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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch
und die Füsse verdeckend, Perlenhalsband mit mehr oder weniger
Schnüren. Die Farbe mager impastirt.

Abweichend und jünger erscheint sie in der Figur der
Galerie von Christiansborg in Kopenhagen. Die Züge sind noch
ohne die freudlose Langeweile; die Augen klug und munter;
der schwarze Anzug bringt den feinen Wuchs zur Geltung 1).

Ohne Zweifel werden alle diese Bildnisse der Königin nicht
gerecht. Wie sonderbar ist die stete Wiederkehr desselben
braunen Kleides. Wie heiter und reich erscheinen dagegen die
Trachten ihrer Landsmännin und Namensverwandten, Isabella
von Valois, der dritten Gemahlin Philipp II. Hatten die Grazien
am Hof jenes finstern Despoten leichter Zutritt zum cuarto
de la Reina
als an diesem lebenslustigen?

Als die Herzogin von Chevreuse sich ihr Bildniss für die
Schwester in England ausbat, äusserte die Königin, sie liebe es
nicht sich porträtiren zu lassen 2). Ein Umstand, der vielleicht
die Einförmigkeit und Leblosigkeit dieser Bilder erklärt. War
der Maler verdriesslich, dieselbe Aufnahme so oft wiederholen
zu müssen? Woher aber ihre Abneigung? Die Auffassungsweise
des spanischen Kammermalers wich von dem französischen
Geschmack erheblich ab.

Die zwei kleinen Mädchen.

Gute Kindermaler sind sehr gezählt selbst unter den grossen
Künstlern. Die welche der consensus gentium als besonders
glücklich bezeichnet in kindlichen Formen und Bewegungen, in
kindlicher Anmuth, Tizian, Correggio, Murillo, sie gehörten alle
zu denen, welche das Genie der Farbe und des Lichts besassen.
Kindermaler müssen die Kunst gelernt haben, das unfassbare
zu fassen, zu verlernen verstehn, was sie mit soviel Studium ge-
lernt haben.

Seit dem Jahre 1638 besass Madrid eines der Vorbilder in
diesem Fach, das Kinderfest, jenes wundersame Idyll der jugend-
lichen Laune Tizians. Diess Gemälde war der Canon der römi-
schen Künstler gewesen, an dem ein Poussin und Fiammingo

1) Nr. 427. 811/2" x 49". Aehnlich ein kleiner Stich, bezeichnet: Francis-
cus Bolognus F. In den letzten Jahren zeigt sie der Stich von Villafranca (1645).
2) Decia que no se dejaba retratar de buena gana. Memorial historico XIV,
275 (1637).

Fünftes Buch
und die Füsse verdeckend, Perlenhalsband mit mehr oder weniger
Schnüren. Die Farbe mager impastirt.

Abweichend und jünger erscheint sie in der Figur der
Galerie von Christiansborg in Kopenhagen. Die Züge sind noch
ohne die freudlose Langeweile; die Augen klug und munter;
der schwarze Anzug bringt den feinen Wuchs zur Geltung 1).

Ohne Zweifel werden alle diese Bildnisse der Königin nicht
gerecht. Wie sonderbar ist die stete Wiederkehr desselben
braunen Kleides. Wie heiter und reich erscheinen dagegen die
Trachten ihrer Landsmännin und Namensverwandten, Isabella
von Valois, der dritten Gemahlin Philipp II. Hatten die Grazien
am Hof jenes finstern Despoten leichter Zutritt zum cuarto
de la Reina
als an diesem lebenslustigen?

Als die Herzogin von Chevreuse sich ihr Bildniss für die
Schwester in England ausbat, äusserte die Königin, sie liebe es
nicht sich porträtiren zu lassen 2). Ein Umstand, der vielleicht
die Einförmigkeit und Leblosigkeit dieser Bilder erklärt. War
der Maler verdriesslich, dieselbe Aufnahme so oft wiederholen
zu müssen? Woher aber ihre Abneigung? Die Auffassungsweise
des spanischen Kammermalers wich von dem französischen
Geschmack erheblich ab.

Die zwei kleinen Mädchen.

Gute Kindermaler sind sehr gezählt selbst unter den grossen
Künstlern. Die welche der consensus gentium als besonders
glücklich bezeichnet in kindlichen Formen und Bewegungen, in
kindlicher Anmuth, Tizian, Correggio, Murillo, sie gehörten alle
zu denen, welche das Genie der Farbe und des Lichts besassen.
Kindermaler müssen die Kunst gelernt haben, das unfassbare
zu fassen, zu verlernen verstehn, was sie mit soviel Studium ge-
lernt haben.

Seit dem Jahre 1638 besass Madrid eines der Vorbilder in
diesem Fach, das Kinderfest, jenes wundersame Idyll der jugend-
lichen Laune Tizians. Diess Gemälde war der Canon der römi-
schen Künstler gewesen, an dem ein Poussin und Fiammingo

1) Nr. 427. 81½″ × 49″. Aehnlich ein kleiner Stich, bezeichnet: Francis-
cus Bolognus F. In den letzten Jahren zeigt sie der Stich von Villafranca (1645).
2) Decia que no se dejaba retratar de buena gana. Memorial histórico XIV,
275 (1637).
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[38/0058] Fünftes Buch und die Füsse verdeckend, Perlenhalsband mit mehr oder weniger Schnüren. Die Farbe mager impastirt. Abweichend und jünger erscheint sie in der Figur der Galerie von Christiansborg in Kopenhagen. Die Züge sind noch ohne die freudlose Langeweile; die Augen klug und munter; der schwarze Anzug bringt den feinen Wuchs zur Geltung 1). Ohne Zweifel werden alle diese Bildnisse der Königin nicht gerecht. Wie sonderbar ist die stete Wiederkehr desselben braunen Kleides. Wie heiter und reich erscheinen dagegen die Trachten ihrer Landsmännin und Namensverwandten, Isabella von Valois, der dritten Gemahlin Philipp II. Hatten die Grazien am Hof jenes finstern Despoten leichter Zutritt zum cuarto de la Reina als an diesem lebenslustigen? Als die Herzogin von Chevreuse sich ihr Bildniss für die Schwester in England ausbat, äusserte die Königin, sie liebe es nicht sich porträtiren zu lassen 2). Ein Umstand, der vielleicht die Einförmigkeit und Leblosigkeit dieser Bilder erklärt. War der Maler verdriesslich, dieselbe Aufnahme so oft wiederholen zu müssen? Woher aber ihre Abneigung? Die Auffassungsweise des spanischen Kammermalers wich von dem französischen Geschmack erheblich ab. Die zwei kleinen Mädchen. Gute Kindermaler sind sehr gezählt selbst unter den grossen Künstlern. Die welche der consensus gentium als besonders glücklich bezeichnet in kindlichen Formen und Bewegungen, in kindlicher Anmuth, Tizian, Correggio, Murillo, sie gehörten alle zu denen, welche das Genie der Farbe und des Lichts besassen. Kindermaler müssen die Kunst gelernt haben, das unfassbare zu fassen, zu verlernen verstehn, was sie mit soviel Studium ge- lernt haben. Seit dem Jahre 1638 besass Madrid eines der Vorbilder in diesem Fach, das Kinderfest, jenes wundersame Idyll der jugend- lichen Laune Tizians. Diess Gemälde war der Canon der römi- schen Künstler gewesen, an dem ein Poussin und Fiammingo 1) Nr. 427. 81½″ × 49″. Aehnlich ein kleiner Stich, bezeichnet: Francis- cus Bolognus F. In den letzten Jahren zeigt sie der Stich von Villafranca (1645). 2) Decia que no se dejaba retratar de buena gana. Memorial histórico XIV, 275 (1637).

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/58>, abgerufen am 25.04.2024.