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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
standen; man erkennt sie noch heute wieder unter dem Bauern-
stand, diesem Conservatorium unverfälschter Nationaltypen. Aber
ihre Lösung aus der noch spröden Schale befangener Darstellung
ist im klassischen Jahrhundert unterblieben. Die Vornehmheit
des italienisirenden Geschmacks der Vargas, Cespedes, Juanes,
Becerra u. a. gestattete nur den "allgemeinen Formen" Bürger-
recht; jede Erinnerung an Volksthümliches, Lokales, galt künst-
lerisch für vulgär, kirchlich für profan. Pacheco spricht mit
ironischer Anerkennung von den natürlichen Reizen des anda-
lusischen Landmädchens (B. I, 96 f) und erhebt den Zauber der
Damen mit Goldhaaren und Saphiraugen; nicht in den reichen
Schachten des Volks fand man das Gold der Schönheit, sondern
in den fremden klassischen Meistern. Montannes, des letzten
Idealisten Sevilla's, edle heilige Frauenstatuen sind sogar von der
Antike berührt; aber seine Kunst ist zum Individuellen nicht her-
abgestiegen. Bis tief in das siebzehnte Jahrhundert blieb nationale
Frauenschönheit Malern und Bildhauern meist verschlossen.

Erst der Naturalismus hat es wieder gewagt, echte Spanierin-
nen auf die Leinwand zu bringen, anfangs mit unsicherem Ge-
schmack. Des Greco toledanische Frauen- und Kinderköpfe von un-
beschreiblichem melancholischem Zauber haben die Laien entzückt,
aber sie fanden keine Nachahmer. Zurbaran's wunderliche, halb
modisch, halb phantastisch aufgeputzte Santas mit ihren klein-
lichen Köpfchen von harten Linien und spitzen Zügen, sind nach
Modellen der niedrigen, schwarzäugigen Volksklasse wörtlich
übertragen. Alonso Cano fand nur gelegentlich echte Schön-
heit; aber sein Schüler Fray Atanasio, genannt Bocanegra, hat
sich ein südspanisches Ideal ersonnen, von feinem Oval, gross-
äugig, kindlich-rein, träumerisch. Jeder weiss, dass es Murillo
vorbehalten war, die eigenthümlichen Reize der spanischen Rasse
und ihre Bestimmung für die höchsten Aufgaben der national-
kirchlichen Kunst zu entdecken. Seine Gemälde sind voll von
Bildnisselementen; die Madonna des Palastes Corsini, die heil.
Justa und Rufina in Sutherland House und im Museum zu Se-
villa zeigen seine Modelle am unverfälschtesten. Aber so ein
grosser Porträtmaler er sein konnte, wie das Bildniss des D. Ju-
stino Neve in Bowood beweist, von Frauenporträts kennen wir
seltsamer Weise nur jene leichtfertig verlockende Bewohnerin
der Triana in Heytesbury House.

Jetzt nun, sollte man denken, war das Zeitalter der Frauen-
bildnisse gekommen. Aber es fehlte den Malern Freiheit in

Fünftes Buch.
standen; man erkennt sie noch heute wieder unter dem Bauern-
stand, diesem Conservatorium unverfälschter Nationaltypen. Aber
ihre Lösung aus der noch spröden Schale befangener Darstellung
ist im klassischen Jahrhundert unterblieben. Die Vornehmheit
des italienisirenden Geschmacks der Vargas, Cespedes, Juanes,
Becerra u. a. gestattete nur den „allgemeinen Formen“ Bürger-
recht; jede Erinnerung an Volksthümliches, Lokales, galt künst-
lerisch für vulgär, kirchlich für profan. Pacheco spricht mit
ironischer Anerkennung von den natürlichen Reizen des anda-
lusischen Landmädchens (B. I, 96 f) und erhebt den Zauber der
Damen mit Goldhaaren und Saphiraugen; nicht in den reichen
Schachten des Volks fand man das Gold der Schönheit, sondern
in den fremden klassischen Meistern. Montañes, des letzten
Idealisten Sevilla’s, edle heilige Frauenstatuen sind sogar von der
Antike berührt; aber seine Kunst ist zum Individuellen nicht her-
abgestiegen. Bis tief in das siebzehnte Jahrhundert blieb nationale
Frauenschönheit Malern und Bildhauern meist verschlossen.

Erst der Naturalismus hat es wieder gewagt, echte Spanierin-
nen auf die Leinwand zu bringen, anfangs mit unsicherem Ge-
schmack. Des Greco toledanische Frauen- und Kinderköpfe von un-
beschreiblichem melancholischem Zauber haben die Laien entzückt,
aber sie fanden keine Nachahmer. Zurbaran’s wunderliche, halb
modisch, halb phantastisch aufgeputzte Santas mit ihren klein-
lichen Köpfchen von harten Linien und spitzen Zügen, sind nach
Modellen der niedrigen, schwarzäugigen Volksklasse wörtlich
übertragen. Alonso Cano fand nur gelegentlich echte Schön-
heit; aber sein Schüler Fray Atanasio, genannt Bocanegra, hat
sich ein südspanisches Ideal ersonnen, von feinem Oval, gross-
äugig, kindlich-rein, träumerisch. Jeder weiss, dass es Murillo
vorbehalten war, die eigenthümlichen Reize der spanischen Rasse
und ihre Bestimmung für die höchsten Aufgaben der national-
kirchlichen Kunst zu entdecken. Seine Gemälde sind voll von
Bildnisselementen; die Madonna des Palastes Corsini, die heil.
Justa und Rufina in Sutherland House und im Museum zu Se-
villa zeigen seine Modelle am unverfälschtesten. Aber so ein
grosser Porträtmaler er sein konnte, wie das Bildniss des D. Ju-
stino Neve in Bowood beweist, von Frauenporträts kennen wir
seltsamer Weise nur jene leichtfertig verlockende Bewohnerin
der Triana in Heytesbury House.

Jetzt nun, sollte man denken, war das Zeitalter der Frauen-
bildnisse gekommen. Aber es fehlte den Malern Freiheit in

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[20/0040] Fünftes Buch. standen; man erkennt sie noch heute wieder unter dem Bauern- stand, diesem Conservatorium unverfälschter Nationaltypen. Aber ihre Lösung aus der noch spröden Schale befangener Darstellung ist im klassischen Jahrhundert unterblieben. Die Vornehmheit des italienisirenden Geschmacks der Vargas, Cespedes, Juanes, Becerra u. a. gestattete nur den „allgemeinen Formen“ Bürger- recht; jede Erinnerung an Volksthümliches, Lokales, galt künst- lerisch für vulgär, kirchlich für profan. Pacheco spricht mit ironischer Anerkennung von den natürlichen Reizen des anda- lusischen Landmädchens (B. I, 96 f) und erhebt den Zauber der Damen mit Goldhaaren und Saphiraugen; nicht in den reichen Schachten des Volks fand man das Gold der Schönheit, sondern in den fremden klassischen Meistern. Montañes, des letzten Idealisten Sevilla’s, edle heilige Frauenstatuen sind sogar von der Antike berührt; aber seine Kunst ist zum Individuellen nicht her- abgestiegen. Bis tief in das siebzehnte Jahrhundert blieb nationale Frauenschönheit Malern und Bildhauern meist verschlossen. Erst der Naturalismus hat es wieder gewagt, echte Spanierin- nen auf die Leinwand zu bringen, anfangs mit unsicherem Ge- schmack. Des Greco toledanische Frauen- und Kinderköpfe von un- beschreiblichem melancholischem Zauber haben die Laien entzückt, aber sie fanden keine Nachahmer. Zurbaran’s wunderliche, halb modisch, halb phantastisch aufgeputzte Santas mit ihren klein- lichen Köpfchen von harten Linien und spitzen Zügen, sind nach Modellen der niedrigen, schwarzäugigen Volksklasse wörtlich übertragen. Alonso Cano fand nur gelegentlich echte Schön- heit; aber sein Schüler Fray Atanasio, genannt Bocanegra, hat sich ein südspanisches Ideal ersonnen, von feinem Oval, gross- äugig, kindlich-rein, träumerisch. Jeder weiss, dass es Murillo vorbehalten war, die eigenthümlichen Reize der spanischen Rasse und ihre Bestimmung für die höchsten Aufgaben der national- kirchlichen Kunst zu entdecken. Seine Gemälde sind voll von Bildnisselementen; die Madonna des Palastes Corsini, die heil. Justa und Rufina in Sutherland House und im Museum zu Se- villa zeigen seine Modelle am unverfälschtesten. Aber so ein grosser Porträtmaler er sein konnte, wie das Bildniss des D. Ju- stino Neve in Bowood beweist, von Frauenporträts kennen wir seltsamer Weise nur jene leichtfertig verlockende Bewohnerin der Triana in Heytesbury House. Jetzt nun, sollte man denken, war das Zeitalter der Frauen- bildnisse gekommen. Aber es fehlte den Malern Freiheit in

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/40>, abgerufen am 19.04.2024.