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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
schlägt das Gesetz, durch ein Beyspiel anschaulich ge-
macht, doch immer meinen Stolz nieder, wozu der
Mann, den ich vor mir sehe, dessen Unlauterkeit, die
ihm immer noch anhängen mag, mir nicht so, wie mir
die meinige, bekannt ist, der mir also in reinerem Lichte
erscheint, einen Maaßstab abgiebt. Achtung ist ein
Tribut, den wir dem Verdienste nicht verweigern kön-
nen, wir mögen wollen oder nicht; wir mögen allen-
falls äußerlich damit zurückhalten, so können wir doch
nicht verhüten, sie innerlich zu empfinden.

Die Achtung ist so wenig ein Gefühl der Lust,
daß man sich ihr in Ansehung eines Menschen nur un-
gern überläßt. Man sucht etwas ausfindig zu machen,
was uns die Last derselben erleichtern könne, irgend
einen Tadel, um uns wegen der Demüthigung, die
uns durch ein solches Beyspiel widerfährt, schadlos zu
halten. Selbst Verstorbene sind, vornehmlich wenn
ihr Beyspiel unnachahmlich scheint, vor dieser Critik
nicht immer gesichert. So gar das moralische Gesetz
selbst, in seiner feyerlichen Majestät, ist diesem Be-
streben, sich der Achtung dagegen zu erwehren, ausge-
setzt. Meynt man wol, daß es einer anderen Ursache zu-
zuschreiben sey, weswegen man es gern zu unserer ver-
traulichen Neigung herabwürdigen möchte, und sich
aus anderen Ursachen alles so bemühe, um es zur be-
liebten Vorschrift unseres eigenen wohlverstandenen
Vortheils zu machen, als daß man der abschreckenden

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der reinen practiſchen Vernunft.
ſchlaͤgt das Geſetz, durch ein Beyſpiel anſchaulich ge-
macht, doch immer meinen Stolz nieder, wozu der
Mann, den ich vor mir ſehe, deſſen Unlauterkeit, die
ihm immer noch anhaͤngen mag, mir nicht ſo, wie mir
die meinige, bekannt iſt, der mir alſo in reinerem Lichte
erſcheint, einen Maaßſtab abgiebt. Achtung iſt ein
Tribut, den wir dem Verdienſte nicht verweigern koͤn-
nen, wir moͤgen wollen oder nicht; wir moͤgen allen-
falls aͤußerlich damit zuruͤckhalten, ſo koͤnnen wir doch
nicht verhuͤten, ſie innerlich zu empfinden.

Die Achtung iſt ſo wenig ein Gefuͤhl der Luſt,
daß man ſich ihr in Anſehung eines Menſchen nur un-
gern uͤberlaͤßt. Man ſucht etwas ausfindig zu machen,
was uns die Laſt derſelben erleichtern koͤnne, irgend
einen Tadel, um uns wegen der Demuͤthigung, die
uns durch ein ſolches Beyſpiel widerfaͤhrt, ſchadlos zu
halten. Selbſt Verſtorbene ſind, vornehmlich wenn
ihr Beyſpiel unnachahmlich ſcheint, vor dieſer Critik
nicht immer geſichert. So gar das moraliſche Geſetz
ſelbſt, in ſeiner feyerlichen Majeſtaͤt, iſt dieſem Be-
ſtreben, ſich der Achtung dagegen zu erwehren, ausge-
ſetzt. Meynt man wol, daß es einer anderen Urſache zu-
zuſchreiben ſey, weswegen man es gern zu unſerer ver-
traulichen Neigung herabwuͤrdigen moͤchte, und ſich
aus anderen Urſachen alles ſo bemuͤhe, um es zur be-
liebten Vorſchrift unſeres eigenen wohlverſtandenen
Vortheils zu machen, als daß man der abſchreckenden

Ach-
J 5
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[137/0145] der reinen practiſchen Vernunft. ſchlaͤgt das Geſetz, durch ein Beyſpiel anſchaulich ge- macht, doch immer meinen Stolz nieder, wozu der Mann, den ich vor mir ſehe, deſſen Unlauterkeit, die ihm immer noch anhaͤngen mag, mir nicht ſo, wie mir die meinige, bekannt iſt, der mir alſo in reinerem Lichte erſcheint, einen Maaßſtab abgiebt. Achtung iſt ein Tribut, den wir dem Verdienſte nicht verweigern koͤn- nen, wir moͤgen wollen oder nicht; wir moͤgen allen- falls aͤußerlich damit zuruͤckhalten, ſo koͤnnen wir doch nicht verhuͤten, ſie innerlich zu empfinden. Die Achtung iſt ſo wenig ein Gefuͤhl der Luſt, daß man ſich ihr in Anſehung eines Menſchen nur un- gern uͤberlaͤßt. Man ſucht etwas ausfindig zu machen, was uns die Laſt derſelben erleichtern koͤnne, irgend einen Tadel, um uns wegen der Demuͤthigung, die uns durch ein ſolches Beyſpiel widerfaͤhrt, ſchadlos zu halten. Selbſt Verſtorbene ſind, vornehmlich wenn ihr Beyſpiel unnachahmlich ſcheint, vor dieſer Critik nicht immer geſichert. So gar das moraliſche Geſetz ſelbſt, in ſeiner feyerlichen Majeſtaͤt, iſt dieſem Be- ſtreben, ſich der Achtung dagegen zu erwehren, ausge- ſetzt. Meynt man wol, daß es einer anderen Urſache zu- zuſchreiben ſey, weswegen man es gern zu unſerer ver- traulichen Neigung herabwuͤrdigen moͤchte, und ſich aus anderen Urſachen alles ſo bemuͤhe, um es zur be- liebten Vorſchrift unſeres eigenen wohlverſtandenen Vortheils zu machen, als daß man der abſchreckenden Ach- J 5

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/145>, abgerufen am 25.04.2024.