Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
Assertion wird, gegeben, und so der practische Ge-
brauch der Vernunft mit den Elementen des theoreti-
schen verknüpft wird. Und dieses Bedürfniß ist nicht
etwa ein hypothetisches, einer beliebigen Absicht der
Speculation, daß man etwas annehmen müsse, wenn
man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der
Speculation hinaufsteigen will, sondern ein gesetzli-
ches,
etwas anzunehmen, ohne welches nicht gesche-
hen kann, was man sich zur Absicht seines Thuns
und Lassens unnachlaßlich setzen soll.

Es wäre allerdings befriedigender für unsere
speculative Vernunft, ohne diesen Umschweif jene Auf-
gaben für sich aufzulösen, und sie als Einsicht zum
practischen Gebrauche aufzubewahren; allein es ist
einmal mit unserem Vermögen der Speculation nicht
so gut bestellt. Diejenige, welche sich solcher hohen
Erkenntnisse rühmen, sollten damit nicht zurückhal-
ten, sondern sie öffentlich zur Prüfung und Hoch-
schätzung darstellen. Sie wollen beweisen; wohlan!
so mögen sie denn beweisen, und die Critik legt ihnen,
als Siegern, ihre ganze Rüstung zu Füßen. Quid
statis? Nolint. Atqui licet esse beatis.
-- Da sie al-
so in der That nicht wollen, vermuthlich weil sie nicht

kön-
A 4

Vorrede.
Aſſertion wird, gegeben, und ſo der practiſche Ge-
brauch der Vernunft mit den Elementen des theoreti-
ſchen verknuͤpft wird. Und dieſes Beduͤrfniß iſt nicht
etwa ein hypothetiſches, einer beliebigen Abſicht der
Speculation, daß man etwas annehmen muͤſſe, wenn
man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der
Speculation hinaufſteigen will, ſondern ein geſetzli-
ches,
etwas anzunehmen, ohne welches nicht geſche-
hen kann, was man ſich zur Abſicht ſeines Thuns
und Laſſens unnachlaßlich ſetzen ſoll.

Es waͤre allerdings befriedigender fuͤr unſere
ſpeculative Vernunft, ohne dieſen Umſchweif jene Auf-
gaben fuͤr ſich aufzuloͤſen, und ſie als Einſicht zum
practiſchen Gebrauche aufzubewahren; allein es iſt
einmal mit unſerem Vermoͤgen der Speculation nicht
ſo gut beſtellt. Diejenige, welche ſich ſolcher hohen
Erkenntniſſe ruͤhmen, ſollten damit nicht zuruͤckhal-
ten, ſondern ſie oͤffentlich zur Pruͤfung und Hoch-
ſchaͤtzung darſtellen. Sie wollen beweiſen; wohlan!
ſo moͤgen ſie denn beweiſen, und die Critik legt ihnen,
als Siegern, ihre ganze Ruͤſtung zu Fuͤßen. Quid
ſtatis? Nolint. Atqui licet eſſe beatis.
— Da ſie al-
ſo in der That nicht wollen, vermuthlich weil ſie nicht

koͤn-
A 4
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/><hi rendition="#fr">A&#x017F;&#x017F;ertion</hi> wird, gegeben, und &#x017F;o der practi&#x017F;che Ge-<lb/>
brauch der Vernunft mit den Elementen des theoreti-<lb/>
&#x017F;chen verknu&#x0364;pft wird. Und die&#x017F;es Bedu&#x0364;rfniß i&#x017F;t nicht<lb/>
etwa ein hypotheti&#x017F;ches, einer <hi rendition="#fr">beliebigen</hi> Ab&#x017F;icht der<lb/>
Speculation, daß man etwas annehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wenn<lb/>
man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der<lb/>
Speculation hinauf&#x017F;teigen <hi rendition="#fr">will,</hi> &#x017F;ondern <hi rendition="#fr">ein ge&#x017F;etzli-<lb/>
ches,</hi> etwas anzunehmen, ohne welches nicht ge&#x017F;che-<lb/>
hen kann, was man &#x017F;ich zur Ab&#x017F;icht &#x017F;eines Thuns<lb/>
und La&#x017F;&#x017F;ens unnachlaßlich &#x017F;etzen <hi rendition="#fr">&#x017F;oll.</hi></p><lb/>
        <p>Es wa&#x0364;re allerdings befriedigender fu&#x0364;r un&#x017F;ere<lb/>
&#x017F;peculative Vernunft, ohne die&#x017F;en Um&#x017F;chweif jene Auf-<lb/>
gaben fu&#x0364;r &#x017F;ich aufzulo&#x0364;&#x017F;en, und &#x017F;ie als Ein&#x017F;icht zum<lb/>
practi&#x017F;chen Gebrauche aufzubewahren; allein es i&#x017F;t<lb/>
einmal mit un&#x017F;erem Vermo&#x0364;gen der Speculation nicht<lb/>
&#x017F;o gut be&#x017F;tellt. Diejenige, welche &#x017F;ich &#x017F;olcher hohen<lb/>
Erkenntni&#x017F;&#x017F;e ru&#x0364;hmen, &#x017F;ollten damit nicht zuru&#x0364;ckhal-<lb/>
ten, &#x017F;ondern &#x017F;ie o&#x0364;ffentlich zur Pru&#x0364;fung und Hoch-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzung dar&#x017F;tellen. Sie wollen <hi rendition="#fr">bewei&#x017F;en;</hi> wohlan!<lb/>
&#x017F;o mo&#x0364;gen &#x017F;ie denn bewei&#x017F;en, und die Critik legt ihnen,<lb/>
als Siegern, ihre ganze Ru&#x0364;&#x017F;tung zu Fu&#x0364;ßen. <hi rendition="#aq">Quid<lb/>
&#x017F;tatis? Nolint. Atqui licet e&#x017F;&#x017F;e beatis.</hi> &#x2014; Da &#x017F;ie al-<lb/>
&#x017F;o in der That nicht wollen, vermuthlich weil &#x017F;ie nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ko&#x0364;n-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[7/0015] Vorrede. Aſſertion wird, gegeben, und ſo der practiſche Ge- brauch der Vernunft mit den Elementen des theoreti- ſchen verknuͤpft wird. Und dieſes Beduͤrfniß iſt nicht etwa ein hypothetiſches, einer beliebigen Abſicht der Speculation, daß man etwas annehmen muͤſſe, wenn man zur Vollendung des Vernunftgebrauchs in der Speculation hinaufſteigen will, ſondern ein geſetzli- ches, etwas anzunehmen, ohne welches nicht geſche- hen kann, was man ſich zur Abſicht ſeines Thuns und Laſſens unnachlaßlich ſetzen ſoll. Es waͤre allerdings befriedigender fuͤr unſere ſpeculative Vernunft, ohne dieſen Umſchweif jene Auf- gaben fuͤr ſich aufzuloͤſen, und ſie als Einſicht zum practiſchen Gebrauche aufzubewahren; allein es iſt einmal mit unſerem Vermoͤgen der Speculation nicht ſo gut beſtellt. Diejenige, welche ſich ſolcher hohen Erkenntniſſe ruͤhmen, ſollten damit nicht zuruͤckhal- ten, ſondern ſie oͤffentlich zur Pruͤfung und Hoch- ſchaͤtzung darſtellen. Sie wollen beweiſen; wohlan! ſo moͤgen ſie denn beweiſen, und die Critik legt ihnen, als Siegern, ihre ganze Ruͤſtung zu Fuͤßen. Quid ſtatis? Nolint. Atqui licet eſſe beatis. — Da ſie al- ſo in der That nicht wollen, vermuthlich weil ſie nicht koͤn- A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/15
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/15>, abgerufen am 24.04.2024.