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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Ende.
Gemälde der Meninas, ist auch das der Sacra Forma das Fac-
simile eines Augenblicks. Auch es besteht aus lauter wolge-
troffenen Bildnissen, man hat deren fünfzig gezählt. Es giebt
ein treues perspektivisches Bild desselben Raums für den es be-
stimmt war und wo wir es noch heute sehen, mit dem Blick durch
die offene Thür; die Personen ordnen sich, treten hintereinander
zurück, wie dort; nur herrscht das eigenthümliche Licht eines von
zwanzig Kerzen erhellten Raums, in den zugleich durch Seiten-
fenster das Tageslicht einbricht, von reichen Priestergewändern
zurückgestrahlt. Die strenge Gebundenheit, welche die Darstellung
einer solchen Kirchen- und Hofcerimonie der Phantasie des
Malers auferlegte, die völlige Enthaltung von den ihm geläu-
figen Compositionsformen (sie ist so gross, dass man ihn in
dem Bilde kaum wiedererkennt), diese Selbstverläugnung hat
ihm keineswegs geschadet. Drei Jahre hat er damit zuge-
bracht. Die Wirkung ist wie in jenem Meisterwerk des Velaz-
quez: es ist als sähe man durch ein Fernrohr der Zeiten.

Aber was für eine Zeit war das, in welcher diese Perrücken-
köpfe und Priester den Letzten der alten Dynastie umstan-
den? Das Reich war auf einen Grad der Ohnmacht herabge-
sunken, der verglichen mit seiner Grösse noch vor einem Jahr-
hundert, beispiellos ist in der neuern Geschichte. Tief ge-
fallen war das einst übermächtige Volk, früher der Schrecken
Europa's, "dessen blosser Name siegreich stritt", war es nun
dessen Spott geworden. Wo waren seine grossen Capitäne,
seine herrschgewaltigen Kardinäle, seine Conquistadoren, seine
Dichter? Das Reich, in dem die Sonne nicht unterging, eilte
selbst seinem Untergang entgegen. An der Spitze des morschen
Baus stand die Gestalt, die hier im Gemälde Coello's kniet,
ihr schwacher Lebensfaden hielt allein noch die Reiche zusammen.
Da kniet er noch heute an derselben Stelle, wie im Jahre 1684,
sechzehn Jahre ehe er in das Pantheon seiner Ahnen hinabstieg.
Auch bei Lebzeiten hat er sich wie sein Vater hinunterbegeben,
angezogen von der Verwesung, um sich die Gesellschaft anzu-
sehn, die ihn bald in ihre Mitte aufnehmen sollte:

Nun bin ich vor dem Tod den Todten gleich,
Und fall' in Trümmer, wie das alte Reich.

Zweihundert Jahre sind vergangen, aber dieser Staat hat sich
aus seiner Ohnmacht nicht wieder erhoben. Nur neue Zerstö-
rungskräfte sind in seinen Körper eingedrungen. Die Klöster

Ende.
Gemälde der Meninas, ist auch das der Sacra Forma das Fac-
simile eines Augenblicks. Auch es besteht aus lauter wolge-
troffenen Bildnissen, man hat deren fünfzig gezählt. Es giebt
ein treues perspektivisches Bild desselben Raums für den es be-
stimmt war und wo wir es noch heute sehen, mit dem Blick durch
die offene Thür; die Personen ordnen sich, treten hintereinander
zurück, wie dort; nur herrscht das eigenthümliche Licht eines von
zwanzig Kerzen erhellten Raums, in den zugleich durch Seiten-
fenster das Tageslicht einbricht, von reichen Priestergewändern
zurückgestrahlt. Die strenge Gebundenheit, welche die Darstellung
einer solchen Kirchen- und Hofcerimonie der Phantasie des
Malers auferlegte, die völlige Enthaltung von den ihm geläu-
figen Compositionsformen (sie ist so gross, dass man ihn in
dem Bilde kaum wiedererkennt), diese Selbstverläugnung hat
ihm keineswegs geschadet. Drei Jahre hat er damit zuge-
bracht. Die Wirkung ist wie in jenem Meisterwerk des Velaz-
quez: es ist als sähe man durch ein Fernrohr der Zeiten.

Aber was für eine Zeit war das, in welcher diese Perrücken-
köpfe und Priester den Letzten der alten Dynastie umstan-
den? Das Reich war auf einen Grad der Ohnmacht herabge-
sunken, der verglichen mit seiner Grösse noch vor einem Jahr-
hundert, beispiellos ist in der neuern Geschichte. Tief ge-
fallen war das einst übermächtige Volk, früher der Schrecken
Europa’s, „dessen blosser Name siegreich stritt“, war es nun
dessen Spott geworden. Wo waren seine grossen Capitäne,
seine herrschgewaltigen Kardinäle, seine Conquistadoren, seine
Dichter? Das Reich, in dem die Sonne nicht unterging, eilte
selbst seinem Untergang entgegen. An der Spitze des morschen
Baus stand die Gestalt, die hier im Gemälde Coello’s kniet,
ihr schwacher Lebensfaden hielt allein noch die Reiche zusammen.
Da kniet er noch heute an derselben Stelle, wie im Jahre 1684,
sechzehn Jahre ehe er in das Pantheon seiner Ahnen hinabstieg.
Auch bei Lebzeiten hat er sich wie sein Vater hinunterbegeben,
angezogen von der Verwesung, um sich die Gesellschaft anzu-
sehn, die ihn bald in ihre Mitte aufnehmen sollte:

Nun bin ich vor dem Tod den Todten gleich,
Und fall’ in Trümmer, wie das alte Reich.

Zweihundert Jahre sind vergangen, aber dieser Staat hat sich
aus seiner Ohnmacht nicht wieder erhoben. Nur neue Zerstö-
rungskräfte sind in seinen Körper eingedrungen. Die Klöster

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[393/0419] Ende. Gemälde der Meninas, ist auch das der Sacra Forma das Fac- simile eines Augenblicks. Auch es besteht aus lauter wolge- troffenen Bildnissen, man hat deren fünfzig gezählt. Es giebt ein treues perspektivisches Bild desselben Raums für den es be- stimmt war und wo wir es noch heute sehen, mit dem Blick durch die offene Thür; die Personen ordnen sich, treten hintereinander zurück, wie dort; nur herrscht das eigenthümliche Licht eines von zwanzig Kerzen erhellten Raums, in den zugleich durch Seiten- fenster das Tageslicht einbricht, von reichen Priestergewändern zurückgestrahlt. Die strenge Gebundenheit, welche die Darstellung einer solchen Kirchen- und Hofcerimonie der Phantasie des Malers auferlegte, die völlige Enthaltung von den ihm geläu- figen Compositionsformen (sie ist so gross, dass man ihn in dem Bilde kaum wiedererkennt), diese Selbstverläugnung hat ihm keineswegs geschadet. Drei Jahre hat er damit zuge- bracht. Die Wirkung ist wie in jenem Meisterwerk des Velaz- quez: es ist als sähe man durch ein Fernrohr der Zeiten. Aber was für eine Zeit war das, in welcher diese Perrücken- köpfe und Priester den Letzten der alten Dynastie umstan- den? Das Reich war auf einen Grad der Ohnmacht herabge- sunken, der verglichen mit seiner Grösse noch vor einem Jahr- hundert, beispiellos ist in der neuern Geschichte. Tief ge- fallen war das einst übermächtige Volk, früher der Schrecken Europa’s, „dessen blosser Name siegreich stritt“, war es nun dessen Spott geworden. Wo waren seine grossen Capitäne, seine herrschgewaltigen Kardinäle, seine Conquistadoren, seine Dichter? Das Reich, in dem die Sonne nicht unterging, eilte selbst seinem Untergang entgegen. An der Spitze des morschen Baus stand die Gestalt, die hier im Gemälde Coello’s kniet, ihr schwacher Lebensfaden hielt allein noch die Reiche zusammen. Da kniet er noch heute an derselben Stelle, wie im Jahre 1684, sechzehn Jahre ehe er in das Pantheon seiner Ahnen hinabstieg. Auch bei Lebzeiten hat er sich wie sein Vater hinunterbegeben, angezogen von der Verwesung, um sich die Gesellschaft anzu- sehn, die ihn bald in ihre Mitte aufnehmen sollte: Nun bin ich vor dem Tod den Todten gleich, Und fall’ in Trümmer, wie das alte Reich. Zweihundert Jahre sind vergangen, aber dieser Staat hat sich aus seiner Ohnmacht nicht wieder erhoben. Nur neue Zerstö- rungskräfte sind in seinen Körper eingedrungen. Die Klöster

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/419>, abgerufen am 28.03.2024.