Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite
Fünftes Buch.
la garganta, cuelli-erguida,
candida, gruesa, torncada
(Tirso, a. a. O.).

Aus der etwas harten Stirn die Haare zurückgestrichen, dann
aber in braunen weichen Locken in die Wangen hineinragend:
so steht sie rechts auf der Bildfläche, den Blick nach links
gewandt, und mit zierlichem Griff den Saum der schwarzen
Spitzenmantille in der Höhe des Busens fassend. Dieser
manto war eines der gefürchtetsten Garderobestücke der Damen
von Madrid, oft verwünscht von Gatten und Vätern, ja getroffen
von der Censur einer königlichen "Pragmatik" (1639). Mit einem
Zug dieser kleinen Finger konnten sie sich vermummen; oder sehr
kokett bloss das eine Auge zeigen, oder aber wie hier von
seinem ernsten Schwarz den schönsten Busen einrahmen lassen,
Dank dem tiefausgeschnittenen olivenbraunen Kleid.

Ausser den durchweg dunklen oder stumpfen Contrast-
farben des Anzugs, dient der schmale gekräuselte Saum des
Hemds (nach tizianschem Recept), den südländischen Ton der
Haut noch wärmer zu stimmen, dessen Frische durch selten
reichliches Impasto gesichert wird.

Die Hände stecken in weiten, hellgrauen Lederhandschuhen,
an die sich Spitzenmanschetten schliessen. Sonst nichts von
Kleinodien. Die Rechte hält den breit entfalteten Fächer, dem
Betrachter wie eine vielsagende Hieroglyphe zugekehrt. Am
linken Arm hängt in weitläufigen Windungen der Rosenkranz,
mit seiner bläulichen Schleife. Also die drei stummen Instrumente
auf welchen Jede dort Virtuosin ist, Mantille und Fächer in
Aktion, der Rosenkranz als Deckung. Es ist ein Feldzugs-
kostüm. Der Blick der braunen Augen ist stolz, fast hart, ein
strategischer Blick, der unter der Maske der Kälte Ungeduld
und Leidenschaft verbirgt; er bedeutet eine Frage, wenn nicht
ein Ultimatum. Ein entschlossenes Wort ist hier am Platz; ist
der Augenblick versäumt, sie wird es dir nie verzeihen.

Wer ist sie und woher kommt sie? Wahrscheinlich aus der
Messe, in der Vitoria, der paroquia de las damas, wie sie Tirso
nennt; von da ist nur ein Schritt nach der Calle mayor;

donde se vende el amor
a varas, medida y peso
(Tirso, La celosa de si misma).

Sie passte auch unter die Pappelalleen des Prado. Aber der
Maler hat nichts angedeutet; er hat ihr nur den leeren grün-
lichgrauen Hintergrund gegeben. Ist es eine jener Circen, für

Fünftes Buch.
la garganta, cuelli-erguida,
candida, gruesa, torncada
(Tirso, a. a. O.).

Aus der etwas harten Stirn die Haare zurückgestrichen, dann
aber in braunen weichen Locken in die Wangen hineinragend:
so steht sie rechts auf der Bildfläche, den Blick nach links
gewandt, und mit zierlichem Griff den Saum der schwarzen
Spitzenmantille in der Höhe des Busens fassend. Dieser
manto war eines der gefürchtetsten Garderobestücke der Damen
von Madrid, oft verwünscht von Gatten und Vätern, ja getroffen
von der Censur einer königlichen „Pragmatik“ (1639). Mit einem
Zug dieser kleinen Finger konnten sie sich vermummen; oder sehr
kokett bloss das eine Auge zeigen, oder aber wie hier von
seinem ernsten Schwarz den schönsten Busen einrahmen lassen,
Dank dem tiefausgeschnittenen olivenbraunen Kleid.

Ausser den durchweg dunklen oder stumpfen Contrast-
farben des Anzugs, dient der schmale gekräuselte Saum des
Hemds (nach tizianschem Recept), den südländischen Ton der
Haut noch wärmer zu stimmen, dessen Frische durch selten
reichliches Impasto gesichert wird.

Die Hände stecken in weiten, hellgrauen Lederhandschuhen,
an die sich Spitzenmanschetten schliessen. Sonst nichts von
Kleinodien. Die Rechte hält den breit entfalteten Fächer, dem
Betrachter wie eine vielsagende Hieroglyphe zugekehrt. Am
linken Arm hängt in weitläufigen Windungen der Rosenkranz,
mit seiner bläulichen Schleife. Also die drei stummen Instrumente
auf welchen Jede dort Virtuosin ist, Mantille und Fächer in
Aktion, der Rosenkranz als Deckung. Es ist ein Feldzugs-
kostüm. Der Blick der braunen Augen ist stolz, fast hart, ein
strategischer Blick, der unter der Maske der Kälte Ungeduld
und Leidenschaft verbirgt; er bedeutet eine Frage, wenn nicht
ein Ultimatum. Ein entschlossenes Wort ist hier am Platz; ist
der Augenblick versäumt, sie wird es dir nie verzeihen.

Wer ist sie und woher kommt sie? Wahrscheinlich aus der
Messe, in der Vitoria, der paroquia de las damas, wie sie Tirso
nennt; von da ist nur ein Schritt nach der Calle mayor;

donde se vende el amor
á varas, medida y peso
(Tirso, La celosa de sí misma).

Sie passte auch unter die Pappelalleen des Prado. Aber der
Maler hat nichts angedeutet; er hat ihr nur den leeren grün-
lichgrauen Hintergrund gegeben. Ist es eine jener Circen, für

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0046" n="26"/>
          <fw place="top" type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/>
          <cit rendition="#et">
            <quote> <hi rendition="#i">la garganta, cuelli-erguida,<lb/>
candida, gruesa, torncada</hi> </quote>
            <bibl> (Tirso, a. a. O.).</bibl>
          </cit><lb/>
          <p>Aus der etwas harten Stirn die Haare zurückgestrichen, dann<lb/>
aber in braunen weichen Locken in die Wangen hineinragend:<lb/>
so steht sie rechts auf der Bildfläche, den Blick nach links<lb/>
gewandt, und mit zierlichem Griff den Saum der schwarzen<lb/>
Spitzenmantille in der Höhe des Busens fassend. Dieser<lb/><hi rendition="#i">manto</hi> war eines der gefürchtetsten Garderobestücke der Damen<lb/>
von Madrid, oft verwünscht von Gatten und Vätern, ja getroffen<lb/>
von der Censur einer königlichen &#x201E;Pragmatik&#x201C; (1639). Mit einem<lb/>
Zug dieser kleinen Finger konnten sie sich vermummen; oder sehr<lb/>
kokett bloss das eine Auge zeigen, oder aber wie hier von<lb/>
seinem ernsten Schwarz den schönsten Busen einrahmen lassen,<lb/>
Dank dem tiefausgeschnittenen olivenbraunen Kleid.</p><lb/>
          <p>Ausser den durchweg dunklen oder stumpfen Contrast-<lb/>
farben des Anzugs, dient der schmale gekräuselte Saum des<lb/>
Hemds (nach tizianschem Recept), den südländischen Ton der<lb/>
Haut noch wärmer zu stimmen, dessen Frische durch selten<lb/>
reichliches Impasto gesichert wird.</p><lb/>
          <p>Die Hände stecken in weiten, hellgrauen Lederhandschuhen,<lb/>
an die sich Spitzenmanschetten schliessen. Sonst nichts von<lb/>
Kleinodien. Die Rechte hält den breit entfalteten Fächer, dem<lb/>
Betrachter wie eine vielsagende Hieroglyphe zugekehrt. Am<lb/>
linken Arm hängt in weitläufigen Windungen der Rosenkranz,<lb/>
mit seiner bläulichen Schleife. Also die drei stummen Instrumente<lb/>
auf welchen Jede dort Virtuosin ist, Mantille und Fächer in<lb/>
Aktion, der Rosenkranz als Deckung. Es ist ein Feldzugs-<lb/>
kostüm. Der Blick der braunen Augen ist stolz, fast hart, ein<lb/>
strategischer Blick, der unter der Maske der Kälte Ungeduld<lb/>
und Leidenschaft verbirgt; er bedeutet eine Frage, wenn nicht<lb/>
ein Ultimatum. Ein entschlossenes Wort ist hier am Platz; ist<lb/>
der Augenblick versäumt, sie wird es dir nie verzeihen.</p><lb/>
          <p>Wer ist sie und woher kommt sie? Wahrscheinlich aus der<lb/>
Messe, in der Vitoria, der <hi rendition="#i">paroquia de las damas</hi>, wie sie Tirso<lb/>
nennt; von da ist nur ein Schritt nach der Calle mayor;</p><lb/>
          <cit rendition="#et">
            <quote> <hi rendition="#i">donde se vende el amor<lb/>
á varas, medida y peso</hi> </quote>
            <bibl> (Tirso, La celosa de sí misma).</bibl>
          </cit><lb/>
          <p>Sie passte auch unter die Pappelalleen des Prado. Aber der<lb/>
Maler hat nichts angedeutet; er hat ihr nur den leeren grün-<lb/>
lichgrauen Hintergrund gegeben. Ist es eine jener Circen, für<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0046] Fünftes Buch. la garganta, cuelli-erguida, candida, gruesa, torncada (Tirso, a. a. O.). Aus der etwas harten Stirn die Haare zurückgestrichen, dann aber in braunen weichen Locken in die Wangen hineinragend: so steht sie rechts auf der Bildfläche, den Blick nach links gewandt, und mit zierlichem Griff den Saum der schwarzen Spitzenmantille in der Höhe des Busens fassend. Dieser manto war eines der gefürchtetsten Garderobestücke der Damen von Madrid, oft verwünscht von Gatten und Vätern, ja getroffen von der Censur einer königlichen „Pragmatik“ (1639). Mit einem Zug dieser kleinen Finger konnten sie sich vermummen; oder sehr kokett bloss das eine Auge zeigen, oder aber wie hier von seinem ernsten Schwarz den schönsten Busen einrahmen lassen, Dank dem tiefausgeschnittenen olivenbraunen Kleid. Ausser den durchweg dunklen oder stumpfen Contrast- farben des Anzugs, dient der schmale gekräuselte Saum des Hemds (nach tizianschem Recept), den südländischen Ton der Haut noch wärmer zu stimmen, dessen Frische durch selten reichliches Impasto gesichert wird. Die Hände stecken in weiten, hellgrauen Lederhandschuhen, an die sich Spitzenmanschetten schliessen. Sonst nichts von Kleinodien. Die Rechte hält den breit entfalteten Fächer, dem Betrachter wie eine vielsagende Hieroglyphe zugekehrt. Am linken Arm hängt in weitläufigen Windungen der Rosenkranz, mit seiner bläulichen Schleife. Also die drei stummen Instrumente auf welchen Jede dort Virtuosin ist, Mantille und Fächer in Aktion, der Rosenkranz als Deckung. Es ist ein Feldzugs- kostüm. Der Blick der braunen Augen ist stolz, fast hart, ein strategischer Blick, der unter der Maske der Kälte Ungeduld und Leidenschaft verbirgt; er bedeutet eine Frage, wenn nicht ein Ultimatum. Ein entschlossenes Wort ist hier am Platz; ist der Augenblick versäumt, sie wird es dir nie verzeihen. Wer ist sie und woher kommt sie? Wahrscheinlich aus der Messe, in der Vitoria, der paroquia de las damas, wie sie Tirso nennt; von da ist nur ein Schritt nach der Calle mayor; donde se vende el amor á varas, medida y peso (Tirso, La celosa de sí misma). Sie passte auch unter die Pappelalleen des Prado. Aber der Maler hat nichts angedeutet; er hat ihr nur den leeren grün- lichgrauen Hintergrund gegeben. Ist es eine jener Circen, für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/46
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/46>, abgerufen am 28.03.2024.