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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
Gemäldehandel in Venedig.

Unter den Hochgeborenen aller Nationen, welche damals
Venedig als einen der ersten europäischen Vergnügungsorte
aufsuchten, gab es nicht wenige, die für Gemälde Geld aus-
gaben. In diesem Artikel war die Königin der Meere der erste
Platz, auch weil die venezianische Schule im siebzehnten Jahr-
hundert in der allgemeinen Werthschätzung oben an stand. Den
Malern Italiens und des Auslands folgten die Potentaten: Carl I
von England, Philipp IV, Ferdinand II von Toscana, Christine
von Schweden, der Erzherzog Leopold Wilhelm, sie alle waren
am begierigsten nach venezianischen Gemälden. Um diese Zeit
erschienen dort persönlich der Herzog Franz II von Modena
(1648); der 23 jährige Anton Ulrich von Braunschweig (1656), der
Marchese Carl II von Mantua (1660), Schwager Ferdinand III.
Der holländische Maler Daniel Beck kam als Agent der schwe-
dischen Königin, er gab zu verstehn, sie habe hochfliegende
Pläne (concetti grandi). Man hörte von zwei Malern die der
Kaiser senden werde. "Von allen Seiten, sagt Marco Boschini,
dessen Gedicht dem Erzherzog Leopold gewidmet ist, kommen
die Jäger und spannen ihre Netze aus, ohne Maass das Gold
ausstreuend, unsre Kleinodien zu entführen:

Perche a sto muodo da tute le bande
ghe cazzadori, che le rede tende,
e che senza mesura l'oro spende,
e porta via ste zogie cusi grande.

Wenn jedoch Velazquez geglaubt hatte, dass man dort nur
mit vollem Beutel auf dem Platz zu erscheinen brauche, um An-
gebote von Tizians und Paolos zu bekommen, so täuschte er
sich. Die Sachen warteten nicht auf die Käufer; diese mussten
mit viel Geduld auf die Sachen warten. Von Tizian kam kaum
eine Historie mehr vor; ein Bildniss tauchte zuweilen auf und
erzielte, wenn mit Händen, 100 Dublonen, 200 Silberdukaten.
Ein solcher Doge (vielleicht Landi + 1545) war der Hauptmagnet
im Studio des Senators Landi, welches die Widman 1656 für
3200 Dukaten kauften.

Man musste dort leben, oder einen Agenten haben, halb
Liebhaber halb Kaufmann, von ungeheurer Erfahrung, der auf
der Wacht stand, die Finanzklemme eines Nobile, die Säcu-
larisirung eines Klosters, die Anwandlungen einer Aebtissin oder

Sechstes Buch.
Gemäldehandel in Venedig.

Unter den Hochgeborenen aller Nationen, welche damals
Venedig als einen der ersten europäischen Vergnügungsorte
aufsuchten, gab es nicht wenige, die für Gemälde Geld aus-
gaben. In diesem Artikel war die Königin der Meere der erste
Platz, auch weil die venezianische Schule im siebzehnten Jahr-
hundert in der allgemeinen Werthschätzung oben an stand. Den
Malern Italiens und des Auslands folgten die Potentaten: Carl I
von England, Philipp IV, Ferdinand II von Toscana, Christine
von Schweden, der Erzherzog Leopold Wilhelm, sie alle waren
am begierigsten nach venezianischen Gemälden. Um diese Zeit
erschienen dort persönlich der Herzog Franz II von Modena
(1648); der 23 jährige Anton Ulrich von Braunschweig (1656), der
Marchese Carl II von Mantua (1660), Schwager Ferdinand III.
Der holländische Maler Daniel Beck kam als Agent der schwe-
dischen Königin, er gab zu verstehn, sie habe hochfliegende
Pläne (concetti grandi). Man hörte von zwei Malern die der
Kaiser senden werde. „Von allen Seiten, sagt Marco Boschini,
dessen Gedicht dem Erzherzog Leopold gewidmet ist, kommen
die Jäger und spannen ihre Netze aus, ohne Maass das Gold
ausstreuend, unsre Kleinodien zu entführen:

Perche a sto muodo da tute le bande
ghè cazzadori, che le rede tende,
e che senza mesura l’oro spende,
e porta via ste zogie cusi grande.

Wenn jedoch Velazquez geglaubt hatte, dass man dort nur
mit vollem Beutel auf dem Platz zu erscheinen brauche, um An-
gebote von Tizians und Paolos zu bekommen, so täuschte er
sich. Die Sachen warteten nicht auf die Käufer; diese mussten
mit viel Geduld auf die Sachen warten. Von Tizian kam kaum
eine Historie mehr vor; ein Bildniss tauchte zuweilen auf und
erzielte, wenn mit Händen, 100 Dublonen, 200 Silberdukaten.
Ein solcher Doge (vielleicht Landi † 1545) war der Hauptmagnet
im Studio des Senators Landi, welches die Widman 1656 für
3200 Dukaten kauften.

Man musste dort leben, oder einen Agenten haben, halb
Liebhaber halb Kaufmann, von ungeheurer Erfahrung, der auf
der Wacht stand, die Finanzklemme eines Nobile, die Säcu-
larisirung eines Klosters, die Anwandlungen einer Aebtissin oder

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[158/0178] Sechstes Buch. Gemäldehandel in Venedig. Unter den Hochgeborenen aller Nationen, welche damals Venedig als einen der ersten europäischen Vergnügungsorte aufsuchten, gab es nicht wenige, die für Gemälde Geld aus- gaben. In diesem Artikel war die Königin der Meere der erste Platz, auch weil die venezianische Schule im siebzehnten Jahr- hundert in der allgemeinen Werthschätzung oben an stand. Den Malern Italiens und des Auslands folgten die Potentaten: Carl I von England, Philipp IV, Ferdinand II von Toscana, Christine von Schweden, der Erzherzog Leopold Wilhelm, sie alle waren am begierigsten nach venezianischen Gemälden. Um diese Zeit erschienen dort persönlich der Herzog Franz II von Modena (1648); der 23 jährige Anton Ulrich von Braunschweig (1656), der Marchese Carl II von Mantua (1660), Schwager Ferdinand III. Der holländische Maler Daniel Beck kam als Agent der schwe- dischen Königin, er gab zu verstehn, sie habe hochfliegende Pläne (concetti grandi). Man hörte von zwei Malern die der Kaiser senden werde. „Von allen Seiten, sagt Marco Boschini, dessen Gedicht dem Erzherzog Leopold gewidmet ist, kommen die Jäger und spannen ihre Netze aus, ohne Maass das Gold ausstreuend, unsre Kleinodien zu entführen: Perche a sto muodo da tute le bande ghè cazzadori, che le rede tende, e che senza mesura l’oro spende, e porta via ste zogie cusi grande. Wenn jedoch Velazquez geglaubt hatte, dass man dort nur mit vollem Beutel auf dem Platz zu erscheinen brauche, um An- gebote von Tizians und Paolos zu bekommen, so täuschte er sich. Die Sachen warteten nicht auf die Käufer; diese mussten mit viel Geduld auf die Sachen warten. Von Tizian kam kaum eine Historie mehr vor; ein Bildniss tauchte zuweilen auf und erzielte, wenn mit Händen, 100 Dublonen, 200 Silberdukaten. Ein solcher Doge (vielleicht Landi † 1545) war der Hauptmagnet im Studio des Senators Landi, welches die Widman 1656 für 3200 Dukaten kauften. Man musste dort leben, oder einen Agenten haben, halb Liebhaber halb Kaufmann, von ungeheurer Erfahrung, der auf der Wacht stand, die Finanzklemme eines Nobile, die Säcu- larisirung eines Klosters, die Anwandlungen einer Aebtissin oder

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/178>, abgerufen am 24.04.2024.