinnern an Figuren der Jagden und der Louvrestudie. Links bemerkt man einen hohen Geistlichen. Sehr in die Augen fallend steht ein junger, blonder Kavalier in starrem rothem Mantel, in die Ferne sehend, isolirt, neben ihm Pferd und Stallmeister. Der Kopf war offenbar ab- sichtlich beschädigt, ausgekratzt worden, und musste neugemalt werden. Zu vorderst in der Ecke links sitzt eine schmucke Hökersfrau in Provincialtracht, weiten weissen Aermeln, blauem Rock und eine Rose am Busen, sie verkauft Pfirsiche. Von Personen „ohne Geburt“ und Rang geniessen nur Bettler das Vorrecht sich hier sehen zu lassen. Da ist der esprit Callots, die Wahrheit und Mannigfaltigkeit Hogarths und die vornehmen

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/164>, abgerufen am 19.04.2024.