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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
scheinen will, wofern er nicht gewinnt, imponirt, indem er An-
erkennung nicht erbittet, sondern nimmt; man muss ihn als
Ganzes acceptiren, mit Lichtern und Schatten. Die starke In-
nervation des Willens stimmt alles zusammen, Fehler erscheinen
nicht als Fehler, sie scheinen, wie Shakespeare sagt, "der Frei-
heit Flecken". Ihr Selbstgefühl scheint Ueberlegenheit und regt
das Organ der Achtung an, wenigstens im harmlosen Spiegel-
bild der Kunst, welches Niemanden den Raum streitig macht.

Daher mag es kommen, so scheint mir, dass uns Velazquez
so bestrickt, wenn er "der Zeit den Spiegel vorhält", also dass
wir um seinetwillen fragen: Wer war Philipp, wer war Borja;
wie man um Tacitus willen sich noch immer für die wahn-
witzigen Cäsaren interessirt. Es ist nicht bloss die realistische
oder photographische Wahrheit, die Chronistentreue: man sehe,
was aus derselben Person unter andern, ebenso nüchternen,
aber weniger vornehmen Händen geworden ist. Hat er doch
selbst seinen Buffonen Würde gegeben, man hat sie, irregeführt
durch einen Namen, später für Feldherrn und Seeräuber gehalten.
Diese Posen (compostura) gemischt aus Stolz und Verstellung,
dieser sosiego, den die Italiener intonatura nannten, und durch
den sich jene Nation allen Nichtspaniern damals so wider-
wärtig machte, wirkt, wie vieles an sich abstossende, in der Kunst
anders als im Leben.

Die Bemerkung dürfte hier wol am Platze sein, dass man
sehr irren würde, wollte man sich die Spanier von dazumal auch
unter sich und im vertrauten Kreise mit diesen Mienen vor-
stellen. Schon Mynheer van Sommelsdyck machte die Bemerkung,
dass sie nur in der Menge, auf der Promenade, im Theater, so
äusserst gemessen, gravitätisch und verschlossen aussähen. Da
verwandeln sie sich, sagt Camillo Guidi, in Götter, und man
kann froh sein, wenige und dunkle Orakelsprüche aus ihnen her-
auszubekommen. Im vertraulichen Verkehr erschienen sie nicht
mehr dieselben Menschen, gradeso umgänglich, geschwätzig,
munter, leichtfertig, ausgelassen wie andre 1). Neuerdings hat
man behauptet, dass dieser sosiego erst seit ihrer Eroberer- und
Herrscherrolle in Italien und den Niederlanden aufgekommen
sei 2). --

1) F. Aarsens, Voyage d'Espagne. Paris 1665. p. 69.
2) Canovas de Castillo: vgl. Emil Hübner in der Deutschen Rundschau 1887.
S. 426.

Fünftes Buch.
scheinen will, wofern er nicht gewinnt, imponirt, indem er An-
erkennung nicht erbittet, sondern nimmt; man muss ihn als
Ganzes acceptiren, mit Lichtern und Schatten. Die starke In-
nervation des Willens stimmt alles zusammen, Fehler erscheinen
nicht als Fehler, sie scheinen, wie Shakespeare sagt, „der Frei-
heit Flecken“. Ihr Selbstgefühl scheint Ueberlegenheit und regt
das Organ der Achtung an, wenigstens im harmlosen Spiegel-
bild der Kunst, welches Niemanden den Raum streitig macht.

Daher mag es kommen, so scheint mir, dass uns Velazquez
so bestrickt, wenn er „der Zeit den Spiegel vorhält“, also dass
wir um seinetwillen fragen: Wer war Philipp, wer war Borja;
wie man um Tacitus willen sich noch immer für die wahn-
witzigen Cäsaren interessirt. Es ist nicht bloss die realistische
oder photographische Wahrheit, die Chronistentreue: man sehe,
was aus derselben Person unter andern, ebenso nüchternen,
aber weniger vornehmen Händen geworden ist. Hat er doch
selbst seinen Buffonen Würde gegeben, man hat sie, irregeführt
durch einen Namen, später für Feldherrn und Seeräuber gehalten.
Diese Posen (compostura) gemischt aus Stolz und Verstellung,
dieser sosiego, den die Italiener intonatura nannten, und durch
den sich jene Nation allen Nichtspaniern damals so wider-
wärtig machte, wirkt, wie vieles an sich abstossende, in der Kunst
anders als im Leben.

Die Bemerkung dürfte hier wol am Platze sein, dass man
sehr irren würde, wollte man sich die Spanier von dazumal auch
unter sich und im vertrauten Kreise mit diesen Mienen vor-
stellen. Schon Mynheer van Sommelsdyck machte die Bemerkung,
dass sie nur in der Menge, auf der Promenade, im Theater, so
äusserst gemessen, gravitätisch und verschlossen aussähen. Da
verwandeln sie sich, sagt Camillo Guidi, in Götter, und man
kann froh sein, wenige und dunkle Orakelsprüche aus ihnen her-
auszubekommen. Im vertraulichen Verkehr erschienen sie nicht
mehr dieselben Menschen, gradeso umgänglich, geschwätzig,
munter, leichtfertig, ausgelassen wie andre 1). Neuerdings hat
man behauptet, dass dieser sosiego erst seit ihrer Eroberer- und
Herrscherrolle in Italien und den Niederlanden aufgekommen
sei 2). —

1) F. Aarsens, Voyage d’Espagne. Paris 1665. p. 69.
2) Canovas de Castillo: vgl. Emil Hübner in der Deutschen Rundschau 1887.
S. 426.
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[8/0028] Fünftes Buch. scheinen will, wofern er nicht gewinnt, imponirt, indem er An- erkennung nicht erbittet, sondern nimmt; man muss ihn als Ganzes acceptiren, mit Lichtern und Schatten. Die starke In- nervation des Willens stimmt alles zusammen, Fehler erscheinen nicht als Fehler, sie scheinen, wie Shakespeare sagt, „der Frei- heit Flecken“. Ihr Selbstgefühl scheint Ueberlegenheit und regt das Organ der Achtung an, wenigstens im harmlosen Spiegel- bild der Kunst, welches Niemanden den Raum streitig macht. Daher mag es kommen, so scheint mir, dass uns Velazquez so bestrickt, wenn er „der Zeit den Spiegel vorhält“, also dass wir um seinetwillen fragen: Wer war Philipp, wer war Borja; wie man um Tacitus willen sich noch immer für die wahn- witzigen Cäsaren interessirt. Es ist nicht bloss die realistische oder photographische Wahrheit, die Chronistentreue: man sehe, was aus derselben Person unter andern, ebenso nüchternen, aber weniger vornehmen Händen geworden ist. Hat er doch selbst seinen Buffonen Würde gegeben, man hat sie, irregeführt durch einen Namen, später für Feldherrn und Seeräuber gehalten. Diese Posen (compostura) gemischt aus Stolz und Verstellung, dieser sosiego, den die Italiener intonatura nannten, und durch den sich jene Nation allen Nichtspaniern damals so wider- wärtig machte, wirkt, wie vieles an sich abstossende, in der Kunst anders als im Leben. Die Bemerkung dürfte hier wol am Platze sein, dass man sehr irren würde, wollte man sich die Spanier von dazumal auch unter sich und im vertrauten Kreise mit diesen Mienen vor- stellen. Schon Mynheer van Sommelsdyck machte die Bemerkung, dass sie nur in der Menge, auf der Promenade, im Theater, so äusserst gemessen, gravitätisch und verschlossen aussähen. Da verwandeln sie sich, sagt Camillo Guidi, in Götter, und man kann froh sein, wenige und dunkle Orakelsprüche aus ihnen her- auszubekommen. Im vertraulichen Verkehr erschienen sie nicht mehr dieselben Menschen, gradeso umgänglich, geschwätzig, munter, leichtfertig, ausgelassen wie andre 1). Neuerdings hat man behauptet, dass dieser sosiego erst seit ihrer Eroberer- und Herrscherrolle in Italien und den Niederlanden aufgekommen sei 2). — 1) F. Aarsens, Voyage d’Espagne. Paris 1665. p. 69. 2) Canovas de Castillo: vgl. Emil Hübner in der Deutschen Rundschau 1887. S. 426.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/28>, abgerufen am 25.04.2024.