Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Frauenbildnisse.
men, und sie gehören einer fremdländischen Rasse an. Meist
können sie weder durch Schönheit noch durch Anmuth oder gei-
stige Bedeutung Interesse erwecken.

Bei der ersten Königin, Isabella von Bourbon, der vereh-
rungswürdigsten unter allen Frauen dieser Zeit, scheint dem
Maler die Freiheit des Studiums gefehlt zu haben, sie sass nur
mit Widerstreben; die zweite, sehr unbedeutende Marianne von
Oesterreich wird mit jedem Jahre abstossender. Zu jener grund-
sätzlichen Vermeidung jedes Scheins von Liebenswürdigkeit ge-
sellt sich eine, die Formen unterdrückende Modetracht, die leider
gerade damals alles bisher Dagewesene in ungeheuerlicher Ent-
stellung der menschlichen Gestalt überflügelte 1). Da nun des
Malers Wahrheitsliebe dies Alles keineswegs milderte, ja mit
einer mehr dem Culturhistoriker als dem Künstler wünschens-
werthen Bestimmtheit betonte, so kann freilich seine Damengalerie
kaum Enthusiasten finden. Aber sollte er in der Art der Mig-
nard und Lely die Natur nach einer Modeformel verbessern?
Und war solchen Modellen und so starrer Etikette gegenüber
nicht jede Kunst machtlos? Auch ein Schönheitsmaler, wie Mengs,
hat unter seinen Porträts den hässlichsten Frauenkopf, der je eine
Krone getragen, die Kurfürstin Maria Josepha. Würde Velaz-
quez sich nicht bessern Vorbildern gegenüber in anderem Lichte
gezeigt haben? Ich glaube, man kann diese Frage bejahen, wenn
man die Thatsachen nicht zählt, sondern wägt, d. h. die wenigen
Bildnisse echter Spanierinnen die von ihm bis jetzt bekannt sind
-- es sind nur drei -- aufmerksam betrachtet.

Leider sind alle drei Unbekannte! Sie sind und bleiben
Räthsel; nur dass die ungelösten Räthsel der Kunst doch auch
wieder sonnenklar sind und keiner Auflösung bedürfen.

Jene einzige spanische Dame der Madrider Galerie (Nr. 1089,
0,92 x 0,39) und die frühste von den Dreien ist die Sibylle.
Sie taucht zuerst in dem Inventar von San Ildefonso aus Carl III
Zeit (1774) auf, als die Dame, welche eine Tafel vor sich hält 2).
Dass sie die Frau des Malers vorstellt, ist möglich, aber noch
durch nichts wahrscheinlich gemacht, denn Aehnlichkeit mit einer
der Frauen im Wiener Familienbild ist kaum vorhanden.

1) Auch Calderon weiss, dass Etikette und Mode der Schönheit nachtheilig
sind. El precepto la hermosura no aumenta. Er rühmt die aufgelösten Haare, in
der "Tochter der Luft": Son hermosos sin obediencia.
2) Im achten Zimmer des Cuarto bajo. Retrato de una muger de perfil. 1774.
con una tabla en la mano 1794. Taxirt 300 Realen.

Frauenbildnisse.
men, und sie gehören einer fremdländischen Rasse an. Meist
können sie weder durch Schönheit noch durch Anmuth oder gei-
stige Bedeutung Interesse erwecken.

Bei der ersten Königin, Isabella von Bourbon, der vereh-
rungswürdigsten unter allen Frauen dieser Zeit, scheint dem
Maler die Freiheit des Studiums gefehlt zu haben, sie sass nur
mit Widerstreben; die zweite, sehr unbedeutende Marianne von
Oesterreich wird mit jedem Jahre abstossender. Zu jener grund-
sätzlichen Vermeidung jedes Scheins von Liebenswürdigkeit ge-
sellt sich eine, die Formen unterdrückende Modetracht, die leider
gerade damals alles bisher Dagewesene in ungeheuerlicher Ent-
stellung der menschlichen Gestalt überflügelte 1). Da nun des
Malers Wahrheitsliebe dies Alles keineswegs milderte, ja mit
einer mehr dem Culturhistoriker als dem Künstler wünschens-
werthen Bestimmtheit betonte, so kann freilich seine Damengalerie
kaum Enthusiasten finden. Aber sollte er in der Art der Mig-
nard und Lely die Natur nach einer Modeformel verbessern?
Und war solchen Modellen und so starrer Etikette gegenüber
nicht jede Kunst machtlos? Auch ein Schönheitsmaler, wie Mengs,
hat unter seinen Porträts den hässlichsten Frauenkopf, der je eine
Krone getragen, die Kurfürstin Maria Josepha. Würde Velaz-
quez sich nicht bessern Vorbildern gegenüber in anderem Lichte
gezeigt haben? Ich glaube, man kann diese Frage bejahen, wenn
man die Thatsachen nicht zählt, sondern wägt, d. h. die wenigen
Bildnisse echter Spanierinnen die von ihm bis jetzt bekannt sind
— es sind nur drei — aufmerksam betrachtet.

Leider sind alle drei Unbekannte! Sie sind und bleiben
Räthsel; nur dass die ungelösten Räthsel der Kunst doch auch
wieder sonnenklar sind und keiner Auflösung bedürfen.

Jene einzige spanische Dame der Madrider Galerie (Nr. 1089,
0,92 × 0,39) und die frühste von den Dreien ist die Sibylle.
Sie taucht zuerst in dem Inventar von San Ildefonso aus Carl III
Zeit (1774) auf, als die Dame, welche eine Tafel vor sich hält 2).
Dass sie die Frau des Malers vorstellt, ist möglich, aber noch
durch nichts wahrscheinlich gemacht, denn Aehnlichkeit mit einer
der Frauen im Wiener Familienbild ist kaum vorhanden.

1) Auch Calderon weiss, dass Etikette und Mode der Schönheit nachtheilig
sind. El precepto la hermosura no aumenta. Er rühmt die aufgelösten Haare, in
der „Tochter der Luft“: Son hermosos sin obediencia.
2) Im achten Zimmer des Cuarto bajo. Retrato de una muger de perfil. 1774.
con una tabla en la mano 1794. Taxirt 300 Realen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="23"/><fw place="top" type="header">Frauenbildnisse.</fw><lb/>
men, und sie gehören einer fremdländischen Rasse an. Meist<lb/>
können sie weder durch Schönheit noch durch Anmuth oder gei-<lb/>
stige Bedeutung Interesse erwecken.</p><lb/>
          <p>Bei der ersten Königin, Isabella von Bourbon, der vereh-<lb/>
rungswürdigsten unter allen Frauen dieser Zeit, scheint dem<lb/>
Maler die Freiheit des Studiums gefehlt zu haben, sie sass nur<lb/>
mit Widerstreben; die zweite, sehr unbedeutende Marianne von<lb/>
Oesterreich wird mit jedem Jahre abstossender. Zu jener grund-<lb/>
sätzlichen Vermeidung jedes Scheins von Liebenswürdigkeit ge-<lb/>
sellt sich eine, die Formen unterdrückende Modetracht, die leider<lb/>
gerade damals alles bisher Dagewesene in ungeheuerlicher Ent-<lb/>
stellung der menschlichen Gestalt überflügelte <note place="foot" n="1)">Auch Calderon weiss, dass Etikette und Mode der Schönheit nachtheilig<lb/>
sind. <hi rendition="#i">El precepto la hermosura no aumenta</hi>. Er rühmt die aufgelösten Haare, in<lb/>
der &#x201E;Tochter der Luft&#x201C;: <hi rendition="#i">Son hermosos sin obediencia</hi>.</note>. Da nun des<lb/>
Malers Wahrheitsliebe dies Alles keineswegs milderte, ja mit<lb/>
einer mehr dem Culturhistoriker als dem Künstler wünschens-<lb/>
werthen Bestimmtheit betonte, so kann freilich seine Damengalerie<lb/>
kaum Enthusiasten finden. Aber sollte er in der Art der Mig-<lb/>
nard und Lely die Natur nach einer Modeformel verbessern?<lb/>
Und war solchen Modellen und so starrer Etikette gegenüber<lb/>
nicht jede Kunst machtlos? Auch ein Schönheitsmaler, wie Mengs,<lb/>
hat unter seinen Porträts den hässlichsten Frauenkopf, der je eine<lb/>
Krone getragen, die Kurfürstin Maria Josepha. Würde Velaz-<lb/>
quez sich nicht bessern Vorbildern gegenüber in anderem Lichte<lb/>
gezeigt haben? Ich glaube, man kann diese Frage bejahen, wenn<lb/>
man die Thatsachen nicht zählt, sondern wägt, d. h. die wenigen<lb/>
Bildnisse echter Spanierinnen die von ihm bis jetzt bekannt sind<lb/>
&#x2014; es sind nur drei &#x2014; aufmerksam betrachtet.</p><lb/>
          <p>Leider sind alle drei Unbekannte! Sie sind und bleiben<lb/>
Räthsel; nur dass die ungelösten Räthsel der Kunst doch auch<lb/>
wieder sonnenklar sind und keiner Auflösung bedürfen.</p><lb/>
          <p>Jene einzige spanische Dame der Madrider Galerie (Nr. 1089,<lb/>
0,92 × 0,39) und die frühste von den Dreien ist die <hi rendition="#i">Sibylle</hi>.<lb/>
Sie taucht zuerst in dem Inventar von San Ildefonso aus Carl III<lb/>
Zeit (1774) auf, als die Dame, welche eine Tafel vor sich hält <note place="foot" n="2)">Im achten Zimmer des Cuarto bajo. Retrato de una muger de perfil. 1774.<lb/>
con una tabla en la mano 1794. Taxirt 300 Realen.</note>.<lb/>
Dass sie die Frau des Malers vorstellt, ist möglich, aber noch<lb/>
durch nichts wahrscheinlich gemacht, denn Aehnlichkeit mit einer<lb/>
der Frauen im Wiener Familienbild ist kaum vorhanden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0043] Frauenbildnisse. men, und sie gehören einer fremdländischen Rasse an. Meist können sie weder durch Schönheit noch durch Anmuth oder gei- stige Bedeutung Interesse erwecken. Bei der ersten Königin, Isabella von Bourbon, der vereh- rungswürdigsten unter allen Frauen dieser Zeit, scheint dem Maler die Freiheit des Studiums gefehlt zu haben, sie sass nur mit Widerstreben; die zweite, sehr unbedeutende Marianne von Oesterreich wird mit jedem Jahre abstossender. Zu jener grund- sätzlichen Vermeidung jedes Scheins von Liebenswürdigkeit ge- sellt sich eine, die Formen unterdrückende Modetracht, die leider gerade damals alles bisher Dagewesene in ungeheuerlicher Ent- stellung der menschlichen Gestalt überflügelte 1). Da nun des Malers Wahrheitsliebe dies Alles keineswegs milderte, ja mit einer mehr dem Culturhistoriker als dem Künstler wünschens- werthen Bestimmtheit betonte, so kann freilich seine Damengalerie kaum Enthusiasten finden. Aber sollte er in der Art der Mig- nard und Lely die Natur nach einer Modeformel verbessern? Und war solchen Modellen und so starrer Etikette gegenüber nicht jede Kunst machtlos? Auch ein Schönheitsmaler, wie Mengs, hat unter seinen Porträts den hässlichsten Frauenkopf, der je eine Krone getragen, die Kurfürstin Maria Josepha. Würde Velaz- quez sich nicht bessern Vorbildern gegenüber in anderem Lichte gezeigt haben? Ich glaube, man kann diese Frage bejahen, wenn man die Thatsachen nicht zählt, sondern wägt, d. h. die wenigen Bildnisse echter Spanierinnen die von ihm bis jetzt bekannt sind — es sind nur drei — aufmerksam betrachtet. Leider sind alle drei Unbekannte! Sie sind und bleiben Räthsel; nur dass die ungelösten Räthsel der Kunst doch auch wieder sonnenklar sind und keiner Auflösung bedürfen. Jene einzige spanische Dame der Madrider Galerie (Nr. 1089, 0,92 × 0,39) und die frühste von den Dreien ist die Sibylle. Sie taucht zuerst in dem Inventar von San Ildefonso aus Carl III Zeit (1774) auf, als die Dame, welche eine Tafel vor sich hält 2). Dass sie die Frau des Malers vorstellt, ist möglich, aber noch durch nichts wahrscheinlich gemacht, denn Aehnlichkeit mit einer der Frauen im Wiener Familienbild ist kaum vorhanden. 1) Auch Calderon weiss, dass Etikette und Mode der Schönheit nachtheilig sind. El precepto la hermosura no aumenta. Er rühmt die aufgelösten Haare, in der „Tochter der Luft“: Son hermosos sin obediencia. 2) Im achten Zimmer des Cuarto bajo. Retrato de una muger de perfil. 1774. con una tabla en la mano 1794. Taxirt 300 Realen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/43
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/43>, abgerufen am 19.04.2024.