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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
kung aufs Gefühl, mithin auf die Sinnlichkeit eines
vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit, mithin
auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das morali-
sche Gesetz Achtung auferlegt, voraussetze, und daß
einem höchsten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit
freyen Wesen, welchem diese also auch kein Hinderniß
der practischen Vernunft seyn kann, Achtung fürs
Gesetz nicht beygelegt werden könne.

Dieses Gefühl (unter dem Namen des morali-
schen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es
dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen, oder wol
gar zur Gründung des objectiven Sittengesetzes selbst,
sondern blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Ma-
xime zu machen. Mit welchem Namen aber könnte
man dieses sonderbare Gefühl, welches mit keinem pa-
thologischen in Vergleichung gezogen werden kann,
schicklicher belegen? Es ist so eigenthümlicher Art, daß
es lediglich der Vernunft, und zwar der practischen rei-
nen Vernunft, zu Gebote zu stehen scheint.

Achtung geht jederzeit nur auf Personen, nie-
mals auf Sachen. Die letztere können Neigung, und
wenn es Thiere sind (z. B. Pferde, Hunde etc.), so gar
Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan,
ein Raubthier, niemals aber Achtung in uns erwecken.
Etwas, was diesem Gefühl schon näher tritt, ist Be-
wunderung,
und diese, als Affect, das Erstaunen,

kann
J 4

der reinen practiſchen Vernunft.
kung aufs Gefuͤhl, mithin auf die Sinnlichkeit eines
vernuͤnftigen Weſens iſt, es dieſe Sinnlichkeit, mithin
auch die Endlichkeit ſolcher Weſen, denen das morali-
ſche Geſetz Achtung auferlegt, vorausſetze, und daß
einem hoͤchſten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit
freyen Weſen, welchem dieſe alſo auch kein Hinderniß
der practiſchen Vernunft ſeyn kann, Achtung fuͤrs
Geſetz nicht beygelegt werden koͤnne.

Dieſes Gefuͤhl (unter dem Namen des morali-
ſchen) iſt alſo lediglich durch Vernunft bewirkt. Es
dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen, oder wol
gar zur Gruͤndung des objectiven Sittengeſetzes ſelbſt,
ſondern blos zur Triebfeder, um dieſes in ſich zur Ma-
xime zu machen. Mit welchem Namen aber koͤnnte
man dieſes ſonderbare Gefuͤhl, welches mit keinem pa-
thologiſchen in Vergleichung gezogen werden kann,
ſchicklicher belegen? Es iſt ſo eigenthuͤmlicher Art, daß
es lediglich der Vernunft, und zwar der practiſchen rei-
nen Vernunft, zu Gebote zu ſtehen ſcheint.

Achtung geht jederzeit nur auf Perſonen, nie-
mals auf Sachen. Die letztere koͤnnen Neigung, und
wenn es Thiere ſind (z. B. Pferde, Hunde etc.), ſo gar
Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan,
ein Raubthier, niemals aber Achtung in uns erwecken.
Etwas, was dieſem Gefuͤhl ſchon naͤher tritt, iſt Be-
wunderung,
und dieſe, als Affect, das Erſtaunen,

kann
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[135/0143] der reinen practiſchen Vernunft. kung aufs Gefuͤhl, mithin auf die Sinnlichkeit eines vernuͤnftigen Weſens iſt, es dieſe Sinnlichkeit, mithin auch die Endlichkeit ſolcher Weſen, denen das morali- ſche Geſetz Achtung auferlegt, vorausſetze, und daß einem hoͤchſten, oder auch einem von aller Sinnlichkeit freyen Weſen, welchem dieſe alſo auch kein Hinderniß der practiſchen Vernunft ſeyn kann, Achtung fuͤrs Geſetz nicht beygelegt werden koͤnne. Dieſes Gefuͤhl (unter dem Namen des morali- ſchen) iſt alſo lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen, oder wol gar zur Gruͤndung des objectiven Sittengeſetzes ſelbſt, ſondern blos zur Triebfeder, um dieſes in ſich zur Ma- xime zu machen. Mit welchem Namen aber koͤnnte man dieſes ſonderbare Gefuͤhl, welches mit keinem pa- thologiſchen in Vergleichung gezogen werden kann, ſchicklicher belegen? Es iſt ſo eigenthuͤmlicher Art, daß es lediglich der Vernunft, und zwar der practiſchen rei- nen Vernunft, zu Gebote zu ſtehen ſcheint. Achtung geht jederzeit nur auf Perſonen, nie- mals auf Sachen. Die letztere koͤnnen Neigung, und wenn es Thiere ſind (z. B. Pferde, Hunde etc.), ſo gar Liebe, oder auch Furcht, wie das Meer, ein Vulcan, ein Raubthier, niemals aber Achtung in uns erwecken. Etwas, was dieſem Gefuͤhl ſchon naͤher tritt, iſt Be- wunderung, und dieſe, als Affect, das Erſtaunen, kann J 4

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/143>, abgerufen am 19.04.2024.