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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Reise nach den Pyrenäen.
gemalte aller seiner Bilder, ganz im ersten Anlauf beendet und
dann nicht mehr berührt. Alle Wirkungen sind erreicht mit
einem kleinsten von Kraft- und Stoffaufwand. Auf feiner Lein-
wand, über gelblich-weissen Grund sind einige, hauptsächlich
blaue und braune Tinten, dünn gelegt; damit ist erreicht, was
man heute durch unendliche Lasuren oder Auftrag mit dem
Spatel kaum fertig bringt. Das merkwürdige aber ist, in dieser
Körperlosigkeit, die Formenbestimmtheit, von den Figuren und
Draperien bis auf die Sträucher. Die Zeichnung schwebt hinter
der wie hingeblasenen Farbe, als sähe man ins Weite durch eine
dünne Gaze.

Die Reise nach den Pyrenäen.

Die letzte Leistung des Velazquez war keine Arbeit des
pintor de camara, sondern des Schlossmarschalls. Die Zusammen-
kunft der spanischen und französischen Königsfamilien nach dem
Abschluss des Pyrenäenfriedens auf dem Inselchen des Grenz-
flusses Bidasoa, die Begegnung des abwärtsneigenden Philipp
mit dem aufsteigenden Ludwig XIV, der einst soviel Unheil
über sein Reich bringen sollte, und mit seiner Schwester Anna,
die er seit 45 Jahren nicht gesehn, ist von französischen Federn
mit bekannter Meisterschaft beschrieben und auch von französi-
schen Malern dargestellt worden. Von spanischer Seite haben
wir nichts als eine jener Reiserelationen (Viage) 1), die beson-
ders geographischen Werth haben. Dort sieht man mit den
Augen der Eingeweihten und hört was die höchsten Personen
in intimen Momenten gesagt und geflüstert haben; hier be-
wegt man sich durchaus im Gesichtskreis eines Hoffouriers.
Doch wenn Spanien keine Memoirenschreiber besass, so war
dafür ein Maler mit dabei, dem die Nachwelt mehr zutraut als
Charles Lebrun. Aber seinem Herrn scheint nicht eingefallen
zu sein (wie dessen Gesandten Pennaranda vor zwölf Jahren, als
er Terburg den Schwur der holländischen Unabhängigkeit malen
liess), dass hier ein Monument der Historienmalerei von einem
Wort seines Mundes abhänge. Don Diego hatte es sich selbst
zuzuschreiben, wenn ihm nun die Rolle zufiel, statt hier Skizzen
zu sammeln, als Reisemarschall mit seinen Untergebenen voran-

1) Viage del Rey N. S. D. Filipe Quarto el Grande a la frontera de Francia
p. D. Leonardo del Castillo. Madrid 1667. 40.

Die Reise nach den Pyrenäen.
gemalte aller seiner Bilder, ganz im ersten Anlauf beendet und
dann nicht mehr berührt. Alle Wirkungen sind erreicht mit
einem kleinsten von Kraft- und Stoffaufwand. Auf feiner Lein-
wand, über gelblich-weissen Grund sind einige, hauptsächlich
blaue und braune Tinten, dünn gelegt; damit ist erreicht, was
man heute durch unendliche Lasuren oder Auftrag mit dem
Spatel kaum fertig bringt. Das merkwürdige aber ist, in dieser
Körperlosigkeit, die Formenbestimmtheit, von den Figuren und
Draperien bis auf die Sträucher. Die Zeichnung schwebt hinter
der wie hingeblasenen Farbe, als sähe man ins Weite durch eine
dünne Gaze.

Die Reise nach den Pyrenäen.

Die letzte Leistung des Velazquez war keine Arbeit des
pintor de cámara, sondern des Schlossmarschalls. Die Zusammen-
kunft der spanischen und französischen Königsfamilien nach dem
Abschluss des Pyrenäenfriedens auf dem Inselchen des Grenz-
flusses Bidasoa, die Begegnung des abwärtsneigenden Philipp
mit dem aufsteigenden Ludwig XIV, der einst soviel Unheil
über sein Reich bringen sollte, und mit seiner Schwester Anna,
die er seit 45 Jahren nicht gesehn, ist von französischen Federn
mit bekannter Meisterschaft beschrieben und auch von französi-
schen Malern dargestellt worden. Von spanischer Seite haben
wir nichts als eine jener Reiserelationen (Viage) 1), die beson-
ders geographischen Werth haben. Dort sieht man mit den
Augen der Eingeweihten und hört was die höchsten Personen
in intimen Momenten gesagt und geflüstert haben; hier be-
wegt man sich durchaus im Gesichtskreis eines Hoffouriers.
Doch wenn Spanien keine Memoirenschreiber besass, so war
dafür ein Maler mit dabei, dem die Nachwelt mehr zutraut als
Charles Lebrun. Aber seinem Herrn scheint nicht eingefallen
zu sein (wie dessen Gesandten Peñaranda vor zwölf Jahren, als
er Terburg den Schwur der holländischen Unabhängigkeit malen
liess), dass hier ein Monument der Historienmalerei von einem
Wort seines Mundes abhänge. Don Diego hatte es sich selbst
zuzuschreiben, wenn ihm nun die Rolle zufiel, statt hier Skizzen
zu sammeln, als Reisemarschall mit seinen Untergebenen voran-

1) Viage del Rey N. S. D. Filipe Quarto el Grande á la frontera de Francia
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[381/0407] Die Reise nach den Pyrenäen. gemalte aller seiner Bilder, ganz im ersten Anlauf beendet und dann nicht mehr berührt. Alle Wirkungen sind erreicht mit einem kleinsten von Kraft- und Stoffaufwand. Auf feiner Lein- wand, über gelblich-weissen Grund sind einige, hauptsächlich blaue und braune Tinten, dünn gelegt; damit ist erreicht, was man heute durch unendliche Lasuren oder Auftrag mit dem Spatel kaum fertig bringt. Das merkwürdige aber ist, in dieser Körperlosigkeit, die Formenbestimmtheit, von den Figuren und Draperien bis auf die Sträucher. Die Zeichnung schwebt hinter der wie hingeblasenen Farbe, als sähe man ins Weite durch eine dünne Gaze. Die Reise nach den Pyrenäen. Die letzte Leistung des Velazquez war keine Arbeit des pintor de cámara, sondern des Schlossmarschalls. Die Zusammen- kunft der spanischen und französischen Königsfamilien nach dem Abschluss des Pyrenäenfriedens auf dem Inselchen des Grenz- flusses Bidasoa, die Begegnung des abwärtsneigenden Philipp mit dem aufsteigenden Ludwig XIV, der einst soviel Unheil über sein Reich bringen sollte, und mit seiner Schwester Anna, die er seit 45 Jahren nicht gesehn, ist von französischen Federn mit bekannter Meisterschaft beschrieben und auch von französi- schen Malern dargestellt worden. Von spanischer Seite haben wir nichts als eine jener Reiserelationen (Viage) 1), die beson- ders geographischen Werth haben. Dort sieht man mit den Augen der Eingeweihten und hört was die höchsten Personen in intimen Momenten gesagt und geflüstert haben; hier be- wegt man sich durchaus im Gesichtskreis eines Hoffouriers. Doch wenn Spanien keine Memoirenschreiber besass, so war dafür ein Maler mit dabei, dem die Nachwelt mehr zutraut als Charles Lebrun. Aber seinem Herrn scheint nicht eingefallen zu sein (wie dessen Gesandten Peñaranda vor zwölf Jahren, als er Terburg den Schwur der holländischen Unabhängigkeit malen liess), dass hier ein Monument der Historienmalerei von einem Wort seines Mundes abhänge. Don Diego hatte es sich selbst zuzuschreiben, wenn ihm nun die Rolle zufiel, statt hier Skizzen zu sammeln, als Reisemarschall mit seinen Untergebenen voran- 1) Viage del Rey N. S. D. Filipe Quarto el Grande á la frontera de Francia p. D. Leonardo del Castillo. Madrid 1667. 40.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/407>, abgerufen am 29.03.2024.