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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Zweit. Kap. der jetzige Zustand des siamischen Hofes.

Zweitens Dsjauku, gemeine Pfaffen oder Patres, welche ein oder mehr Klo-
sterhäuser bei gewissen Tempeln in Geselschaft bewohnen, und in denselben über sich haben

Drittens einen Prior, welchen sie Luang Wad, das Tempelhaupt, oder Sompan,
den Edlen, nennen.

Viertens diese Klöster stehen in einer jeden Provinz unter einem Prah Khru,
als Bischof oder Metropolitan. Ueber welchen und die ganze Clerisei des Reichs nun
noch die Aufsicht führt

Fünftens der Prah Sankara als General und Erzbischof. Er wohnt in der
königlichen Haupt- und Residenzstadt Judja, und hat ein so großes Ansehen, daß sich auch
der König vor ihm bücket.

Der geistliche Stand ist hier nicht, wie bei den Brahmanen, an ein besonderes
Geschlecht gebunden; sondern es kan jeder ein Mönch werden, wer da wil und dazu gelan-
gen kan. Sogar einem Eheman ist es nicht verwehrt, seine Frau zu verlassen und ins Klo-
ster zu ziehen. Es giebt hier auch Nanktsji oder Baginen, welche nicht gelbe, son-
dern weiße Tücher tragen. Sie haben ehemals mit den Pfaffen neben den Tempeln ge-
wohnt. Nachdem es sich aber eine halbe Meile oberhalb Judja in einem Dorfe, wo die
Geistlichen von beidem Geschlechte durcheinander wohnten, ereignete, daß diese Nonnen
eine nach der andern beschwängert wurden; so hat man sie nachher von den Tempeln in ihre
eigne Häuser verwiesen, um daselbst ihre Keuschheit sicherer zu bewahren. Der Tempel
des erwähnten Orts heist noch jezt Wad Nanktsji, d. i. Nonnentempel. Aber hievon an
einem andern Orte ein mehrers.

(Die geistlichen Personen können als Geistliche wegen Missethaten nicht gestraft
werden. Es wird also vorher allemal die geistliche Kleidung ausgezogen, und dann werden
sie wie Weltliche gestraft: doch verfährt man immer mit ihnen, ihres ehmaligen geistlichen
Standes wegen, etwas gelinder. Sie werden sehr oft wegen Capitalverbrechen, auf kö-
niglichen Befehl nur auf eine unbewohnte Jnsel, Coccatsjan verbant, wohin der König
auch zuweilen seine Mandarins, wenn sie in Ungnade gefallen sind, zu relegiren pflegt*).

Siamische Zeitrechnung.

Die Soncarad oder Zeitrechnung der Siamer fängt mit dem Tode ihres großen
Abgotts Sammona Kuthama, oder Prah, oder Budha an, von welchem sie im Jahr
1690, da ich in Siam war, 2234 Jahr zählten. Sie haben, wie die Sineser Cyclos
von sechzig Jahren, obgleich nur zwölf Jahre eigentliche Namen haben, welche fünfmal

wie-
*) [Spaltenumbruch]
Diese Stelle fehlt ganz in dem Manu-
script des Neffen. Aber das Manuscript des
[Spaltenumbruch] Oheims und Scheuchzer haben sie.
G 2
Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes.

Zweitens Dſjauku, gemeine Pfaffen oder Patres, welche ein oder mehr Klo-
ſterhaͤuſer bei gewiſſen Tempeln in Geſelſchaft bewohnen, und in denſelben uͤber ſich haben

Drittens einen Prior, welchen ſie Luang Wad, das Tempelhaupt, oder Sompan,
den Edlen, nennen.

Viertens dieſe Kloͤſter ſtehen in einer jeden Provinz unter einem Prah Khru,
als Biſchof oder Metropolitan. Ueber welchen und die ganze Cleriſei des Reichs nun
noch die Aufſicht fuͤhrt

Fuͤnftens der Prah Sankara als General und Erzbiſchof. Er wohnt in der
koͤniglichen Haupt- und Reſidenzſtadt Judja, und hat ein ſo großes Anſehen, daß ſich auch
der Koͤnig vor ihm buͤcket.

Der geiſtliche Stand iſt hier nicht, wie bei den Brahmanen, an ein beſonderes
Geſchlecht gebunden; ſondern es kan jeder ein Moͤnch werden, wer da wil und dazu gelan-
gen kan. Sogar einem Eheman iſt es nicht verwehrt, ſeine Frau zu verlaſſen und ins Klo-
ſter zu ziehen. Es giebt hier auch Nanktſji oder Baginen, welche nicht gelbe, ſon-
dern weiße Tuͤcher tragen. Sie haben ehemals mit den Pfaffen neben den Tempeln ge-
wohnt. Nachdem es ſich aber eine halbe Meile oberhalb Judja in einem Dorfe, wo die
Geiſtlichen von beidem Geſchlechte durcheinander wohnten, ereignete, daß dieſe Nonnen
eine nach der andern beſchwaͤngert wurden; ſo hat man ſie nachher von den Tempeln in ihre
eigne Haͤuſer verwieſen, um daſelbſt ihre Keuſchheit ſicherer zu bewahren. Der Tempel
des erwaͤhnten Orts heiſt noch jezt Wad Nanktſji, d. i. Nonnentempel. Aber hievon an
einem andern Orte ein mehrers.

(Die geiſtlichen Perſonen koͤnnen als Geiſtliche wegen Miſſethaten nicht geſtraft
werden. Es wird alſo vorher allemal die geiſtliche Kleidung ausgezogen, und dann werden
ſie wie Weltliche geſtraft: doch verfaͤhrt man immer mit ihnen, ihres ehmaligen geiſtlichen
Standes wegen, etwas gelinder. Sie werden ſehr oft wegen Capitalverbrechen, auf koͤ-
niglichen Befehl nur auf eine unbewohnte Jnſel, Coccatſjan verbant, wohin der Koͤnig
auch zuweilen ſeine Mandarins, wenn ſie in Ungnade gefallen ſind, zu relegiren pflegt*).

Siamiſche Zeitrechnung.

Die Soncarad oder Zeitrechnung der Siamer faͤngt mit dem Tode ihres großen
Abgotts Sammona Kuthama, oder Prah, oder Budha an, von welchem ſie im Jahr
1690, da ich in Siam war, 2234 Jahr zaͤhlten. Sie haben, wie die Sineſer Cyclos
von ſechzig Jahren, obgleich nur zwoͤlf Jahre eigentliche Namen haben, welche fuͤnfmal

wie-
*) [Spaltenumbruch]
Dieſe Stelle fehlt ganz in dem Manu-
ſcript des Neffen. Aber das Manuſcript des
[Spaltenumbruch] Oheims und Scheuchzer haben ſie.
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[51/0137] Zweit. Kap. der jetzige Zuſtand des ſiamiſchen Hofes. Zweitens Dſjauku, gemeine Pfaffen oder Patres, welche ein oder mehr Klo- ſterhaͤuſer bei gewiſſen Tempeln in Geſelſchaft bewohnen, und in denſelben uͤber ſich haben Drittens einen Prior, welchen ſie Luang Wad, das Tempelhaupt, oder Sompan, den Edlen, nennen. Viertens dieſe Kloͤſter ſtehen in einer jeden Provinz unter einem Prah Khru, als Biſchof oder Metropolitan. Ueber welchen und die ganze Cleriſei des Reichs nun noch die Aufſicht fuͤhrt Fuͤnftens der Prah Sankara als General und Erzbiſchof. Er wohnt in der koͤniglichen Haupt- und Reſidenzſtadt Judja, und hat ein ſo großes Anſehen, daß ſich auch der Koͤnig vor ihm buͤcket. Der geiſtliche Stand iſt hier nicht, wie bei den Brahmanen, an ein beſonderes Geſchlecht gebunden; ſondern es kan jeder ein Moͤnch werden, wer da wil und dazu gelan- gen kan. Sogar einem Eheman iſt es nicht verwehrt, ſeine Frau zu verlaſſen und ins Klo- ſter zu ziehen. Es giebt hier auch Nanktſji oder Baginen, welche nicht gelbe, ſon- dern weiße Tuͤcher tragen. Sie haben ehemals mit den Pfaffen neben den Tempeln ge- wohnt. Nachdem es ſich aber eine halbe Meile oberhalb Judja in einem Dorfe, wo die Geiſtlichen von beidem Geſchlechte durcheinander wohnten, ereignete, daß dieſe Nonnen eine nach der andern beſchwaͤngert wurden; ſo hat man ſie nachher von den Tempeln in ihre eigne Haͤuſer verwieſen, um daſelbſt ihre Keuſchheit ſicherer zu bewahren. Der Tempel des erwaͤhnten Orts heiſt noch jezt Wad Nanktſji, d. i. Nonnentempel. Aber hievon an einem andern Orte ein mehrers. (Die geiſtlichen Perſonen koͤnnen als Geiſtliche wegen Miſſethaten nicht geſtraft werden. Es wird alſo vorher allemal die geiſtliche Kleidung ausgezogen, und dann werden ſie wie Weltliche geſtraft: doch verfaͤhrt man immer mit ihnen, ihres ehmaligen geiſtlichen Standes wegen, etwas gelinder. Sie werden ſehr oft wegen Capitalverbrechen, auf koͤ- niglichen Befehl nur auf eine unbewohnte Jnſel, Coccatſjan verbant, wohin der Koͤnig auch zuweilen ſeine Mandarins, wenn ſie in Ungnade gefallen ſind, zu relegiren pflegt *). Siamiſche Zeitrechnung. Die Soncarad oder Zeitrechnung der Siamer faͤngt mit dem Tode ihres großen Abgotts Sammona Kuthama, oder Prah, oder Budha an, von welchem ſie im Jahr 1690, da ich in Siam war, 2234 Jahr zaͤhlten. Sie haben, wie die Sineſer Cyclos von ſechzig Jahren, obgleich nur zwoͤlf Jahre eigentliche Namen haben, welche fuͤnfmal wie- *) Dieſe Stelle fehlt ganz in dem Manu- ſcript des Neffen. Aber das Manuſcript des Oheims und Scheuchzer haben ſie. G 2

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/137>, abgerufen am 28.03.2024.